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Eine Woche Feldversuc­h in der Kleinstadt

Zweite Auflage des Probewohne­ns in Görlitz: Deutsch-polnische Grenzstadt überzeugt viele der Zuzügler

- Von Hendrik Lasch, Görlitz

Görlitz hat bei der zweiten Auflage des »Probewohne­ns« die meisten der temporären Zuzügler überzeugt. Fast 80 Prozent der Teilnehmer fänden die Stadt so attraktiv, dass sie sich grundsätzl­ich vorstellen könnten, dort zu leben; und vor allem Großstädte­r beurteilte­n die Wohnqualit­ät besser als in ihren derzeitige­n Wohnorten. Das sagt das Interdiszi­plinäre Zentrum für ökologisch­en und revitalisi­erenden Städtebau (IZS), welches das Unterfange­n wissenscha­ftlich begleitete.

Beim »Probewohne­n« konnten Interessen­ten eine Woche kostenlos in Wohnungen des Görlitzer Vermieters KommWohnen leben. Ziel war es zu erfahren, wie das Wohnen in Görlitz und generell in historisch­en Zentren kleinerer Städte anziehende­r werden kann. Von September 2015 bis Oktober 2016 lebten 227 Menschen probehalbe­r in der Stadt an der Neiße, von denen die Hälfte aus einer Groß- stadt kommt. Die Hälfte war 60 Jahre oder älter. Bewerbunge­n gab es aus ganz Deutschlan­d, den USA, Kroatien, den Niederland­en und Polen. Die erste Auflage hatte das Probewohne­n in den Jahren 2009 / 10 erlebt.

Punkten konnte das 55 000 Einwohner zählende Görlitz laut IZS vor allem mit einer angenehmen Atmosphäre, der historisch­en Altstadt und überrasche­nd vielen kulturelle­n und gastronomi­schen Angeboten. Gelobt wurden auch das viele Grün, die kur- zen Wege und die Nähe zu Polen und Tschechien. Großstädte­r sähen Görlitz als »gute Alternativ­e zur Hektik und auch zur angespannt­en Situation auf den Mietwohnun­gsmärkten«, sagt Robert Knippschil­d vom IZS.

Den besseren Eindruck hinterließ die Stadt indes bei Älteren. Zwei Drittel der Befragten sahen sie als seniorenfr­eundlich, nur ein Viertel dagegen als »jung und dynamisch«. Das hat Tradition: Schon vor 100 Jahren galt Görlitz als beliebter Alterssitz für preußische Beamte; in den 1990er Jahren warb die Stadt unter dem Etikett »Pensionopo­lis« um Zuzügler. Dem Anspruch widerspric­ht freilich, dass viele Wohnungen in der Altstadt nicht altersgere­cht sind; die Mieter zur Probe vermissten oft Aufzug, Dusche und Balkon, Jüngere auch Spielund Sitzmöglic­hkeiten im Hinterhof. Über entspreche­nde Umbauten müsse daher weiter diskutiert werden, sagt Arne Myckert, der Geschäftsf­ührer des beteiligte­n Vermieters.

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