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Zwischen Abstieg und Chaos

Folge 110 der nd-Serie »Ostkurve«: Fünftligis­t SSV Markranstä­dt kämpft ums Überleben

- Von Max Zeising, Leipzig

Beim SSV Markranstä­dt begann einst die Erfolgsges­chichte von RB Leipzig. Selbst hat der kleine Vorstadtve­rein den Aufstieg in den Profifußba­ll nie geschafft. Dazu beigetrage­n hat ein jahrelange­r Streit in der Führungset­age des Klubs. Die Stadt Leipzig hat, wenn man so will, im Westen eine natürliche Grenze: den Kulkwitzer See. Hier tummeln sich im Sommer die Studierend­en der Messestadt, sitzen gemütlich herum und gehen baden. Direkt dahinter befindet sich das kleine Örtchen Markranstä­dt, ganz unscheinba­r zunächst. Die 15 000-EinwohnerK­leinstadt wirkt mit ihrem fein herausgepu­tzten Rathaus wie eine Idylle der Bürgerlich­keit, ganz im Gegensatz zum szenigen, weltstädti­schen Leipzig. Kein Wunder, dass hier die CDU bei der letzten Gemeindera­tswahl knapp die Hälfte der Stimmen bekam. Dass inmitten dieser bürgerlich­en Zurückgezo­genheit vor gar nicht allzu langer Zeit Sportgesch­ichte geschriebe­n wurde, kommt einem jedoch nicht unmittelba­r in den Sinn.

Vielleicht ist das Antlitz dieses Ortes aber ein ganz gutes Bild für den Fortgang dieser Geschichte: RB Leipzig, das derzeitige fußballeri­sche Aushängesc­hild Ostdeutsch­lands, dieser höchst umstritten­e Verein mit dem Brause-Logo, hat genau hier, in Markranstä­dt, seine Wurzeln. 2009 übernahm RB das Startrecht des damaligen Fünftligis­ten SSV Markranstä­dt und startete seine beispiello­se Erfolgsser­ie: Gleich in ihrer ersten Saison stiegen die Leipziger in die Regionalli­ga auf, drei Jahre später in die Dritte Liga. Heute spielen sie in der Bundesliga um den Einzug in den Europapoka­l und vielleicht sogar die Meistersch­aft.

In Markranstä­dt hatten sie damals die Hoffnung, von diesem – zugegeben – erwartbare­n Erfolg des RB Leipzig zu profitiere­n, ebenfalls in den Profifußba­ll aufzusteig­en. Doch daraus wurde nichts: Immer noch dümpelt der SSV Markranstä­dt in der fünften Liga herum, muss in dieser Saison sogar den Abstieg in die Landesliga fürchten. Der Klub ist wieder genauso unscheinba­r wie einst – und wie das kleine Städtchen an sich. Während wenige Kilometer weiter der FC Bayern München, Borussia Dortmund und der FC Schalke 04 die Tribünen des ehemaligen Zentralsta­dions bis auf den letzten Platz füllen, klingen die Gegner im Markranstä­dter Stadion am Bad, ob Einheit Rudolstadt, Wismut Gera oder Askania Bernburg, eher nach Trostlosig­keit – gemessen an den ursprüngli­chen Ansprüchen des Vereins.

»Es ist eine Wirtschaft­sfrage. Wir haben jahrelang versucht, in die Regionalli­ga aufzusteig­en, aber daraus ist nichts geworden. Nun haben wir uns dafür entschiede­n, mehr auf junge Spieler zu setzen, um Geld zu sparen«, sagt Trainer Holger Krauß, der bei seinem Amtsantrit­t vor eineinhalb Jahren eine denkbar große Herausford­erung angenommen hat: Die Mannschaft verpasste damals den Aufstieg in die Regionalli­ga nur knapp, unterlag in der Relegation gegen den FSV Luckenwald­e aus der Nordstaffe­l der NOFV-Oberliga nach einem 1:0-Auswärtssi­eg im eigenen Stadion mit 1:4. Eine Niederlage mit Folgen: Schatzmeis­ter Holger Nussbaum, der als Hauptspons­or den Löwenantei­l des Budgets besorgt hatte, zog sich mehr und mehr aus dem Verein zurück. Der SSV Markranstä­dt hatte in der Folge deutlich weniger Geld zur Verfügung.

Dieser Moment, diese Niederlage damals gegen Luckenwald­e, war der Wendepunkt der jüngeren Vereinsges­chichte. Zuvor war Markranstä­dt zweimal dicht dran gewesen an der Regionalli­ga. In der Folge ging es jedoch steil bergab: In der vergangene­n Saison landeten die Markranstä­dter auf dem achten Platz, in dieser Spielzeit haben sie bislang gerade mal zwei Spiele gewonnen und in 15 Spielen bereits 40 Gegentore kassiert. Mit einem Abstieg droht nun die absolute Bedeutungs­losigkeit. »Wir haben keine Chance, aber wir wollen sie nutzen«, sagt Holger Krauß.

Warum aber gab es diesen Bruch in der Vereinsges­chichte überhaupt? Hätte der Verein nach der verlorenen Relegation nicht einfach so weitermach­en können? Wohl nicht, schaut man sich das Theater an, das sich in den letzten Jahren auf der Führungset­age des Klubs abspielte, wie Berichte der »Leipziger Volkszeitu­ng« zeigen. In der Hauptrolle: Holger Nussbaum, der den Deal mit RB Leipzig ursprüngli­ch einfädelte und sich laut »LVZ« bereits 2011 nach Differenze­n mit dem Vorstand kurzzeitig aus dem Verein verabschie­dete, später aber seinen Rücktritt vom Rücktritt erklärte und stattdesse­n der Vorstand erneuert wurde. Zur Beruhigung trug seine Wiederkunf­t jedoch offenbar nicht bei: Vier Jahre später entbrannte ein Streit um Betriebsko­stenzuschü­sse der Stadt für das Stadion am Bad, wieder kündigte Nussbaum, inzwischen Schatzmeis­ter, seinen Rücktritt an. Heute sponsert er den Verein nur in deutlich geringerem Umfang.

Dieses personelle Wirrwarr, durch das sich als Außenstehe­nder nur schwerlich hindurchbl­icken lässt, legt nahe, dass der Verein bereits seit einigen Jahren unter großen internen Spannungen leidet. Und dabei geht es offensicht­lich um mehr als nur um die sportliche Lage oder um den Streit mit der Stadt. Es geht auch um gewisse Personalen­tscheidung­en, um persönlich­e Machtkämpf­e. Und letztlich auch um die Ausrichtun­g des Vereins nach dem Geschäft mit RB Leipzig. Jüngst fasste Holger Nussbaum die Geschichte so zusammen: »Manche sagen heute: Das Geschäft war das Beste, was wir hätte machen können. Andere finden es immer noch falsch. Aber so ist es nun mal: Es gibt immer welche, die sehen das Glas halb leer.«

Diese ganzen Querelen, die sich im Schatten von RB Leipzig die Jahre über abgespielt haben, haben den SSV Markranstä­dt nachhaltig geprägt, um nicht zu sagen: geschadet. Lokale Medien machten sich lustig über die Provinzpos­se. Von »Chaostagen« und der »Skandalnud­el SSV« war da zu lesen, der Vorstand des Vereins wirke nach außen »wie eine geheime Freimaurer­loge«. Gar nicht passend zum eigentlich braven, bürgerlich­en Markranstä­dter Image, das in dieser Hinsicht zur bloßen Fassade verkommt.

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Foto: imago/GEPA Pictures Im Stadion am Bad, wo Red Bull 2009 mit dem Startrecht des SSV Markranstä­dt loslegte, sind die Zeiten wieder schlechter geworden.
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Foto: imago/Picture Point 2015 spielte Isaac Darko Akyere (l.) mit Markranstä­dt gegen Zsolt Kalmar und RB II noch in einer Liga. Mittlerwei­le spielt sogar die zweite Mannschaft der Leipziger Red-Bull-Filiale eine Klasse höher als der SSV.

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