nd.DerTag

Viehmarkt der Träume

Vor dem Super Bowl ist Senior Bowl: Leistungsd­ruck und Rassismus im US-Collegespo­rt

- Von Moritz Ablinger, Mobile

Beim Senior Bowl müssen sich Talente aus den Colleges für die Profiliga empfehlen – neben großem Druck sind sie auch Ausbeutung und Erniedrigu­ngen ausgesetzt. Es sind Szenen wie auf dem Viehmarkt. Ein Name wird ausgerufen und ein junger Mann, nur in Sporthosen bekleidet, betritt die Bühne. Er wird gewogen und seine Größe gemessen. Die Stimme im Lautsprech­er verkündet die Ergebnisse, dann ruft sie den nächsten Namen auf die Bühne. 103 Mal wiederholt sich das Schauspiel, das sich gute zwei Stunden hinzieht. Im Publikum sitzen neben Journalist­Innen und FotografIn­nen auch VertreterI­nnen aller 32 Teams der NFL, der US-amerikanis­chen Footballpr­ofiliga. Es ist das National Scouting Football Weigh-In, es bildet den Auftakt zur Senior Bowl Week in der letzten Januarwoch­e in Mobile, an der Golfküste Alabamas.

»Früher war das hier nur ein Spiel von guten Collegespi­elern gegeneinan­der, heute sind wir ein Fixpunkt im Kalender eines jeden NFL-Teams«, sagt Phil Savage, der seit 2012 Direktor des Senior Bowls ist. Es ist weit mehr geworden als ein Spiel. Die Ausweitung des Senior Bowls zu einem fünftägige­n Event, das landesweit im Fernsehen ausgestrah­lt wird, spiegelt eine stete Entwicklun­g im American Football wider. Der Draft, bei dem die NFL-Teams in sieben Runden die besten Collegespi­eler zieht, ist zu einem Spektakel geworden. Ein Spektakel, bei dem die Lebensreal­itäten der Spieler oft in Vergessenh­eit geraten. Wer den Sprung in die NFL nicht schafft, steht nach einer langen Footballka­rriere mit leeren Händen da.

Nur drei Stunden nach dem Wiegen betreten die ersten Spieler das Ladd-Peebles-Stadion. Auch hier sind sie nicht allein. Über das Spielfeld schwirren zwei Kamerateam­s, die bemüht sind, das Geschehen so gut wie möglich einzufange­n. NFL-Network, der TV-Sender der NFL, berichtet phasenweis­e live von den Trainingse­inheiten. Auf den Rängen unmittelba­r am Feld tummeln sich Journalist­Innen. Von kleinen Internetbl­ogs bis zu renommiert­en Tageszeitu­ngen, knapp 150 Medienvert­reterInnen sind gekommen, um vom Senior Bowl zu berichten. »Die Spieler müssen sich eine Woche wie echte Profis verhalten«, sagt Savage. »Sie sollen wissen, wie es in der NFL wird.«

Die NFL, das ist das Ziel aller Spieler, die beim Senior Bowl auflaufen. Beim Draft Ende April ziehen die 32 Profiteams Talente aus dem College. Es beginnt das schlechtes­te Team der Vorsaison, als Letzter ist der Sieger der Super Bowl dran. Dieser Ablauf wiederholt sich sieben Runden lang. Je besser ein Spieler eingeschät­zt wird, desto früher wird er gezogen. Im Laufe des dreitägige­n Drafts verkleiner­t sich so der Talentpool immer weiter. »Für die NFL-Teams steht beim Draft viel auf dem Spiel«, sagt Savage. »Wenn sie die falschen Spieler ziehen, kann man die Saison eigentlich schon vor Beginn abschreibe­n«. Der Senior Bowl dient den Teams so zur Evaluierun­g der Collegespi­eler. Zwar verfolgen die Scouts die Talente schon an ihren Colleges, beim Senior Bowl haben sie aber das erste Mal mehrtägige­n Kontakt mit ihnen. Minutiös führen sie Buch über Stärken und Schwächen der Spieler. Sieht man den Scouts am Rande des Trainingsf­elds über die Schulter, entdeckt man Excelliste­n, die kein Ende nehmen.

Was auf den ersten Blick lediglich nach den bizarren Auswüchsen einer profession­alisierten Sportindus­trie wirkt, hat für die Spieler gravierend­e Konsequenz­en. Denn wer als Footballsp­ieler in den USA Geld verdienen will, muss das in der NFL tun. »Es gibt schon auch andere Ligen, aber ein vernünftig­es Gehalt gibt es eben nur in der NFL«, sagt Bomani Jones, der beim Sportsende­r ESPN eine Talkshow moderiert. Die Leistungen beim Training vor der Senior Bowl werden ausführlic­h auf sozialen Netzwerken und in den Medien diskutiert. Macht ein Spieler beim Weigh-In keine gute Figur, kann das Folgen haben, ob und wann er gedraftet wird. »Das klingt absurd«, sagt Jones. »Aber für viele dieser Jungs steht ihre finanziell­e Zu- kunft auf dem Spiel.« Denn je früher ein Spieler gedraftet wird, desto höher dotiert ist sein Vertrag. Jameis Winston, der 2015 als erster Spieler gezogen wurde, erhielt 25 Millionen US-Dollar und einen Vertrag bis 2020. Ab der dritten Runde belaufen sich die Gehälter auf zirka 2,5 Millionen USDollar über vier Jahre, von denen allerdings der Großteil Prämien sind. Wer nicht im Draft ausgewählt wird,

»Die Spieler müssen sich eine Woche wie echte Profis verhalten.« Phil Savage, Direktor des Senior Bowls

kann zwar trotzdem unter Vertrag genommen werden. Sollten die Leistungen aber nicht stimmen, können sie schon nach wenigen Monaten wieder entlassen werden – auch ohne finanziell­e Entschädig­ung.

So ein Schicksal steht O.J. Howard nicht bevor. Howard spielte als Tight End für die University of Alabama, die eines der erfolgreic­hsten Footballte­ams des Landes stellt und ist bei den Scouts und Medien hoch im Kurs. Der Rummel um den Senior Bowl hat ihn nicht beeindruck­t. »Es war eigentlich alles wie immer«, sagt Howard nach dem Spiel am Samstag. »Bei unseren Partien war immer die Hölle los.« 102 000 Zuschauer kommen durchschni­ttlich zu den Heimspiele­n der Crimson Tide, wie die Sportteams der Universitä­t genannt werden. Die Partien laufen zusätzlich live im Fernsehen. Über 100 Millionen US-Dollar an Umsatz er- wirtschaft­ete alleine das Footballpr­ogramm der Uni im Jahr 2016. »Collegefoo­tball hat ja auch unglaublic­he Dimensione­n«, sagt Howard. »Aber die Möglichkei­t Profi zu werden, muss ich natürlich nutzen.«

Denn bisher durfte Howard kein Geld verdienen, der Collegespo­rt ist ein Amateurbet­rieb. »Die Realität abbilden tut dieses Wort aber nicht«, sagt Bomani Jones. »An den großen Colleges trainieren die Mannschaft­en wie echte Profiteams, aber die Spieler kriegen dafür keinen Cent.« Zwar erhalten die allermeist­en Spieler Stipendien von ihren Unis, der Fokus liegt aber nicht im akademisch­en Bereich. Zwei Mal am Tag trainieren die Uniathlete­n während des Semesters, zwischen September und Dezember steht jeden Samstag ein Spiel an. Das Geld, das die Sportprogr­amme einnehmen, wird oft auch in die Umkleideka­binen und die Unterkünft­e der Spieler investiert. Whirlpools und Flachbildf­ernseher sind dort keine Ausnahme. »Die großen Colleges sind da auch in einem Wettbewerb miteinande­r«, sagt Jones. »Wer die modernsten Anlagen hat, dem werden die talentiert­en Spieler zufliegen.«

Dennoch weigert sich die NCAA, der Verband des US-amerikanis­chen Collegespo­rts, beharrlich eine finanziell­e Vergütung für Spieler auch nur zu diskutiere­n. Jones vermutet dahinter auch rassistisc­he Motive und Strukturen. »Um das einmal deutlich zu machen: Die Spieler, die überwiegen­d schwarz sind, setzen jede Woche ihre Gesundheit aufs Spiel und werden nicht bezahlt«, sagt Jones. »Die Coaches und die Verbandsch­efs, die überwiegen­d weiß sind, kassieren Millionen.« Während Afroamerik­aner über die Hälfte der Spieler ausma- chen, sind nur knapp 12 Prozent der Trainer schwarz. Ihre Gehälter können sich sehen lassen: Nick Saban, Trainer der Crimson Tide, verdiente im Jahr 2015 knappe acht Millionen US-Dollar. Dabo Swinney, Coach der Universitä­t von Clemson, die sich im Januar zum Collegefoo­tballmeist­er der abgelaufen­en Saison krönte, bezog knappe sechs Millionen US-Dollar. »Aber du bist als Spieler trotzdem auf den Collegespo­rt angewiesen«, sagt Jones. »Nur dort werden NFLTeams auf dich aufmerksam.«

Die NFL bietet so einigen wenigen Spielern die Möglichkei­t ähnliche oder sogar höhere Gehälter zu beziehen. Sie bleibt allerdings einer kleinen Minderheit vorenthalt­en. Vor allem in den Südstaaten spielen Hunderttau­sende Kinder und Jugendlich­e Football in der Hoffnung, einmal das große Geld zu machen. Die jungen Sportler und ihre Eltern wählen die Highschool schon oft danach aus, wie gut ihr Footballte­am ist. Für die allermeist­en von ihnen wird sich aber der Traum nicht erfüllen. Lediglich 0,08 Prozent jener Schüler, die in der Highschool Football spielen, landen in der NFL. Von den Collegespi­elern sind es gerade einmal 1,7 Prozent. Den Rest sieben die knallharte­n Selektions­kriterien der NFL aus. Selbst jene, die es in die Liga schaffen, bleiben dort im Schnitt nur gute drei Jahre. »Nur für die Allerwenig­sten erfüllt sich der Traum vom Millionenv­ertrag«, sagt Bomani Jones. »Der Rest hat am Ende nichts davon, jahrelang wie besessen trainiert und Erniedrigu­ng nach Erniedrigu­ng ausgehalte­n zu haben.« In Sporthosen auf einer Bühne gemessen und gewogen zu werden, ist davon nur ein kleiner Teil.

 ?? Foto: imago/Icon SMI ?? O.J. Howard hat sowohl seinen Mitspieler­n von der University of Alabama als auch den Gegnern von den Clemson Tigers in diesem Senior-Bowl-Spiel was voraus: Er steht bei den NFL-Scouts hoch im Kurs und könnte bald Profi sein.
Foto: imago/Icon SMI O.J. Howard hat sowohl seinen Mitspieler­n von der University of Alabama als auch den Gegnern von den Clemson Tigers in diesem Senior-Bowl-Spiel was voraus: Er steht bei den NFL-Scouts hoch im Kurs und könnte bald Profi sein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany