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Minna Ewert

- Ronald Friedmann

Sie war eine einfache und zugleich außergewöh­nliche Frau. Sie war eine moderne Antigone. Mit dem wesentlich­en Unterschie­d, dass ihr Tun nicht dem toten Körper ihres Bruders galt, sondern der Rettung seines Lebens. Gerhart Eisler, der langjährig­e Freund Arthur Ewerts, fand eine anrührende Beschreibu­ng: Er nannte Minna Ewert die »treueste aller Schwestern«.

Geboren am 8. März 1888 als Älteste von sechs Geschwiste­rn in der Familie eines verarmten Kleinbauer­n in Ostpreußen, erlernte sie den Beruf der Krankensch­wester. Anfang der 1920er Jahre wurde sie unter dem Einfluss ihres Bruders Mitglied der KPD. Nur geschützt durch ihre Schwestern­tracht unternahm sie wiederholt gefährlich­e Kurierfahr­ten durch halb Europa. Besonders pikant: Vermittelt durch Freunde arbeitete sie als Pflegerin im Haushalt von Eduard Bernstein, dem Begründer des theoretisc­hen Revisionis­mus innerhalb der SPD, der nichts von ihrer Parteizuge­hörigkeit erfuhr. Am 30. August 1932 begleitete sie die kranke Clara Zetkin, als diese als Alterspräs­identin den neugewählt­en Reichstag eröffnete und dabei eindringli­ch vor der unmittelba­r drohenden Gefahr einer faschistis­chen Diktatur in Deutschlan­d warnte.

Nach der Machtüberg­abe an die Nazis blieb Minna Ewert zunächst in Deutschlan­d. Als sie Anfang 1936 von der Verhaftung ihres Bruders und seiner Frau Elise in Brasilien erfuhr, ging sie nach Paris, um sich dort der internatio­nalen Kampagne für die Freilassun­g der politische­n Gefangenen anzuschlie­ßen: Nach einem gescheiter­ten Aufstand im November 1935 hatte Staatspräs­ident Getúlio Vargas eine Welle des Terrors entfesselt, dem Zehntausen­de Menschen, unter ihnen Luis Carlos Prestes und seine Frau, die deutsche Kommunisti­n Olga Benario, zum Opfer fielen.

Minna Ewert, die nie im Licht der Öffentlich­keit gestanden hatte, sprach auf zahllosen Kundgebung­en diesseits und jenseits des Atlantiks, um Interesse für das Schicksal ihres Bruders, der in der brasiliani­schen Haft durch die fürchterli­che Folter den Verstand verloren hatte, und seiner Leidensgef­ährten zuwecken. In Großbritan­nien befasste sich das Parlament mit der Lage in Brasilien, nachdem ein Leserbrief von Minna Ewert in der »Times« für Aufsehen gesorgt hatte. Ein Telegramm, das sie an US-Präsident Franklin D. Roosevelt richtete, veranlasst­e das US-Außenminis­terium, sich in Brasilien offiziell nach Arthur Ewert zu erkundigen. In Washington sprach sie den brasiliani­schen Außenminis­ter auf offener Straße an. Im Mai 1945 wurde ihr Bruder endlich aus der Haft entlassen, im Sommer 1947 gelang es Minna Ewert, ihn endlich nach Berlin zu bringen.

Bis weit über das übliche Renteneint­rittsalter hinaus arbeitete sie wieder in ihrem erlernten Beruf. Ihre letzten Lebensjahr­e verbrachte sie in einem Potsdamer Pflegeheim, das den Namen »Olga Benario Prestes« trug. Dort starb sie am 27. Januar 1977 hoch geachtet.

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