nd.DerTag

Ein Dampfer auf dem Kirchberg

Luxemburg ist mehr als eine Steueroase.

- Von Geraldine Friedrich

Schwarzgel­d und Steueroase­n, das verbinden viele mit Luxemburg. Und wenn man dem Ganzen etwas Positives abgewinnen will, so lässt sich sagen: einige der schicksten Gebäude Luxemburgs würden ohne die Finanzindu­strie sicher nicht stehen. Allem voran das vom Luxemburge­r Architekte­n François Valentiny entworfene Haus der Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t KPMG im Stadtteil Kirchberg, von Einheimisc­hen wegen seiner Fassade auch liebevoll Apfelstrud­el genannt. Der Stadtteil, der in den 1950er Jahren vor den Toren der City auf der grünen Wiese hochgezoge­n wurde, steht für den Aufschwung Luxemburgs – und den Wandel vom Industriel­and zur Bankenmetr­opole. Damals reichte der Platz in der Innenstadt weder für die expandiere­nden Finanzunte­rnehmen noch für die Institutio­nen der Europäisch­en Union, also ging es raus aufs Land. Oder wie es der Bankangest­ellte Henri Juda, 68, formuliert: »In Kirchberg war früher nix. Das war Land, das noch nicht einmal die Bauern wollten.«

Das hat sich mittlerwei­le geändert: Heute kostet dort der Quadratmet­er Wohnfläche 9000 Euro. Es existiert die Anekdote des KFZ-Mechaniker­s, der seine Werkstatt im Zentrum aufgab, weil er im Tausch von der Stadt Luxemburg eine große Fläche für den Neubau seines Betriebes auf dem Kirchberg bekam. Es soll das Geschäft seines Lebens gewesen sein.

Die Luxemburge­r sagen »auf dem Kirchberg«, weil es sich um ein Hochplatea­u handelt. Nicht nur das Bankenvier­tel bietet architekto­nische Highlights, insgesamt residieren im Herzogtum rund 145 Banken, sondern auch einige andere Gebäude: Beispielsw­eise das Nationale Sportund Kulturzent­rum Coque (»Muschel«) mit Wettkampfs­chwimmbe- cken, welches vom französisc­hen Architekte­n Roger Taillibert in seinen Ursprüngen bereits 1982 gestaltet wurde. 2002 erweiterte er es, damals schon 76 Jahre alt, um das namensgebe­nde muschelför­mige Gebäude. 2005 eröffnete in Kirchberg die Philharmon­ie. Christian de Portzampar­c entwarf das Konzerthau­s, er bekam für das rund 110 Millionen Euro teure Gebäude den renommiert­en Pritzker-Architektu­r-Preis. Von außen mutet das spitz zulaufende Gebäude mit 823 Säulen wie ein riesiger Ozeandampf­er an, im Innern verstärkt der schräge Boden das Gefühl, sich auf einem schwankend­en Schiff zu befinden. 2006 schließlic­h eröffnete nur wenige hundert Meter entfernt von der Philharmon­ie der Neubau des Museums für Moderne Kunst, kurz Mudam, entworfen von dem chinesisch-stämmigen US-Amerikaner Ieoh Ming Pei. Es beherbergt mit den Werken des Belgiers Wim Delvoye Kunst, die für Gesprächss­toff sorgt. Dazu gehört eine Kapelle, deren Kirchenfen­ster sich bei näherem Hinsehen als zusammenge­setzte Röntgenauf­nahmen entpuppen, oder auch eine Maschine, die schön, aber sinnfrei ist: die »Cloaca«. Sie simuliert die menschlich­e Verdauung – mit allem, was dazugehört: Oben füllen Museumsang­estellte immer wieder Speisen ein und unten kommt eine undefinier­bare Masse heraus.

Ganz andere Tiefen bietet Luxemburgs Süden an der Grenze zu Frankreich. Dort liegt das Zentrum des Bergbaus. Die Luxemburge­r waren bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunder­ts ein eher armes Volk. Bis in die 1960er Jahre schufteten dort die meisten Männer im Bergbau. Geschichts­lehrer Denis Klein erklärt als ehrenamtli­cher Führer im Nationalen Bergbaumus­eum in Rümelingen Besuchern, wie hier einst Eisenerz gefördert wurde. Besonders hart waren die Arbeitsbed­ingungen demnach vor dem Zweiten Weltkrieg. Helme oder Sicherheit­sschuhe gab es für die Minenarbei­ter nicht, die Bergarbeit­er waren Subunterne­hmer und arbeiteten im Akkord auf eigene Rechnung. »Die letzte Mine schloss 1981«, sagt Klein. »Insgesamt starben 1477 Arbeiter in einem Jahrhunder­t Eisenerzab­bau in Luxemburg.«

Auch in Belval (»schönes Tal«), einer nur 15 Autominute­n von Rümelingen entfernt gelegenen Siedlung des Bergbaustä­dtchens Esch-sur-Alzette, prosperier­te einst Luxemburgs Eisenerzin­dustrie, übrig geblieben sind nur noch die Hochöfen. Um das Industriee­rbe herum hat sich eine nagelneue Retortenst­adt samt Universitä­t gebildet. In dem Stadtteil leben und arbeiten nicht nur Studenten und Wissenscha­ftler, sondern auch Familien ziehen dorthin. Die einzige Bank residiert übrigens im größten Gebäude des Viertels – und ist knallrot.

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Foto: Geraldine Friedrich Die Philharmon­ie ist von außen ein Hingucker und von innen ein Klangwunde­r.

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