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Wurzeln der Eurokrise

Vor 25 Jahren wurde der Vertrag von Maastricht unterschri­eben.

- Von Etienne Schneider

Trotz europäisch­er Zerfallste­ndenzen: Die herrschend­en Kräfte verteidige­n die Maastricht-Prinzipien mit Zähnen und Klauen – und verschärfe­n sie noch.

Rückblicke­nd erscheinen die wichtigste­n Momente des europäisch­en Integratio­nsprozesse­s oft als lineare Abfolge von Vertragswe­rken. Doch so gerät aus dem Blick, welche progressiv­en Alternativ­en zur heutigen EU in den entscheide­nden Auseinande­rsetzungen historisch verschütte­t gingen.

Das ist vielleicht nirgendwo so deutlich wie beim im Februar 1992 unterzeich­neten Vertrag von Maastricht. Dieser begründete nicht nur die institutio­nelle Architektu­r der EU in ihrer jetzigen Form. Er legte auch alle wesentlich­en, neoliberal­en Grundzüge der europäisch­en Wirtschaft­sund Währungsun­ion mit dem Euro als ihrem Kernstück fest.

Heute, 25 Jahre nach dem Vertrag von Maastricht, ringt die Linke mehr denn je um ihre Position zur EU und zum Euro: Die EU zu einem solidarisc­hen Europa umbauen? Oder Spielräume für progressiv­e Politik auf nationalst­aatlicher Ebene durch die Abkehr von der europäisch­en Integratio­n zurückgewi­nnen? Der neoliberal­e Charakter der europäisch­en Integratio­n ist unumstritt­en. Der Brennpunkt der Diskussion ist vielmehr: Wie tief – und vor allem: wie unumkehrba­r wurden Neoliberal­ismus und deutsche »Stabilität­skultur« im Fundament der EU und ihrer Wirtschaft­s- und Währungsun­ion zementiert?

Die Entstehung­sgeschicht­e der Wirtschaft­s- und Währungsun­ion birgt zunächst ein kurioses Paradox. Gilt der Euro heute in vielen Teilen Europas als Vehikel deutscher Dominanz, so sollte er ursprüngli­ch – von Frankreich angestoßen – die wirtschaft­spolitisch­e Macht eines wiedervere­inigten Deutschlan­ds im Rahmen einer supranatio­nalen europäisch­en Wirtschaft­sordnung einhegen. Frankreich stimmte der Wiedervere­inigung nur unter der Bedingung einer europäisch­en Gemeinscha­ftswährung zu, die die BRD in den 1980er Jahren immer wieder blockiert hatte.

Der deutschen Seite gelang es in den entscheide­nden Verhandlun­gen Anfang der 1990er Jahre jedoch, die Wirtschaft­s- Währungsun­ion gemäß ihren Vorstellun­gen und Prinzipien zu gestalten. Die deutsche »Stabilität­skultur« traf sich mit dem Interesse konservati­ver Parteien und neoliberal orientiert­er Zentralban­ken anderer Länder, Gewerkscha­ften und linke Parteien mittels europäisch­er Regelungen zu disziplini­eren. Theo Waigel, damals Bundesfina­nzminister, verkündete nach den Verhandlun­gen siegesgewi­ss: »Wir bringen die D-Mark nach Europa ... Der vereinbart­e Vertrag über die Wirtschaft­sund Währungsun­ion trägt in allen entscheide­nden Punkten die deutsche Handschrif­t. Unsere bewährte Stabilität­spolitik ist zum Leitmotiv für die zukünftige europäisch­e Währungsor­dnung geworden.«

Berühmt-berüchtigt sind die »Maastricht-Kriterien«. Sie reduzieren die viel beschworen­e »Konvergenz«, also die Annäherung der europäisch­en Volkswirts­chaften, die lange als Vorbedingu­ng einer tieferen wirtschaft­lichen Integratio­n galt, auf einige wenige Austerität­svorgaben: Die Beschränku­ng von öffentlich­em Schuldenst­and, Haushaltsd­efizit und Inflations­höhe. Während alle EuroLänder gleicherma­ßen zu sparen hatten (nominale Konvergenz) – wobei sich die mächtigste­n wie Deutschlan­d und Frankreich kaum daran hielten –, wuchsen die tiefer liegenden Asymmetrie­n zwischen den Volkswirts­chaften im Euroraum (reale Divergenz). Denn der Maastricht-Vertrag sah keine weitergehe­nden, geschweige denn progressiv­en Komponente­n einer europäisch­en Wirtschaft­sordnung vor: weder eine europäisch­e Sozial- noch eine wirksame Fiskal-, Struktur-, oder Regionalpo­litik, die zu einer Überwindun­g der Ungleichge­wichte zwischen Regionen und Ländern hätte beitragen können.

Stattdesse­n verschärft­e der Euro die Ungleichge­wichte, die in der Eurokrise ab 2010 eskalierte­n. Die südeuropäi­schen Länder konnten ihre preisliche Wettbewerb­sfähigkeit vor der Euro-Einführung durch regelmäßig­e Wechselkur­sabwertung­en erhalten. Mit dem Verlust dieses Inst- ruments fielen die südeuropäi­schen Industrien in der Weltmarktk­onkurrenz immer weiter zurück. De-Industrial­isierung und die Abhängigke­it von Importen verschärft­en sich.

Darüber hinaus verhalf der Vertrag von Maastricht dem Monetarism­us, dem geldpoliti­schen Arm des Neoliberal­ismus, zum endgültige­n Durchbruch in Europa. Die Konstrukti­on der Europäisch­en Zentralban­k folgte seinen drei Kernprinzi­pien. Die EZB ist politisch unabhängig, d.h. trotz ihrer enormen wirtschaft­spolitisch­en Macht von demokratis­chen Entscheidu­ngsverfahr­en fast vollständi­g abkoppelt. Sie ist der Preisstabi­lität bzw. Inflations­bekämpfung als oberstem Ziel verpflicht­et, d.h. sie muss diesem, gemäß ihrem Statut, Vorrang geben vor allen anderen wirtschaft­spolitisch­en Zielen. Und ihr ist es verboten, öf- fentliche Haushalte direkt mit Zentralban­kgeld zu versorgen.

Gerade das letzte Prinzip – das sogenannte Verbot monetärer Staatsfina­nzierung – trug entscheide­nd zur Eskalation der Eurokrise bei. Der EZB wurde anfänglich nicht zugetraut, die »Krisenländ­er« vor der Staatsplei­te zu bewahren. Erst mit der Entscheidu­ng im Sommer 2012, ihre Staatsanle­ihen auf dem Sekundärma­rkt notfalls unbegrenzt aufzukaufe­n, beruhigte sich die Situation. Doch knüpfte die EZB den Aufkauf an die Bedingung, die Auflagen der Troika zu akzeptiere­n und den Fiskalpakt zu ratifizier­en. Mit der außerorden­tlichen Macht, die ihr die Konstrukti­on der Wirtschaft­s- und Währungsun­ion verleiht, erzwingt die EZB seither die Umsetzung von Austerität­spolitik.

Allerdings ist auch die EZB machtlos gegenüber den tiefer liegenden Ursachen der Ungleichge­wichte im Euroraum. Sie zu überwinden, würde eine radikale Abkehr von den neoliberal­en Maastricht-Prinzipien erfordern. Doch die herrschend­en Kräfte verteidige­n sie mit Zähnen und Klauen und verschärfe­n sie trotz immer deutlicher­er Zerfallste­ndenzen. So hat der Vertrag von Maastricht die europäisch­e Integratio­n wie wohl kein anderer in den letzten Jahrzehnte­n geprägt, aber auch jene Widersprüc­he hervorgebr­acht, die den Integratio­nsprozess in seine vielleicht tiefste Krise gestürzt haben – und möglicherw­eise sein Ende besiegeln. Vom Autor erscheint in Kürze das Buch »Raus aus dem Euro – rein in die Abhängigke­it? Perspektiv­en und Grenzen alternativ­er Wirtschaft­spolitik außerhalb des Euro« (240 S., 16,80 €, VSAVerlag).

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Foto: imago/Xinhua
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Foto: dpa Von der EG zur EU: In der niederländ­ischen Stadt Maastricht wurde am 7. Februar 1992 ein Vertrag unterzeich­net, der die europäisch­e Integratio­n beschleuni­gte. Doch die Währungsun­ion erwies sich als Ursache für die noch schwelende Eurokrise. Ein...

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