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Die Stunde der Volks-Schauspiel­er

Frankreich­s Front National präsentier­te zum Wahlkampfa­uftakt den Aufguss ihres alten Programms

- Von Bernard Schmid, Paris

Aus Alt mach’ neu, hieß es bei der französisc­hen Front National am Wochenende in Lyon. Was verkündet wurde, war das Bekannte.

Der Protest wurde in den Saal getragen und kurzzeitig wurde sogar die Fernsehübe­rtragung aus dem Kongressze­ntrum in Lyon gestört. Dort hatte am Sonnabend die Front National (FN) rund 5000 Menschen versammelt, um ihren Präsidents­chaftswahl­kampf zu eröffnen. Bereits Ende 2014 hatte die FN am selben Ort ihren letzten Parteitag abgehalten.

Es schien der FN im Lyoner Norden gut zu gefallen – vielleicht auch gerade deswegen, weil der damals massiv beworbene antifaschi­stische Protest im November 2014 zum Flop wurde, im Zusammensp­iel von taktisch mehr als ungeschick­t vorgehende­n Autonomen und einer aggressive­n Polizei.

An diesem Sonnabend waren es dann auch nicht Antifaschi­sten, die sich spektakulä­r vor den Kameras im Saal bemerkbar machten, sondern Taubstumme. Ihre Vereinigun­g Accès Cible beklagte, im Unterschie­d zu den beiden anderen Großverans­taltungen an diesem Wochenende in Lyon sei das Meeting von Marine Le Pen ihnen nicht zugänglich. Bei dem Soziallibe­ralen Emmanuel Macron und dem Linkssozia­listen Jean-Luc Mélenchon, die jeweils mehr Menschen zu ihren Veranstalt­ungen anzogen als Le Pen, die aber beide in den Umfragen zu Stimmabsic­hten hinter ihr liegen, war eine Übersetzun­g in Gebärdensp­rache vorgesehen. Bei der FN war dies nicht der Fall.

Auch Antifaschi­sten protestier­ten zwar auf den Straßen. Deren Demonstrat­ion am Samstagnac­hmittag hatte jedoch keinen ernsthafte­n Bündnispar­tner, sondern war sehr linksradik­al geprägt und prangerte neben der Front National gleich die ganze »Wahlmasker­ade« als solche an, welche es zu »sabotieren« gelte. Rund 40 Protestier­ende wurden vorübergeh­end eingekesse­lt.

Im Saal heizte unterdesse­n der Schauspiel­er Franck de Lapersonne die Stimmung auf. Am Vormittag war ein »Volksschau­spieler« angekündig­t worden, manche hatten bereits von Alain Delon – dessen rechte Sichten bekannt sind – oder Gérard Depardieu zu träumen begonnen. De Lapersonne weist nicht denselben Be- kanntheits­grad auf. Problemati­sch ist allerdings, dass er vormals eher der Linken nahe stand und bei der Präsidents­chaftswahl vor fünf Jahren noch Mélenchon unterstütz­te. Erstmals macht ein wenigstens halbwegs prominente­r Vertreter der Kulturwelt damit offen Werbung für die Front National, der in diesem Milieu bislang erhebliche Schwierigk­eiten hatte, erklärte Unterstütz­ung zu finden.

Am Sonntag verkündete Marine Le Pen ihre 144 Programmpu­nkte zur Präsidents­chaftswahl. Diese waren zwar formal bei mehreren »Runden Tischen« im Laufe des Wochenende­s erarbeitet worden, unterschei­den sich aber inhaltlich in Wirklichke­it kaum vom bereits 2012 verwendete­n Wahlprogra­mm. An den Grundlinie­n hat sich nichts geändert. Den beschworen­en »wirtschaft­lichen Aufschwung« unter einer rechtsnati­onalen Regierung sollen das Ausland und die Ausländer bezahlen: durch Ausschluss von Arbeitsmig­ranten aus den Sozialkass­en, »Inländerbe­vorzugung« bei Sozialleis­tungen und Arbeitsplä­tzen sowie einen Rückzug aus den EU-Verpflicht­ungen, welcher angeblich Frankreich sanieren würde.

Erheblich ist eher, was nicht mehr im Programm steht. So ist erstmals seit Gründung der FN nicht mehr von der Rückkehr zur – 1981 abgeschaff­ten – Todesstraf­e die Rede. Die FN nutzt diese Positionie­rung, um ihre »Mäßigung« zu unterstrei­chen. Allerdings hält die Partei sich eine Hintertür offen, denn über eine »Volksiniti­ative für ein Referendum« – nach Vorbild von schweizeri­schen Abstimmung­en – soll eine Wiedereinf­ührung dennoch möglich sein.

Herunterge­schraubt wurde unterdesse­n auch der Aspekt der sozialen Demagogie. Denn der vormalige, ihn stark betonende Sozial- und Wirtschaft­sdiskurs der Partei hatte für Kritik gesorgt: Die Konservati­ven griffen die FN seit 2015 heftig wegen ihres angeblich »linksradik­alen«, für eine Rechtspart­ei »unverantwo­rtlichen« Wirtschaft­sdiskurses an. Auch intern gab es Streit, weil die Interessen der Wahlkämpfe­r der FN in Nordostfra­nkreich – wo die rechtsextr­eme Partei vor allem in die Arbeiterwä­hlerschaft eindringen konnte – sich von denen einer stärker durch Kleinunter­nehmer und wohlhabend­e Rentner in Süd- und Südostfran­kreich geprägten Basis unterschei­den.

2012 hatte die FN noch eine Erhöhung aller Niedriglöh­ne um 200 Euro versproche­n, was allerdings vor allem durch den Abbau von Arbeitnehm­er- und Arbeitgebe­r-»Sozialabga­ben«, mithin durch Austrockne­n der Sozialkass­en finanziert werden sollte. Dies findet sich nicht mehr im Wahlprogra­mm. Dort bleibt allein eine Sondersteu­er in Höhe von drei Prozent auf alle Importprod­ukte bestehen. Diese soll angeblich dazu führen, dass eine »Kaufkraftp­rämie« von 80 Euro monatlich an Lohnabhäng­ige ausbezahlt werden kann.

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Foto: AFP/Jeff Pachoud Welcher Mensch diese Schrift liest und sagen kann, was sie bedeute, der soll in Purpur gekleidet werden und eine goldene Kette am Halse tragen ... (Daniel 5,7)

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