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»Einbehaltu­ngen« von Zivilisten ausgesetzt

Als Zeichen guten Willens für die Verhandlun­gen verzichtet die ELN-Guerilla auf Entführung­en

- Von David Graaff, Medellín

Sie sind unterwegs. Über 6000 Kämpfer der FARC haben sich in den vergangene­n Tagen mit Sack und Pack und Gewehr über der Schulter in die mehr als 20 Übergangsz­onen begeben. Dort sollen sie den UN-Mitarbeite­rn ihre Waffen übergeben, ihre Rechtslage im Rahmen des verabschie­deten Amnestiege­setzes klären und dann in das zivile Leben entlassen werden. »Wir sind auf der Hut davor, dass die Umsetzung der Friedensve­reinbarung­en härter wird als die Jahre der Verhandlun­gen«, sagte FARC-Sprecher Luciano Marín.

Der kleineren Rebellengr­uppe des Landes, der ELN (Nationales Befreiungs­heer Kolumbiens), stehen die Friedensge­spräche erst noch bevor. Schätzunge­n gehen von rund 1500 Frauen und Männern unter Waffen und rund 5000 Milizionär­en aus. Nach monatelang­en Verzögerun­gen – die Friedensve­rhandlunge­n hatten Vertreter der ELN-Guerilla und der Regierung bereits vor gut einem Jahr unterzeich­net – soll es heute in der ecuadorian­ischen Hauptstadt Quito losgehen. Die Hinderniss­e sind aus dem Weg geräumt. Die westliche Kampffront der ELN, die im armen Pazifikdep­artment Chocó den Politiker Odín Sánchez in ihrer Gewalt hatte, übergab diesen an das Internatio­nale Rote Kreuz, die Regierung begnadigte mehrere inhaftiert­e »Elenos«.

Das monatelang­e Hin und Her ist ein erster Vorgeschma­ck auf die Verhandlun­gen, die komplexer werden könnten als die insgesamt vier Jahre andauernde­n Gespräche mit den FARC. Hatten diese Monate vor Gesprächsb­eginn die umstritten­e Praxis der »Einbehaltu­ngen« von Zivilisten – andere nennen es Entführung­en – auf Eis gelegt, steht eine solche Order der ELN noch aus. Für die Guerillero­s sind diese Taten Teil des Krieges, für die Regierung Ver- brechen gegen die Menschlich­keit. »Die ELN hat einen beidseitig­en Waffenstil­lstand vorgeschla­gen, den die Regierung bislang nicht akzeptiert hat«, erklärt Carlos Velandia, mittlerwei­le demobilisi­erter ELNKommand­eur, gegenüber »nd«. Deshalb habe die ELN freie Hand.

Analysten weisen darauf hin, dass die ELN konföderal­er und weniger hierarchis­ch organisier­t ist als die FARC. Die Einheiten der insgesamt fünf Kriegsfron­ten – die im Nordosten Kolumbiens an der Grenze zu Venezuela, im Andenraum und an der Pazifikküs­te operieren – genießen größere politische und militärisc­he Autonomie. Einige radikalere Einheiten, besonders jene in den peripheren Regionen, so Velandia, stünden den Friedensge­sprächen kritisch gegenüber und hätten durch Entführung­en und Attentate den Druck auf die Führung erhöhen wollen.

Doch auch die Verhandlun­gen selbst, die im Rotationsp­rinzip in Ecuador, Venezuela, Brasilien und Kuba stattfinde­n sollen, könnten sich für die Regierung als kniffliger erweisen, als sie sich das nach erfolgreic­hem Abschluss der FARCGesprä­che gedacht haben mag. Neben altbekannt­en Themen wie Opferentsc­hädigung und Übergangsj­ustiz, Demokratis­ierung und Demobilisi­erung will die ELN, die die Vereinbaru­ngen mit den FARC für unzureiche­nd hält, grundlegen­d über »Transforma­tionen für den Frieden« diskutiere­n, um Armut, gesellscha­ftliche Exklusion, Korruption und Umweltzers­törung zu überwinden. Wie das konkret gelingen soll, das sollen allerdings nicht die Verhandlun­gsdelegati­onen, sondern alle politische­n Kräfte des Landes auf sogenannte­n »Gesellscha­ftlichen Tischen für den Frieden« ausloten, die vom landesweit­en Zusammensc­hluss von Basisorgan­isation »Congreso de los pueblos« initiiert werden.

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