nd.DerTag

Von Euro-Phorie zur Euro-Phobie

Maastricht trotzt den Krisen und feiert die Unterzeich­nung des Maastricht-Vertrags

- Von Annette Birschel, Maastricht

In den Niederland­en reitet der Rechtspopu­list Geert Wilders auf einer Welle der Euroskepsi­s. Doch die Stadt Maastricht feiert die EU – und ist stolz auf den Vertrag, der ihren Namen trägt. Die blaue Fahne mit den gelben Sternen flattert fröhlich auf dem Großen Markt von Maastricht. Die südniederl­ändische Stadt feiert Geburtstag: 25 Jahre Europäisch­e Union. Am 7. Februar 1992 wurde hier der Vertrag von Maastricht unterzeich­net, mit dem aus der EG die moderne EU wurde. Auf der Basis kam später der Euro. Zum Jahrestag kommt am Dienstag Bundespräs­ident Joachim Gauck – und hält eine der letzten europapoli­tischen Reden seiner Amtszeit.

Doch was gibt es eigentlich zu feiern? Die EU erlebt eine der größten Krisen ihrer Geschichte: Brexit, Euromisere, Migration, Schulden, Spaltung zwischen Nord und Süd, Ost und West, Erfolg der Rechtspopu­listen. Und jetzt will auch noch der neue USPräsiden­t Donald Trump einen Keil in die Union treiben. Maastricht trotzt der europäisch­en Malaise. Bis heute ist die 120 000 Einwohner zählende Metropole die europäisch­ste Stadt der Niederland­e und stolz darauf.

Stadtführe­r Cor Hamans zeigt Touristen gerne die mittelalte­rliche Stadt an der Maas mit den malerische­n Gassen. Außer zur Servaes-Basilika und dem Platz Vrijthof führt er sie gern zu einer anderen Attraktion. Ein Geldautoma­t auf dem Markt. »Dort wurde am 1. Januar 2002 der allererste Euro-Schein gezogen«, sagt er stolz. Die damalige Aufbruchst­immung ist an vielen Ecken der Stadt immer noch zu spüren.

Schon im Dezember hatten Brüsseler Spitzenpol­itiker und Zeitzeugen in Maastricht an 25 Jahre EU erinnert und zu einem neuen Aufbruch ermutigt. Unter dem Motto »Europe Calling« (Europa ruft) hatten sie auf alle Errungensc­haften hingewiese­n. Mit diesem Motto will die Stadt eine positive Europa-Debatte anregen.

Nach den Veteranen hat nun die Jugend das Wort. Über 5000 Schüler, Studenten und Lehrlinge aus allen EU-Mitgliedst­aaten wollen am Dienstag über die Zukunft Europas diskutiere­n und feiern. Auch Gauck will mit jungen Leuten in Maastricht ins Gespräch kommen.

Von EU-Depression keine Spur, sagt der deutsche Student Moritz Oster- huber. »Die EU wird nicht auseinande­rbrechen. Dies ist nur eine Zäsur für einen neuen Plan.« Woher kommt dieser Optimismus? »Europa bietet uns so viele Chancen«, antwortet die Studentin Patricia Senge. »Reisen, Studieren, Arbeiten«. Die beiden Deutschen engagieren sich beim Festprogra­mm »Europe Calling«. »Es wird Zeit für neue Ideen«, sagen sie.

Von Maastricht soll erneut ein positives Signal ausgehen. Wie damals vor 25 Jahren. Schon 1991, als der Vertrag ausgehande­lt worden war, war die offene, lockere Stimmung der Stadt gelobt worden. Außerdem – nicht unwichtig für Maastricht – trugen auch gutes Essen und köstliche Weine zum guten Verhandlun­gsklima bei. Das war nicht selbstvers­tändlich in den für ihre kargen Mittagesse­n berüchtigt­en Niederland­e. Bis heute wird in Maastricht erzählt, dass der damalige französisc­he Präsident Francois Mitterrand 1991 seinen Kollegen Ruud Lubbers warnte: »Wenn du beim Gipfel Käsebrötch­en servierst, dann wird es nichts.«

Es lag natürlich nicht an den Köstlichke­iten aus den Maastricht­er Töpfen, dass der Gipfel nach Meinung der Beteiligte­n ein Erfolg wurde. Der Optimismus nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des Kalten Krieges hatte die Vereinigun­g Europas voran getrieben. Außerdem war die Zusammenar­beit der damals zwölf Staaten einfacher als die von heute 28.

Heute steht Europa dagegen im Zeichen von Krisen, das weiß auch der Gouverneur der Provinz Limburg, Theo Bovens. Und doch ist er optimistis­ch. Der Aufbruch kann gerade aus den Grenzregio­nen kommen, sagt er. »Hier lebt Europa.« Das Drei-Länder-Eck von Deutschlan­d, Belgien und den Niederland­en ist nach seinen Worten »eine Mini-EU«. Für die Menschen dort gebe es keine Alternativ­e, sagt Bovens und plädiert sogar für eine weitaus engere Zusammenar­beit. »Bei Sozialgese­tzen, Steuer oder Bildung sind die Grenzen noch nicht offen.«

Doch mit dieser proeuropäi­schen Haltung ist Maastricht eine Insel in den Niederland­en. Dort beherrscht der Rechtspopu­list und Anti-Europäer Geert Wilders die politische Bühne. In gut fünf Wochen wird ein neues Parlament gewählt. Und Wilders »Partei für die Freiheit« kann mit dem Kurs gegen Europa und für Schließung der Grenzen stärkste Kraft werden. Das wäre für Europa ein Albtraum.

Newspapers in German

Newspapers from Germany