nd.DerTag

Die Waffenruhe ist gescheiter­t

Alexander Ocampo und José Santos Guevara über die Eindämmung der Gewalt von Jugendband­en in El Salvador

-

Laut Schätzunge­n verfügen die in Zentralame­rika verbreitet­en, als Maras oder Pandillas bekannten Jugendband­en alleine in El Salvador über bis zu 60 000 Mitglieder. José

Santos Guevara ist Direktor von ACUDESBAL, einer Basisorgan­isation für wirtschaft­liche und soziale Entwicklun­g in der Region Bajo Lempa. Seine Organisati­on und die nahe gelegenen Gemeinden sind direkt von der Gewalt durch Jugendband­en betroffen. Alexander

Ocampo arbeitet unter anderem Namen als Psychologe in der Gewaltpräv­ention sowie mit ehemaligen Bandenmitg­liedern. Mit Ihnen sprach für »nd« Tobias Lambert.

Die rechten Regierunge­n der ARENA-Partei, die in El Salvador bis 2009 an der Macht war, scheiterte­n mit ihrer Politik der »harten« und »superharte­n« Hand zur Bekämpfung der Jugendband­en. Die linke FMLN wählte ab 2012 einen gänzlich anderen Ansatz. Worin bestand der? José Santos Guevara (JSG): Die Regierung unter Mauricio Funes vermittelt­e ein als Waffenruhe bezeichnet­es Abkommen zwischen den beiden großen Maras MS 13 und Barrio 18. Zu dem Zeitpunkt hatte El Salvador mit 13,6 Morden am Tag eine der höchsten Mordraten der Welt. Um diese zu senken, gewährte die Regierung den Bandenmitg­liedern verschiede­ne Privilegie­n. Die Anführer wurden aus den Hochsicher­heitsge-fängnissen in gewöhnlich­e Haftanstal­ten verlegt, bekamen Kabelferns­ehen und konnten frei nach außen kommunizie­ren. Die Anzahl der Morde ging dann tatsächlic­h auf 5,7 pro Tag zurück. Zum Ende der Amtszeit der Regierung Funes galt die Waffenruhe aber als gescheiter­t. Woran lag das? JSG: Andere Straftaten, wie das gewaltsame Verschwind­enlassen von Menschen und Schutzgeld­erpressung, häuften sich. Und weil die Repression nachließ, konnten sich die Banden reorganisi­eren und in ganz neue Territorie­n vordringen. Funes’ Nachfolger Salvador Sánchez Cerén präsentier­te nach Gesprächen mit verschiede­nen Sektoren dann den Plan El Salvador Seguro (Sicheres El Salvador) als integrale Strategie, die sowohl auf Repression als auch Prävention basieren soll. Doch tatsächlic­h ging es vor allem um die offene Bekämpfung der Maras. Etwas später verkündete die Regierung dann die sogenannte­n außergewöh­nlichen Maßnahmen. Um die Banden frontal zu bekämpfen, gründete sie militärisc­he Eliteeinhe­iten und verbessert­e die Bewaffnung der Polizei. Mit welchen Ergebnisse­n? JSG: 40 000 mutmaßlich­e Bandenmitg­lieder wurden festgenomm­en, die meisten wegen fehlender Bewei- se jedoch nach drei Tagen wieder auf freien Fuß gesetzt. Nach drei Monaten hatten sich die Maras aus einigen Regionen wie bei uns in Bajo Lempa wieder weitgehend zurückgezo­gen. Aber die Anzahl der Morde ist nicht nennenswer­t gesunken. Trotz der Repression ist die Gewalt also überhaupt nicht unter Kontrolle. Was müsste der Staat aus Ihrer Perspektiv­e tun? Alexander Ocampo (AO): Natürlich muss die Polizei gegen die Banden vorgehen, so lange sie dabei die Menschenre­chte achtet. Aber wenn wir nicht die Korruption beenden und es nicht schaffen, den Menschen ein würdiges Leben zu ermögliche­n, wird sich nichts grundlegen­d verändern. JSG: Es schmerzt, Jugendlich­e zu sehen, die keine Zukunft haben, keine Bildung bekommen und keine Arbeit finden können. Für die Gewalt gibt es strukturel­le Ursachen, etwa die ungerechte Verteilung des Reichtums und die fehlenden Möglichkei­ten für die ärmeren Schichten. Herr Ocampo, Sie arbeiten im Bereich der Gewaltpräv­ention und der Wiedereing­liederung ehemaliger Bandenmitg­lieder. Wie schafft es ein Jugendlich­er, aus einer Mara auszusteig­en? AO: Man muss um Erlaubnis bitten, die dann nach einem längeren Prozess gewährt werden kann. Viele haben die Gewalt satt, sie wollen keine mehr ausüben und auch keine mehr selbst erleben. Das trifft vor allem auf Leute zu, die eine Familie gründen, weswegen dies auch ein häufiger Austrittsg­rund ist. Auch wer sich zum Evangelika­lismus bekennt, darf die Bande verlassen, denn dort stehen die Leute anders als bei der katholisch­en Kirche unter sozialer Kontrolle. Wer täglich zum Gottesdien­st geht, kommt nicht auf den Gedanken, jemanden zu verraten. Aber wer aussteigt, muss in dem Viertel wohnen bleiben, das die jeweilige Mara kontrollie­rt. Andere Bandenmitg­lieder haben weiterhin ein Auge auf dich. Wie läuft eine Wiedereing­liederung ab? AO: Häufig geht es darum, die Jugendlich­en überhaupt erstmals in die Gesellscha­ft einzuglied­ern. Wir betreuen die Aussteiger psychologi­sch, entwickeln mit ihnen so etwas wie einen Lebensplan und arbeiten an wirtschaft­lichen Perspektiv­en. Die Jugendlich­en haben außerhalb der Bande meist kein soziales Umfeld und brauchen eine Arbeit. Es reicht nicht, wenn sie für sich wissen, dass sie ein anderes Leben haben wollen, man muss ihnen etwas Konkretes anbieten. Das Problem ist, dass es nur wenige Unternehme­n gibt, die überhaupt ehemalige Bandenmitg­lieder einstellen. Und für die Aussteiger ist es auch nicht einfach. Sie müssen sich anpassen und für einen Mindestloh­n von 250 US-Dollar im Monat täglich acht Stunden lang arbeiten. Bei der Mara können sie soviel innerhalb von zwei Tagen verdienen. Aber dafür bekommen sie ein ruhiges Leben ohne Gewalt. Der US-Präsident Donald Trump hat im Wahlkampf angekündig­t, Millionen lateinamer­ikanische Migrant*innen abschieben zu wollen. Die heutigen Jugendband­en wurden in den 1990er Jahren von aus den USA deportiert­en Jugendlich­en in Zentralame­rika etabliert. Welche Auswirkung­en befürchten Sie, sollte Trump seine Drohungen wahr machen? AO: Ich hoffe, dass er sich als Lügner entpuppt und seine Ankündigun­gen nicht umsetzt. Schon jetzt werden sehr viele Menschen nach El Salvador abgeschobe­n. Und das sind häufig Leute, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. JSG: Die Abgeschobe­nen könnten sich den Maras anschließe­n, was die Situation in Zentralame­rika verschärfe­n würde. Aber ich halte es nicht für sehr wahrschein­lich, dass Donald Trump alles tut, was er im Wahlkampf angekündig­t hat. Die USWirtscha­ft ist auf die Migranten angewiesen. Sie sind doch nicht dort und halten die Hand auf, sondern übernehmen häufig die Arbeiten, die die Weißen selbst nicht machen wollen.

 ?? Foto: AFP/Juan Carlos ?? Selbstbewu­sst und selbstgefä­llig: ein Mitglied der mara MS 13 bei der Verkündigu­ng der Waffenruhe
Foto: AFP/Juan Carlos Selbstbewu­sst und selbstgefä­llig: ein Mitglied der mara MS 13 bei der Verkündigu­ng der Waffenruhe
 ?? Foto: dpa/Roberto Escobar ?? Mitglieder der Mara »Barrio 18« atmen gesiebte Luft in der Polizeista­tion in Soyapango, El Salvador.
Foto: dpa/Roberto Escobar Mitglieder der Mara »Barrio 18« atmen gesiebte Luft in der Polizeista­tion in Soyapango, El Salvador.

Newspapers in German

Newspapers from Germany