Es wird wieder dereguliert
In den Banken der Eurozone lauert eine Billion Euro an faulen Krediten
Der Scherbenhaufen, den die Finanzkrise in Europa hinterließ, ist noch längst nicht aufgeräumt. Doch die EU-Kommission plant, der Bankenwelt wieder mehr Spielraum für Spekulationen zu geben.
Ein Jahrzehnt ist es mittlerweile her, da begann die Finanzbranche zu beben und die größte Krise seit der Großen Depression der 1930er Jahre bahnte sich weltweit ihren Weg. Zehn Jahre, das ist offenbar genug Zeit, dass nicht nur US-Präsident Donald Trump wieder an der Deregulierungsschraube dreht. Auch in der EU, so warnen die Forscher des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in einer am Montag veröffentlichten Studie, ist man dabei, die Lehren aus der Finanzkrise zu vergessen und den Banken wieder mehr freien Lauf zu lassen.
Dabei ist der Scherbenhaufen, den das Platzen der Immobilienblasen in den USA und Teilen Europas hinterließ, noch längst nicht aufgekehrt. In Ländern wie Griechenland und Spanien ist die Arbeitslosigkeit weiterhin auf Rekordniveau. Vor allem aber ist der Anteil der faulen Kredite in einigen von der Eurokrise besonders betroffenen Ländern in den letzten Jahren kräftig gestiegen. Das Risiko, dass eine Bank ins Wanken geraten könnte, ist dadurch also wieder höher.
Auf rund eine Billion Euro beläuft sich nach Daten der Europäischen Zentralbank das Volumen dieser seit mindestens 90 Tagen nicht mehr bedienten Kredite. Eine Billion Euro, das sind knapp ein Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung Deutschlands beziehungsweise neun Prozent der der gesamten Eurozone. In den Krisenländern waren über 15 Prozent aller Kredite toxisch, in der gesamten Währungsunion lag der Anteil bei sieben Prozent. Und bei knapp 60 Prozent dieser Verbindlichkeiten sind die Schuldner schon länger als ein Jahr im Zahlungsverzug.
Doch entgegen der derzeitigen Debatte um steigende Miet- und Immobilienpreise ist laut den IMK-Forschern eine mögliche Blase auf dem hiesigen Häusermarkt bei Weitem nicht das größte Risiko. »Bisher ist der Anstieg der Wohnungsbaukredite in Deutschland zwar nennenswert, aber Raten von knapp vier Prozent für pri- vate Haushalte sollten lediglich Anlass zu erhöhter Wachsamkeit geben«, lautet das Fazit der beiden IMKStudienautoren Thomas Theobald und Silke Tober.
Stattdessen beunruhigt sie vor allem ein Land: Italien. Ein Drittel der kritischen Verbindlichkeiten entfallen auf das südeuropäische Land. Im Gegensatz zu 2007 sind dies jedoch keine Immobilienkredite, sondern vor allem Unternehmen können ihre Verbindlichkeiten bei den Geldhäusern nicht mehr begleichen. Der Grund dafür ist laut den IMK-Ökonomen, dass sich Italien immer noch nicht von der Finanzkrise 2007 erholt hat. Im Gegensatz zu Spanien etwa hat das Land seitdem keine längere Phase des Wachstums erlebt, was sich nun verstärkt auf die Solvenz der Unternehmen und damit auch auf die Lage der Banken auswirkt.
Besonders ernst ist die Situation bei der drittgrößten Bank des Landes, der Banca Monte dei Paschi di Siena. Auf 8,8 Milliarden Euro schätzt die EZB ihren Kapitalbedarf. Insgesamt braucht die italienische Finanzwelt im nächsten halben Jahr 20 bis 40 Milliarden Euro an frischem Geld. Rom hat deswegen bereits ein 20 Milliarden Euro schweres Rettungspaket geschnürt, das »die italienische Staatsschuldenquote um etwa 1,2 Prozentpunkte des BIP erhöhen dürfte«, schätzen die Forscher des IMK.
Bei den heimischen Banken ist es die zu geringe Eigenkapitaldecke, die Sorge bereitet. Bei der Deutschen und der Commerzbank beträgt diese lediglich 3,5 beziehungsweise 4,5 Prozent. Die Forscher empfehlen deswegen den betroffenen Banken, in den kommenden Jahren keine Dividenden auszuzahlen und die Gehälter für Management und handelsnahe Bereiche vorerst nicht weiter zu erhöhen. Auf europäischer Ebene hält das IMK eine Stärkung von Staatsanleihen als »sicheres Wertaufbewahrungsmittel« für wünschenswert, um die Finanzwelt stabiler zu machen.
Die von der EU-Kommission geplante Kapitalmarktunion könnte jedoch das Gegenteil bewirken. Denn in diesem Rahmen will Brüssel es den Banken wieder ermöglichen, Kreditrisiken mithilfe von Verbriefungen auszulagern. Diese Maßnahme drohe »mittelfristig kontraproduktiv auf die Entwicklung von Wachstum und Beschäftigung zu wirken«, warnen die gewerkschaftsnahen Ökonomen.