Anti-Stress-Kur für das Standesamt
In Bremen war es monatelang unmöglich zu heiraten – ein Sonderbeauftragter des Senats organisierte den Neustart
»Kinderkriegen macht wieder Spaß in Bremen«, sagt der Bremer Senator Mäurer: »Jedenfalls sind nicht mehr wir das Problem bei dieser Sache.« Auch eine Methode, ein Behördenversagen anzusprechen. Gut gelaunt präsentierte Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) dieser Tage für das Haupt-Standesamt der Hansestadt ein neues Konzept, durch das es nie wieder zu Zuständen wie 2016 kommen werde. Da nämlich kollabierte die StandesamtsVerwaltung: Zunächst hatte man wegen aufgebrachter Kundschaft unter Polizeischutz arbeiten müssen, dann wurde das Standesamt komplett geschlossen.
Vor allem wegen Personalmangels hatte es einen derartigen Bearbeitungsstau bei Geburts- und Heiratsangelegenheiten gegeben, dass mehrere Wochen lang in Bremen nicht geheiratet werden konnte. Eltern mussten teils über fünf Monate auf Geburtsurkunden ihres Nachwuchses warten. Während Heiratswillige auf das niedersächsische Umland ausweichen konnten, kamen Eltern zum Teil in Existenznot, weil sie ohne Geburtsurkunde weder Kinder- noch Elterngeld, noch andere staatliche oder soziale Leistungen bekamen. Auch konnten sie ihren Nachwuchs nicht in Kinderkrippen anmelden.
Das Ausstellen von Sterbeurkunden stockte ebenfalls, weshalb viele Hinterbliebene ihre Angehörigen nicht bestatten konnten und ihnen so weitere Kosten entstanden. In besondere Bedrängnis kamen dabei diejenigen Familien, deren Religion eine zeitnahe Beisetzung vorschreibt. Die Schlie- ßung des Standesamtes war eine Art Notbremse, um dem eingesetzten Sonderbeauftragten Heinz-Jürgen Nagel Zeit für die Behebung der Missstände zu geben. Auch wurde neues Personal eingestellt. Es sei wichtig, »nicht auf ganz dünnem Eis zu gehen« umschrieb Senator Mäurer die Auswirkungen radikaler Personalkürzungswellen in der Verwaltung.
Der ehemalige Bremer Amtsgerichtsleiter Nagel krempelte als neuer Chef in der altehrwürdigen Stan- desamtsvilla tatsächlich vieles um. Hinter den verschlossenen Türen wurden zusätzliche Leute eingearbeitet, die gemeinsam mit dem noch verbliebenen Personal rund um die Uhr arbeiteten – auch am Wochenende. Schließlich wurde der Stau bei der Geburtenregistrierung abgebaut – allein im vergangenen August beurkundete das Amt 1300 Geburten, obwohl nur 550 neu angemeldet waren. Auch der Stau bei den Sterbeurkunden wurde reduziert. Bei den ver- bliebenen 400 fehlten notwendige Papiere, so Nagel.
Installiert wurde ein neues, auf Digitalisierung und Kooperation setzendes System. Bereits in Geburtskliniken und bei einigen Geburtsärzten liegen nun Broschüren vor, die das Prozedere der Anmeldung in den laut Mäurer »aktuell fünf gängigen Sprachen« erklären. Die Kliniken übernehmen die Geburtsanmeldung beim Standesamt, das diese dann tagesaktuell bearbeitet. Die Eltern müssen die Urkunde nur noch abholen.
Auch das dreistufige Verfahren bis zu einer vollzogenen Trauung wurde digitalisiert und so vereinfacht, dass es laut Mäurer und Nagel selbst in der Hochzeits-Hochsaison keine nennenswerten Wartezeiten mehr gibt. »Kinderkriegen macht wieder Spaß in Bremen«, sagte Mäurer und schob nach: »Jedenfalls sind nicht mehr wir das Problem bei dieser Sache.«
»Problem« war das Stichwort für Nagel, der ein großes, antik wirkendes Buch präsentierte, das rund 300 000 noch nicht digitalisierte »Geburtsvorgänge« und 160 000 ebensolche Eheschließungen enthält. Alles, was vor 2009 war, ist noch nicht digitalisiert. Die Ausstellung älterer Abschriften ist also noch immer zeitaufwendig und auch eine sportliche Herausforderung, weil die Urkundenbücher sehr groß und schwer sind und in hohen Regalen lagern.
Der Sonderbeauftragte Nagel wurde jetzt von Mäurer mit Lobeshymnen aus dieser Funktion entlassen, aber nicht in den Ruhestand, wie Nagel es eigentlich geplant hatte. Sein Dienstherr braucht ihn in anderen Verwaltungsbereichen. Im Standesamt soll die Digitalisierung nun vom Stammpersonal bewältigt werden.