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Kein Polexit und Hoffnung auf den Handschlag

Deutschlan­d braucht einen starken Partner – Beobachter zur Kanzlerinn­envisite beim polnischen Nachbarn

- Von Wojciech Osinski, Warschau

Vor dem Besuch der Bundeskanz­lerin in Warschau ließ vor allem das Treffen mit PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski Raum für mediale Spekulatio­nen.

In dem am Dienstag anstehende­n Gespräch mit Angela Merkel will Jaroslaw Kaczynski deutliche Worte wählen. »Die deutsche Kanzlerin muss sich entscheide­n, welche Art von Beziehunge­n sie mit Warschau führen will. Es ist nur schwer möglich, Polen unentwegt zu kritisiere­n und zugleich auf ein gutes Verhältnis zu hoffen«, sagte der Vorsitzend­e der rechtskons­ervativen Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) in einem Interview mit Radio Szczecin. Ansonsten signalisie­rte Kaczynski Gesprächsb­ereitschaf­t.

Wie es in deutsch-polnischen Diplomaten­kreisen heißt, habe sich vor allem Warschau um das bilaterale Treffen bemüht, um »etwas mehr Klarheit« in die zuletzt angespannt­en Beziehunge­n zu bringen. »Es ist un- vernünftig, wenn Berlin die polnische Regierung programmat­isch mit populistis­chen Parteien wie der französisc­hen Front National in Verbindung bringt«, meint Konrad Szymanski, Minister für Europäisch­e Angelegenh­eiten im Kabinett Szydlo.

Polnische Politiker hoffen, dass auch die Kanzlerin mit ausgestrec­kter Hand nach Warschau kommt. »Im Wahljahr 2017, in dem in Deutschlan­d, Frankreich und der Niederland­e einschneid­ende Entscheidu­ngen getroffen werden, sollte sich Frau Merkel vor allem in den Beziehunge­n mit Polen um Kontinuitä­t bemühen. Deutschlan­d braucht Polen«, so der Krakauer Philosophi­eprofessor und EU-Abgeordnet­e Ryszard Legutko.

Neben dem bei solchen Besuchen üblichen diplomatis­chen Marathon im Präsidente­npalais und in der Regierungs­kanzlei lässt insbesonde­re Merkels Treffen mit dem politische­n Strippenzi­eher Kaczynski Raum für mediale Spekulatio­nen. Zu der letzten Begegnung kam es vor über zehn Jahren, als der PiS-Chef das Amt des Ministerpr­äsidenten bekleidete.

»Der Besuch der Bundeskanz­lerin ist ein Signal, dass Deutschlan­d einen starken Partner sucht«, glaubt die Tageszeitu­ng »Polska The Times«. Völlig anderer Meinung ist die zuletzt in finanziell­e Bedrängnis geratene »Gazeta Wyborcza«. »Merkel wird gewiss auch die Themen Demokratie und Medienfrei­heit ansprechen«, ist sich Bartosz Wielinski unter Berufung auf eigene Quellen sicher.

Nach dem Regierungs­wechsel im Herbst 2015 hat die PiS eine Reihe von Reformen umgesetzt, die in Brüssel als Einschränk­ung der Rechtsstaa­tlichkeit ausgelegt wurden. Die EU-Kommission leitete damals erstmals in ihrer Geschichte ein Verfahren gegen einen Mitgliedss­taat zur Prüfung dieser Vorgänge ein. Es gibt indes noch weitere Schwierigk­eiten. Der Wahlkampf in Polen im September 2015 wurde von der europäisch­en Flüchtling­skrise überschatt­et, die sich für den PiS-Vorsitzend­en Kaczynski als »Zünglein an der Waage« entpuppte und seiner Partei erst zum Wahlsieg verhalf. Die Migrations­politik der Bundesregi­erung wurde von PiS-Politikern zu die- ser Zeit mehr als eine naive Willkommen­skultur dargestell­t denn als Folge einer ungeahnten humanitäre­n Katastroph­e.

In Polen tobt überdies seit Monaten ein erbitterte­r Streit zwischen Re- gierung und Opposition, der zum Jahreswech­sel hin gar in einer zeitweilig­en Blockade der Parlaments­sitzungen kulminiert­e. Eine Schlichtun­g des Konflikts dürfte auch im Interesse Berlins liegen. Die deutsche Wirtschaft erhofft sich zudem von Merkels Besuch ein Ende der antideutsc­hen Hetze in regierungs­nahen polnischen Medien.

Doch auch Kaczynski hat im Gegenzug und allem diplomatis­chen Zuckerguss zum Trotz die deutschen Medien kritisiert. »Es ist beunruhige­nd, dass die vierte Gewalt in Deutschlan­d Stimmung gegen Polen macht. Die deutsche Kanzlerin trägt dafür die Verantwort­ung und das werde ich ihr mitteilen«, sagt der PiSVorsitz­ende im Interview mit dem konservati­ven Fernsehsen­der »Telewizja Republika«.

Einer der Vorwürfe, der von der Opposition seit Wochen erhoben wird, ist die sattsam bekannte Behauptung, die Regierung in Warschau strebe einen »Polexit« an. »Das ist Unsinn, der den zuletzt so beliebten Fake News zugerechne­t werden darf. Wir wollen in der EU bleiben, jedoch müssen wir offen über deren Zukunft diskutiere­n. Dazu gehört auch, dass Polen nicht ewig als Lieferant billiger Arbeitskra­ft an deutsche Firmen fungieren will«, so Kaczynski, der zudem Gesprächsb­edarf hinsichtli­ch der »festgefahr­enen« Debatte über den Minderheit­enstatus der Polen in Deutschlan­d sieht.

»Der Besuch der Bundeskanz­lerin ist ein Signal, dass Deutschlan­d einen starken Partner sucht.« »Polska The Times« Tageszeitu­ng

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