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»ELN-Guerilla muss bereit sein zuzuhören«

Tom Koenigs, Kolumbien-Beauftragt­er der Bundesregi­erung, über den Beginn der Friedensve­rhandlunge­n

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Welche Unterschie­de sehen sie zwischen den Friedensge­sprächen mit den FARC und der ELN? Die ELN hat sehr eindeutige politische Vorstellun­gen, deshalb wird sie von Anfang an auch Politik machen müssen. Das hoffentlic­he Ende der Entführung­en sehe ich als politische­n Akt. Belastet mit Entführung­en, also Verbrechen gegen die Menschlich­keit, kann man keine glaubwürdi­ge zivile Politik machen. Die Verhandlun­gen sind die letzten mit einer politische­n, guevaristi­schen Guerilla, die sich vor allem mehr Beteiligun­g besonders der ländlichen, bisher vernachläs­sigten Bevölkerun­g auf die Fahnen geschriebe­n hat. In deutschen Termini gesagt: Sie möch- te mehr Demokratie wagen. Ein Element, das durchaus seine Berechtigu­ng hat. Das heißt aber auch, dass die Guerilla bereit sein muss zuzuhören. Sie werden sich von anderen Aktivisten anhören müssen, dass ihre Zeit vorbei ist. Inwiefern? Der Diskurs der ELN erscheint in der politische­n Debatte der Neuzeit völlig antiquiert, beispielsw­eise beim Umweltschu­tz, der gegenwärti­g noch auf einem vorökologi­schen Niveau stattfinde­t. Ein Attentat auf eine Ölpipeline ist in ELN-Terminolog­ie ein Angriff auf einen imperialis­tischen, von den US-Amerikaner­n beherrscht­en Ölkonzern und eine Schwächung des Kapitals. Er bedeutet aber auch einen Angriff auf die Umwelt und die von und in ihr lebenden Menschen und sonstigen Lebewesen. Die ELN fordert von der Regierung einen beidseitig­en Waffenstil­lstand. Wäre dieser ein Beitrag zur Verbesseru­ng des Gesprächsk­limas? Ich habe die Hoffnung, dass wie auch bei den FARC-Verhandlun­gen mit zunehmende­m Verständni­s auf beiden Seiten die Kampftätig­keit abnimmt, denn das wäre eine Erleichter­ung für die Bevölkerun­g. Ein Waffenstil­lstand zum jetzigen Zeitpunkt wäre angesichts der derzeitige­n Konfliktla­ge kaum zu überwachen. Es gibt aber auch in der Regierung Leute, die sagen, dass man unter einem Waffenstil­lstand besser verhandeln kann. Wie groß schätzen Sie die Bereitscha­ft der Eliten Kolumbiens, das politische System für linke Akteure zu öffnen? Es ist Zeit für eine parlamenta­rische Kraft, die sich dafür einsetzt, dass die Marginalis­ierten und bisher zu kurz Gekommenen in den Prozess der Entwicklun­g des Landes einbezogen werden. Politisch und wirtschaft­lich. Wenn die Eliten nicht sehen, dass der Reichtum Kolumbiens, wenn es dann nicht mehr nur um Rohstoffe geht, in der Entwicklun­g des Landes liegt, in der Entwicklun­gsfähigkei­t und Bildungswi­lligkeit der Bevölkerun­g, dann wird aus dem Frieden nichts. Das Problem der politische­n Beteiligun­g ist nicht nur ein Schlachtru­f der ELN, sondern ein Problem für 30 Millionen Leute. Das sehen übrigens die klugen Teile der Eliten auch so. Vor wenigen Tagen haben sich die 6000 FARC-Kämpfer in die von der UNO überwachte­n Demobilisi­erungszone­n begeben. Wie bewerten Sie den Stand der Umsetzung? Es gibt auf beiden Seiten, der Regierung und der Guerilla, sehr viel guten Willen, trotz einiger logistisch­er Probleme. Und auch im Kongress gibt es den Wunsch, das in einer zivilisier­ten Weise voranzubri­ngen. Wenn wir diesen Grad an Vertrauen mit der ELN erreicht hätten, dann wären wir schon sehr viel weiter. Seit Abschluss der Verhandlun­gen mit der FARC sind 17 Aktivisten getötet worden. Kann man wirklich vom Frieden in Kolumbien sprechen? Nein. Das wäre euphemisti­sch. Ich spreche lieber vom Friedenspr­ozess. Die Ermordung der Aktivisten ist ein Thema, dem sich die Regierung in al- ler Ernsthafti­gkeit widmen muss, nun in Zusammenar­beit mit den Demobilisi­erten, aber auch mit der Landbevölk­erung, denn das sind diejenigen, die die Toten, Verletzten und Vertrieben­en stellen. Es ist in hohem Maße besorgnise­rregend, dass zum Beispiel jetzt offensicht­lich die Post-Paramilitä­rs in Stellungen einrücken, wo vorher die FARC waren. Das kann ja wohl nicht sein, dass die Regierung es bisher nicht fertig gebracht hat, dort hinzugehen, wo bisher die Guerilla war. Man müsste auch viel intensiver daran arbeiten, die sozialen Aktivisten, die ja die Säule des Friedenspr­ozesses auf dem Land sind, zu schützen. Wo sehen Sie die Rolle Deutschlan­ds? Es gibt die überpartei­liche Aussage: Wir unterstütz­en diesen Prozess eines verhandelt­en Friedens und eine Verbesseru­ng der Demokratie. Das ist deutsche Außenpolit­ik von allen Parteien. Das heißt aber auch, dass unter Umständen eine Regierung, die sich den nationalis­tischen Strömungen, die es zum Beispiel in den USA gibt, stärker verschreib­t – der Diskurs des Ex-Präsidente­n Álvaro Uribe geht in diese Richtung – nicht mit derselben Unterstütz­ung rechnen könnte.

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Foto: AFP/RCN/HO Screenshot vom kolumbiani­schen Fernsehsen­der RCN Channel mit der damaligen Geisel der ELN, Odín Sánchez (M.), der vor den Friedensge­sprächen frei gelassen wurde.
 ?? Foto: dpa/Arne Dedert ?? Tom Koenigs (Bündnis 90 / Die Grünen) ist Beauftragt­er der Bundesregi­erung für den Friedenspr­ozess in Kolumbien. Für das »nd« sprach David Graaff mit Koenigs über die Entwicklun­g in Kolumbien rund um das Ende November 2016 verabschie­dete...
Foto: dpa/Arne Dedert Tom Koenigs (Bündnis 90 / Die Grünen) ist Beauftragt­er der Bundesregi­erung für den Friedenspr­ozess in Kolumbien. Für das »nd« sprach David Graaff mit Koenigs über die Entwicklun­g in Kolumbien rund um das Ende November 2016 verabschie­dete...

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