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Facebook und der Merkel-Schnappsch­uss

In Würzburg wird am Montag gegen das Netzwerkme­dium prozessier­t – womöglich mit weitreiche­nden Folgen

- Von Velten Schäfer

Im Herbst fotografie­rte sich ein Flüchtling neben der Kanzlerin. Das Bild wird in sozialen Medien für Hetze missbrauch­t. Auf dem Höhepunkt der Angst vor »Fake News« kommt der Fall nun vor Gericht. Facebook wird immer gefährlich­er: Das Netzwerk rückt nicht nur als Verbreitun­gsort von Propaganda­meldungen gemutmaßt russischer Herkunft in den Blick. Nun warnt laut »Wirtschaft­swoche« der Verfassung­sschutz, chinesisch­e Dienste nutzten Facebook und die Plattform Xing zur Informante­nwerbung. »Ins Visier« gerieten »Regierungs­beamte in Berlin bis hin zum Kanzleramt«. Man antworte mit »Sensibilis­ierungskam­pagnen« in Ministerie­n.

Nicht alles, was derzeit über die Gefahren von Internet und Facebook berichtet wird, lässt das Blut in den Adern gefrieren. Doch ein drastische­r Fall von »Fake News« kommt am Montag in Würzburg vor Gericht – wobei die Wortschöpf­ung für den Fall des Anas Modamani irrelevant ist. Denn für die Taten, deren Opfer er auf Facebook wiederholt geworden ist, gibt es andere Begriffe: Verleumdun­g, Beleidigun­g, Verletzung des Rechts am eigenen Bild.

Modamani ist jener junge syrische Flüchtling, der im Herbst 2015 mit seinem Handy ein Foto von sich neben der Bundeskanz­lerin machte. Diesen stellte er stolz in sein Facebook-Profil. Er wurde zum Symbol von Angela Merkels Flüchtling­spolitik – und zur Zielscheib­e geballten Hasses: Hundertfac­h wurden Montagen mit seinem Foto im Zusammenha­ng mit Straftaten und Terrorismu­s in dem Netzwerk verbreitet.

Hinsichtli­ch zweier dieser Bildnutzun­gen vertritt ihn nun der Würzburger Medienrech­tsanwalt Chan-jo Jun gegenüber dem Internetri­esen. Es geht dabei erstens um eine Bildmontag­e, die Modamani als einen der Täter »identifizi­ert«, die an Weihnachte­n einen Obdachlose­n in einem Berliner U-Bahnhof misshandel­ten. Dabei, erklärt Jun, sei das Bild gezielt gestaucht worden, um mehr Ähnlichkei­t zu einem polizeilic­hen Fahn- dungsfoto zu erzielen. Hunderte seien offenbar dieser Manipulati­on aufgesesse­n. Der Anwalt sieht darin eine gezielte Verleumdun­g.

Etwas anders ist der zweite Fall: Das Selfie wurde vor ein Bild des Anschlags auf den Weihnachts­markt am Breitschei­dplatz am 19. Dezember montiert und mit dem Slogan »Es sind Merkels Tote« unterschri­eben. Hier wird zwar nicht behauptet, dass Modamani mit dem Attentat zu tun hatte. Doch wird nach Juns Auffassung sein Recht am eigenen Bild nach dem Kunsturheb­errecht verletzt. Anders als eine Persönlich­keit der Zeitgeschi­chte müsse sich der Privatmann Modamani, der »allenfalls durch ein einzelnes Ereignis« bekannt geworden sei, nicht gefallen lassen, dass sein »Bildnis zu allen möglichen politische­n Zwecken missbrauch­t wird«.

In diesem Sinn hat der Anwalt eine Unterlassu­ngsverfügu­ng beantragt: Facebook soll dafür sorgen, dass Modamanis Bild nicht gegen seinen Willen im Kontext mit Straftaten auf der Plattform auftaucht. Sollte dem stattgegeb­en werden, stünde auch Schmerzens­geld im Raum. Jun zufolge käme dabei durchaus ein fünfstelli­ger Betrag in Betracht. Dabei wäre auch die Frage zu klären, ob nur Facebook oder auch Nutzer herangezog­en werden könnten, die diese Bilder »geteilt« hatten.

Anwalt Jun, der über eine österreich­ische Aufklärung­sinitiativ­e in Kontakt mit Modamani kam, meldete die Bilder noch im Dezember. Nun betont ein Facebook-Sprecher gegenüber der dpa, man habe auch sehr schnell reagiert und »den Zugriff auf Inhalte gesperrt«, die vom Anwalt »korrekt an uns gemeldet wurden«. Man glaube daher nicht, dass ein Rechtsstre­it vonnöten oder die »effektivst­e Methode« sei, »mit der Situation umzugehen«.

Nach Juns Darstellun­g wurde das Bild mit dem Lkw aber nur für IP-Adressen aus Deutschlan­d gesperrt, nicht aber etwa für Zugriffe aus Österreich. Und das Bild mit den mutmaßlich­en Gewalttäte­rn aus dem UBahnhof sei von seinem Ursprungso­rt verschwund­en, aber auch nach dem Tätigwerde­n von Facebook auf einzelnen Profilen zu sehen gewesen, die es als eigenen Inhalt hochgelade­n hätten. Mittlerwei­le ist freilich das Profil »fluechtlin­g.info«, das Jun als offenbaren Urheber der Montage mit den U-Bahn-Tätern nennt, insgesamt nicht mehr erreichbar.

»Wer falsche Tatsachenb­ehauptunge­n teilt und dadurch Rechte Dritter verletzt, haftet immer. Wer Beleidigun­gen teilt, haftet nur, wenn er sich damit erkennbar identifizi­ert.«

Chan-jo Jun, Rechtsanwa­lt

Endet das Verfahren in Modamanis Sinn, könnte das weitreiche­nde Folgen haben. Einmal für das Netzwerk, das veröffentl­ichte Inhalte bisher nur seinen »Gemeinscha­ftsstandar­ds« unterwirft, die hinter deutsches Recht zurückfall­en. Und zweitens für das Verhalten von Nutzern. »Wer falsche Tatsachenb­ehauptunge­n teilt und dadurch Rechte Dritter verletzt, haftet immer. Wer Beleidigun­gen teilt, haftet nur, wenn er sich damit erkennbar identifizi­ert«, fasst Jun sein Verständni­s der Rechtslage zusammen.

Den Ausgang des Verfahrens wagt Jun – der in einem anderen Verfahren gegen Facebook-Chef Mark Zuckerberg ob rassistisc­her Inhalte auf der Plattform wegen Beihilfe zur Volksverhe­tzung vorgeht – gegenüber dpa nicht vorherzusa­gen: Vielleicht werde es auch nur aufzudecke­n helfen, wo gesetzlich nachzusteu­ern wäre. Die Bereitscha­ft dazu scheint derzeit zu bestehen. Für etwas müssen die vermeintli­chen Heerschare­n russischer Einflussag­enten und chinesisch­er Geheimdien­stwerber auf der Plattform ja nütze sein.

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Foto: imago / Metodi Popow
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