Vielleicht liegt die Jugend ja richtig
Zu »Kein Vertrauen in die Jugend«, 3.2., S. 1
Unsere Demokratie kann man mit guten Gründen als Mittel und Methode betrachten, die tatsächlichen Machtverhältnisse dieser Gesellschaft zu verschleiern. Oder glaubt wirklich jemand, alle Macht ginge vom Volke aus und nicht vielmehr von den Konzernen und Banken, also kurz gesagt dem Kapital? Da stellt sich doch die Frage, ob die angebliche mangelnde Demokratiefähigkeit der Jugend (sofern sie denn vorliegt) nicht eher zu begrüßen als zu beklagen wäre. Stefan Bell, Mülheim a. d. Ruhr Wenn Ältere der Meinung sind, dass Jüngere nicht demokratiefähig seien, dann sollten sie bedenken, dass Millionen Kinder und Jugendliche bereits in der Schule einen gnadenlosen Konkurrenzkampf um die Plätze in Ausbildung, Gymnasium und Studium erleben und dass nicht Fleiß, Leistung und Intelligenz belohnt werden, sondern der soziale Status von Papa und Mama.
Das Kind von Arbeitern oder Arbeitslosen, das die selben Zensuren erreicht wie ein Arzt- oder Beamtenkind, leistet in Wirklichkeit mehr, denn seine Eltern können ihm weder fachlich noch durch Beziehungen helfen, und obendrein leidet das Kind unter den ständigen Geldsorgen seiner Eltern. Warum soll das Kind von Arbeitern oder Arbeitslosen, dem aufgrund seiner Herkunft das Gymnasium und damit das Studium verweigert wird, dieses System befürworten?
Millionen Jugendliche erleben, dass alle Anstrengungen und Fleiß nicht ausreichen, um später wenigstens so viel Geld zu verdienen, dass sie die Miete in einer Großstadt bezahlen und eine eigene Familie ernähren können.
Dieser Staat macht Millionen Menschen zu Verlierern, gibt ihnen obendrein auch noch die Schuld daran und schafft damit gleichzeitig jene Schicht, die diesen Staat ablehnt. Thomas Linser, Jena