nd.DerTag

»Ich dachte, Syrien ist wie GTA«

Dennis sollte für den IS in Raqqa kämpfen. Er entschied sich dagegen.

- Von Hammed Khamis *Dennis heißt natürlich nicht Dennis und wollte aus nachvollzi­ehbaren Gründen nicht fotografie­rt werden.

Ich bin kein Bosnier, ich bin Deutscher«, korrigiert Dennis* sich, wenn jemand sein Vertrauen gewonnen hat. Ansonsten schaut er immerzu auf den Boden. Leicht verschämt spricht er leise seine Meinung aus. Vielleicht ist es wegen der Akne in seinem Gesicht. Vielleicht aber auch wegen der Erfahrunge­n in seiner Vergangenh­eit. Die Geschichte, dass er kein Bosnier sei, erzählte Dennis seit seiner frühen Kindheit, wenn er Menschen kennenlern­te. Im Alter von zwölf Jahren aber entschloss er sich dazu, seine deutsche Identität abzulegen, um nicht als Deutscher bei den anderen Jungs aus seiner Clique zu gelten, deren Eltern Kurden, Araber oder Türken waren.

Berlin-Staaken: Im Problemkie­z groß geworden, kennt Dennis jede Form von Schwierigk­eiten. Seine Mutter ist Alkoholike­rin. Seinen Vater hat er nur einmal in seinem Leben gesehen. Das war an seinem sechsten Geburtstag. Er hatte nicht einmal ein Geschenk dabei, als er den kleinen schmächtig­en Jungen, der Dennis damals noch war, in der Wohnungstü­r begutachte­te und wieder ging, als wäre sein Sohn nichts wert. Dieses Gefühl von Minderwert­igkeit verankerte sich nach diesem Tag in seinem Inneren.

Dennis hat zwei ältere Halbbrüder. Sein Stiefvater ist Bosnier, der aus dem Balkankrie­g nach Deutschlan­d gekommen ist. Seinen Frust und Sorgen hat er gerne mal mit Schlägen und dem Gürtel auf seine Söhne übertragen. Das spürte Dennis, der sein Kinderzimm­er, das in einem dieser grauen Hochhäuser in Staaken liegt, immer als Gefängnis empfand. »Die permanente Tristesse und das viele Grau, bestimmt deine Laune, wenn du dort lebst«, sagt er, während er einen kräftigen Zug aus seiner Zigarette nimmt.

Jahre darauf ist er abgehärtet. Einstecken wie ein Punchingba­ll müssen jetzt andere. Dennis schlägt nun zurück. Auf dem Pausenhof der Schule lässt er sich nicht mehr seine Sachen wegnehmen. Auf dem Spielplatz hinterm Haus bietet er selbst den Kanaken, wie er sie nennt, Paroli. Als Dennis fünfzehn Jahre alt wird, beginnt seine Mutter eine neue Beziehung. Dennis muss nicht nur aus dem Haus ausziehen, sondern auch aus seiner Kindheit. Wie ein altes paar Schuhe, abgetragen und nutzlos, fühlt er sich und geht von zu Hause weg. Sein neues Leben beginnt in der Küche von Lenni, sei- nem einzigen Freund. Lenni ist schon 17 und wohnt in einer kleinen Einraumwoh­nung, die Kleinkrimi­nelle benutzen, um Marihuana zu verkaufen. Tag und Nacht sind Menschen in dieser Wohnung. Sie nehmen Drogen. Dennis schließt sich an. Nun braucht er Geld. Er begeht mehrere Diebstähle und kleine Einbrüche. Zerschlage­ne Autoscheib­en, leer geräumte Zigaretten­regale und Gerichtste­rmine pflastern seinen Weg. Als er seine Beute nicht mehr teilen will, gerät er in einen Revierkamp­f mit arabischen Jungs. Dennis findet Schutz bei einem Rockerclub. Hier beginnt seine Geschichte erst.

In Rockerclub­s gibt es nicht nur den monatliche­n Beitrag, den man entrichten muss. Manchmal muss man jemanden beherberge­n, der von der Polizei oder von verfeindet­en Clubs gesucht wird. An anderen Tagen kommt einer der neuen »Brüder« vorbei und versteckt zwei Kilo »Irgendetwa­s« in seinem Badezimmer.

Die Rocker empfehlen Dennis, dem neuen Bruder, in ein Chapter, wie die Ortsgruppe­n solcher Clubs genannt werden, nach Hamburg zu gehen. Ein Tapetenwec­hsel tue ihm gut, sagen sie. In der Hansestadt wird er schnell ein fester Teil ihrer Gesellscha­ft. Wohnung, Geld, Schutz und Freundscha­ft erscheinen ihm als Segen. Erst mal scheint das gut zu sein. Doch es reicht ihm nicht. Er will mehr von dem, wovon er nicht wusste, was es ist. Mehr von dem, was er nie hatte: Liebe und eine Familie.

Was das genau bedeutet, findet er wenig später in einem Bus heraus. Jugendlich­e hatten einen anderen geschlagen. Ein Mann mit Vollbart greift ein, hilft dem Opfer. Das Opfer, das Dennis immer selbst war, macht sich wieder in seinen Gedanken breit. In ihm regt sich etwas. Auf die Frage, warum der mit dem Bart eingegriff­en hat, gibt der Fremde an, dass seine Religion es ihm so vorschreib­e. Wenn eine Religion Obhut, Schutz, Liebe und Freundscha­ft bedeutet, dann ist sie das, was Dennis in seinem Leben braucht, denkt er.

Er tauscht Telefonnum­mern mit dem Muslim aus. Drei Tage später ist Freitag. Bruder Issa, so nennt er sich, lädt ihn zum Freitagsge­bet ein. Dennis geht hin. Nur zum Gucken, noch. Er beobachtet mehrere Hundert Menschen dabei, wie sie gemeinsam niederknie­n. Alle in dieselbe Richtung. Alle für eine Sache. Für diesen einen Gott.

Anders als in Dennis’ Kindheit ist alles in dieser Moschee so sauber und ordentlich. Wie in vielen Moscheen riecht es in dieser auch nach Amber und Moschus. Dennis atmet tief ein und schließt die Augen dabei. Ein gleichaltr­iger Glaubensbr­uder weckt ihn aus seinem Tagtraum, indem er ihm auf die Schulter fasst und ihm lächelnd die Hand reicht. Jakub, der bald sein bester Freund sein wird, steht vor ihm. »Möge Gott dein Gebet anerkennen.« Das sagen die Muslime zueinander, wenn sie einander nach dem Gebet treffen. Dennis will mehr. Mehr von dieser Freundlich­keit. Mehr Zuneigung. Einen Freitag darauf konvertier­t er. Dafür bekommt er sogar eine Urkunde. Noch heute sei das die beste Entscheidu­ng in seinem Leben gewesen, garantiert er zwischendu­rch, wenn er sich an diese Tage erinnert.

Die leuchtende­n Räume in der Moschee werden wie Leuchttürm­e für ihn. Sie leiten ihn aus dem Dunkel heraus. In ihnen beginnt er, sich über seine neue Religion zu informiere­n. Völlig freiwillig und ungezwunge­n, wie alle seine neuen Freunde, folgt er seiner neuen Idee.

Die Motorräder der Rockerbrud­erschaft weichen den Minaretten der Moschee. Die Akne in seinem Gesicht ist mittlerwei­le verschwund­en. Dennis zeigt aktuelle Bilder von sich. Gut genährt und zufrieden sieht er auf diesen neuen Bildern aus, die ihn in der Moschee zeigen. Sie zeigen ihn in Gruppen von muslimisch gekleidete­n Männern. Das letzte Foto nimmt ihm aber sein Lächeln aus dem Gesicht. Obwohl er auf diesem Foto am besten aussieht. Gemeinsam mit seinen neuen Freunden sieht man Dennis in weißer Kleidung an einem Lies!-Stand in Hamburg stehen. Die Männer dort sind gut zu ihm. Einen richtigen Bruder nennen sie ihn. Anstatt Schläge einstecken zu müssen, wird er nun beschützt. Er gründet eine WG mit seinen beiden besten Freunden, die er aus der Moschee kennt. Gemeinsam bereisen sie viele deutsche Städte, um an den Lies!-Ständen »Dawa« (Missionier­ung) zu betreiben. Sie lernen den bekannten islamistis­chen Prediger Pierre Vogel kennen. »Der beste Mensch der Welt«, wie er sagt. Sie kleiden ihn in muslimisch­e Trachten. Ihm, dem familienlo­sen Staakener, dem Kind von »Asozialen«, wie er oft genannt wurde, gefällt das. Seine neuen Freunde wissen, dass er nun auf der Straße diskrimini­ert werden wird. Das Hassen beginnt. Das Hetzen lässt auch nicht lange auf sich warten. Gemeinsame Freunde haben auch gemeinsame Feinde. Bei den fast täglichen Treffen wird es immer politische­r. Der Krieg in Syrien tobt. Irak steht kurz davor, in Anarchie zu versinken. Gaza ist unter Beschuss. Immer wieder wird von Brüdern und Schwestern in Not gesprochen. Dennis wird sensibel. Er denkt an die Knüppelorg­ien in seiner Kindheit. Er wünscht sich Gerechtigk­eit für all diese Menschen. Die Menschen, die man getötet oder vertrieben hat. Den Menschen, die Hunger und Krieg leiden, will Dennis helfen.

Idris, einer der älteren Brüder, schlägt ihm eine Muslima aus Holland für eine islamische Ehe vor. Sie würde seine Sorgen teilen. Er zeigt ihm ein Bild von Hawa. Genauso, wie er ihm eine Woche vorher Bilder von Leichen und Kriegsopfe­rn in Syrien gezeigt hatte. Idris gehört nicht zu der Moschee, in die Dennis geht, Idris gehört zu denen, deren Namen er nicht mehr ausspreche­n mag, weil sie ihn nun suchen. Töten wolle man ihn. Weil er nicht zum Töten gehen wollte, dabei hatte er anfangs noch gedacht, »Syrien, das ist wie GTA«.

Seine beiden Freunde, Selim und Jakub, seine wirklichen Brüder, wie er sie nennt, zwei, für die er alles tun würde, reisen schließlic­h, ohne sich zu verabschie­den, nach Syrien. Jakub meldet sich eine Woche später über Skype, mit einer in zwei Hälften geteilten Melone in seinen Händen. In die eine Hälfte beißt er genüsslich hinein. Die andere habe er für seinen Lieblingsb­ruder, Khaled al Almani, so heißt Dennis mittlerwei­le, reserviert. Dennis hadert. Fängt in den Tagen darauf wieder an zu rauchen. Zwei Wochen schläft er nicht gut, hat schlechte Laune bei der Arbeit. Dann schickt Selim ihm ein Bild über Skype, auf dem Jakub zu sehen ist. Er schläft, für immer. Jakub, den hat Dennis richtig geliebt. Sie haben alles zusammen gemacht. Jakub hat ihm gezeigt, wie man einen Miswak, einen Zweig, zum Zähneputze­n und einen Rosenkranz benutzt. Gemeinsam sind sie auf Fahrrädern zu ihrer Arbeitsste­lle gefahren. Sie waren Wachmänner bei einem Bauunterne­hmen. Sie waren wie Toto und Harry. Zwei, die nicht zu trennen sind. Und nun liegt Jakub da. Mit leicht geöffnetem Mund. Eine Kugel fand ihren Weg zwischen Jakubs Augen. Selim schickte das Foto kommentarl­os. Wahrschein­lich, weil er keine Zeit hatte. Das war beim Sturm auf Raqqa, die inoffiziel­le Hauptstadt des IS. Und genau wie Jakub, fiel auch Selim beim ersten Versuch, die Stadt einzunehme­n. Beide sind nun tot. Für nichts.

Dennis schließt die Augen und versucht Tränen zu unterdrück­en, während er von den beiden erzählt. Das gelingt ihm aber nicht. Wer hat das seinen Freunden angetan? Das will er wissen. Nicht den Schuss in ihre Köpfe. Er will wissen, wer sie überredet hat, dorthin zu gehen.

Bei künftigen Treffen fragt er Idris aus. Dieser wittert schon einen nächsten »Erfolg« und redet fortan massiv auf Dennis ein. Er solle doch wenigstens für ein paar Wochen dorthin gehen, Schutt aufräumen und bei Bauarbeite­n helfen. Nicht zum Kämpfen. Dennis willigt ein. Mit dem Gehalt von der Baufirma in der Tasche steigt er am Monatsanfa­ng in einen Zug nach Frankreich. Er will über Frankreich in die Türkei. Wie man von dort aus nach Syrien kommt, weiß jeder. Für Dennis ist wichtig, dass er in Raqqa an die Gräber seiner beiden besten Freunde kommt. Er könnte dann für sie beten, ihnen sagen, wie sehr er sie vermisst.

Auf die Frage, was für Menschen das sind, die Raqqa für den IS einnehmen wollen, hat er nur eine Antwort: »Jakub und Selim sind nicht mit der Absicht nach Syrien gegangen, um zu töten. Ich weiß es.«

Im Zug denkt Dennis an ein Video, das er auf Youtube gesehen hatte. Ein dreizehnjä­hriges jesidische­s Mädchen berichtet von unzähligen Gräueltate­n, die der IS ihr angetan hat. Gräueltate­n, die in seiner Religion verboten sind. Wie kann dies dort möglich sein, fragt er sich. Dennis war auf dem Weg in den sicheren Tod. Das höchste, was er hätte erreichen können, wäre neben seinen Freunden beerdigt zu werden. Als Dennis das klar wird, steigt er aus dem Zug aus.

Dennis will Muslim bleiben, will anderen Jugendlich­en seine Geschichte erzählen. Sie sollen nicht auf das reinfallen, was ihn verführt hatte. Wenn er Hilfe bekommt oder einen Verlag findet, dann wird er ein Buch schreiben, verspricht Dennis. Das ist er Jakub und Selim schuldig.

Gemeinsam mit seinen neuen Freunden sieht man Dennis in weißer Kleidung an einem Lies!Stand in Hamburg stehen. Die Männer dort sind gut zu ihm. Einen richtigen Bruder nennen sie ihn. Anstatt Schläge einstecken zu müssen, wird er nun beschützt.

Hammed Khamis, 38, wurde als Sohn libanesisc­her Eltern in Osnabrück geboren. Er ist gelernter Maßschuhma­cher. Heute lebt er in Berlin, arbeitet als Streetwork­er und Autor. Sein neues Buch handelt von einem ISIS-Aussteiger. Hierfür sucht er noch einen Verlag.

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Foto: Reuters/Nour Fourat Als der IS die syrische Stadt Raqqa (Foto) einnahm, waren auch zwei von Dennis’ Freunden an vorderster Front für die Terrormili­z dabei – und starben.

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