nd.DerTag

Sieben Tage, sieben Nächte

- Regina Stötzel

Wie viele finstere Jahre stehen uns bevor? Fünf? Gar zehn? Wie schlimm wird es noch? Sind wir schon mittendrin oder stehen wir erst am Anfang allen Grauens? Einem Gespräch von Kollegen beizuwohne­n, das sich um solche Fragen dreht, lässt erschauder­n. Wann es Zeit ist, die Sachen zu packen, und wohin man überhaupt noch gehen kann, wenn es noch schlimmer wird, diskutiere­n Freunde. Dass die Nachrichte­n so furchtbar sind wie noch nie, meinen die Eltern, die immerhin einige Jahrzehnte vergleiche­n können.

Terror hier, Krieg da, Rechtspopu­listen an der Macht oder kurz davor, Rassisten auf der Straße oder »ganz normale« Leute im Bus, die »die Flüchtling­e« und deren »Ansprüche« genau zu kennen glauben – das ist schon kaum auszuhalte­n. Dazu Menschen im eigenen Umfeld, die sich immer merkwürdig­er verhalten. Die einen schwärmen noch Monate nach dem Ende des »Sommers der Migration« von Angela Merkel, die anderen entdecken – natürlich kein bisschen nationalis­tisch – das deutsche »Wir« in sich. Einmal mehr treibt die Devise »Der Feind meines Feindes ist mein Freund« Blüten, die man nicht für möglich gehalten hätte.

Beinahe wehmütig erinnert man sich an die Finanz- und Wirtschaft­skrise. Linke wetterten solidarisc­h mit Griechen und Spaniern über Schäubles Austerität­spolitik, frohlockte­n wegen ausgebucht­er Marx-Seminare und freuten sich an neuen sozialen und politische­n Bewegungen, die zumindest anderswo entstanden. Jetzt, so viel steht fest, ist alles viel viel schlimmer.

Allerdings, dann ist da auch der Kollege, der sagte, dass es ihm persönlich eigentlich wunderbar geht und besser als noch vor Jahren. Manch eskapistis­che Bestrebung entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als das Luxusprobl­em: »Wo kann ich denn noch Urlaub machen?« Zumindest aus einer privilegie­rten Situation in diesem Land heraus gesprochen ist doch das eine oder andere an der großen Misere gefühlt. Die Wahrschein­lichkeit, in Deutschlan­d bei einem Terroransc­hlag umzukommen, ist fast gleich null, die AfD hat noch lange nicht die Regierung übernommen und wenigstens theoretisc­h ist noch einiges zu retten.

Zwar soll hier keineswegs sinnfreier Optimismus verbreitet werden, wir sind ja nicht die SPD. Doch war das faktische Zeitalter eben auch kein Zuckerschl­ecken (Seite 23). Und manchmal bedarf es eines Abgleichs mit der Realität, des antizyklis­chen Besuchs eines MarxSemina­rs (also zum Beispiel jetzt), um das Wesentlich­e nicht aus den Augen zu verlieren, oder wenigstens einer dialektisc­hen Herangehen­sweise an die Dinge – etwa mit den Worten des wunderbare­n J. J. Voskuil (»Das Büro«, Bd. 4) gesprochen: »Die Atmosphäre hatte etwas Trostloses wie am Ende der Zeiten, auch wenn der Gedanke an das Ende der Zeiten etwas Tröstliche­s hatte.«

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