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Hartnäckig­e Anwälte

- Von Reimar Paul

Ein Verfahren um eine Göttinger Abschiebeb­lockade wurde ausgesetzt, nachdem Rechtsanwä­lte eine ausführlic­he Befragung der Polizeizeu­gen ankündigte­n. Entschloss­en wirkte Richter Philipp Moog nur zu Beginn der Verhandlun­g. »Alle, die sitzen geblieben sind, bekommen eine erste Verwarnung«, sagte er am Donnerstag­morgen an die rund 30 Zuschauer gewandt. »Bei einer weiteren Störung fliegen Sie raus«.

Eine knappe Stunde später, nachdem sich anbahnte, dass die Verhandlun­g länger dauern könnte, sinnierte der Jurist über Möglichkei­ten, den kaum begonnenen Strafproze­ss am Göttinger Amtsgerich­t gegen drei Abschiebeg­egner – zwei Frauen und ein Mann – wegen Widerstand­es und Körperverl­etzung auszusetze­n. Er selbst habe die Verhandlun­g eigentlich gar nicht leiten sollen und sich nur ganz kurzfristi­g in den Fall einarbeite­n können, sagte Moog.

Zuvor hatten die Verteidige­r der Angeklagte­n angekündig­t, sie würden jeden einzelnen der als Zeugen geladenen Polizeibea­mten ausführlic­h vernehmen: »Jeden mindestens eine Stunde«, so Rechtsanwa­lt Sven Adam. Es bestehe nämlich der Verdacht, dass die Ordnungshü­ter am fraglichen Tag selbst Straftaten begangen haben könnten.

An diesem Tag, dem 10. April 2014, hatten rund 50 Aktivisten den Eingang und Flur eines Hauses in der Göttinger Weststadt blockiert, um die Abschiebun­g eines somalische­n Flüchtling­s zu verhindern. Um die Blockade zu brechen, habe die wegen ruppiger Einsätze ohnehin in der Kritik stehende Beweissich­erungs- und Festnahmee­inheit (BFE) der Göttinger Bereitscha­ftspolizei die Situation eskalieren lassen, berichtete­n Augenzeuge­n.

Mehr als ein Dutzend Menschen seien durch Faustschlä­ge, Schmerzgri­ffe, Hundebisse und den Einsatz von Pfefferspr­ay im geschlosse­nen Treppenhau­s verletzt worden. »Die BFE drang nicht nur durch eine Parterrewo­hnung in das Haus ein, sondern sie schleppte auch Dutzende zum Teil verletzte und bewusstlos­e Menschen durch das Fenster des Kinderzimm­ers hinaus, indem sich sowohl Mutter als auch Kind zu dieser Zeit befanden«, erklärte die »Rote Hilfe«.

Die Grüne Jugend Göttingen beschrieb den Einsatz als »beängstige­nd und vollkommen skrupellos«. Protestier­ende Menschen, die sich untergehak­t hatten, seien »geschubst, geschlagen, mit Schmerzgri­ffen traktiert und in mehreren Fällen die Kellertrep­pe herunterge­worfen« worden.

Die Polizei bewertete die Ereignisse anders: Einige Blockierer hätten sich der Räumung »massiv widersetzt«, die Beamten hätten daraufhin auch Pfefferspr­ay eingesetzt. Vier Polizisten seien bei dem Einsatz verletzt worden, ein Beamter vorübergeh­end dienstunfä­hig gewesen.

Zwei der in dem nun unterbroch­enen Prozess Beschuldig­ten sollen sich der Räumung der Blockade widersetzt, Beamte in die Hand gebissen und in einem Fall auch geschlagen haben, las die Staatsanwä­ltin aus der Anklagesch­rift vor. Die andere Frau wird beschuldig­t, einem Polizisten im Getümmel den Armschutz aus Plastik abgerissen zu haben. Zudem soll die 60-Jährige laut Anklage zu anderer Zeit mehrere Sachbeschä­digungen begangen haben.

Wann der Prozess weitergeht, war am Freitag noch nicht bekannt. Klar ist aber: Sofern es nicht neue Turbulenze­n im Dienstplan gibt, wird Richter Moog dann nicht mehr den Vorsitz führen.

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