Das ganze Volk in einem Saal
Die Bundesversammlung ist die eigentümlichste Verfassungsinstitution der Bundesrepublik – eine Mehrheit will sie am liebsten abschaffen
Schauspieler, Sängerinnen, Sportgrößen – das Wahlgremium für das Staatsoberhaupt soll das Land mit besonderer Würde verkörpern. Nicht allen leuchtet das ein. Wie genau setzt sich eigentlich diese Bundesversammlung zusammen? Selbst politisch gebildete Bundesrepublikaner lassen sich mit dieser Frage bisweilen aufs Glatteis führen.
Ein Grund dafür könnte sein, dass sich in dem Verfassungsorgan, dessen einzige Aufgabe die Wahl des Staatsoberhauptes ist, regelmäßig allerlei Prominente finden, die man zunächst nicht mit staatstragenden Akten in Verbindung bringt. So werden, wenn die Versammlung in wenigen Tagen den Nachfolger von Joachim Gauck bestimmt, unter anderem die Schauspielerin Nina Hoss, der Sänger Sebastian Krumbiegel von den »Prinzen«, der Liedermacher Konstantin Wecker, der Chefolympier Thomas Bach, der Komiker Hape Kerkeling und der Fußballtrainer Joachim Löw zur Wahl schreiten.
Diese Menschen werden von den Landesparlamenten entsandt – entsprechend dem Stimmenanteil der Parteien. Dass neben den Profis aus dem Bundestag auch solche Persönlichkeiten den Präsidenten wählen, soll dessen Amt mehr Gewicht verleihen. Die Bundesversammlung symbolisiert das ganze Volk in einem Saal. Nominiert werden die Wahlleute aber von Parteien, fast immer stimmen sie entsprechend ab.
Das Grundgesetz hat diese seltsame Versammlung an die Stelle einer Direktwahl des Staatsoberhaupts gesetzt – auch wegen der schlechten Erfahrungen der Weimarer Republik. Damals ernannte der direkt gewählte Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler und regierte schon vorher per Dekret am Parlament vorbei – legitimiert durch Volkes Zustimmung.
Eine weitere historische Besonderheit der Bundesversammlung besteht darin, dass in ihr schon vor 1989/90 auch die Vertreter des offiziell nicht zur BRD gehörenden Westberlin stimmberechtigt waren – anders als im Bundestag. Insofern verkörperte die Versammlung den nie ganz aufgegebenen Anspruch der Bonner Re- publik auf eine Alleinvertretung des deutschen Volkes.
Eine deutliche Mehrheit der Deutschen hat freilich nicht mehr viel am Hut mit dieser Geschichte. In einer aktuellen Umfrage des Institutes YouGov sprechen sich 71 Prozent für eine Direktwahl des Präsidenten durch das Volk aus. Nur 16 Prozent sind dagegen. Freilich wollen 50 Prozent keinen Machtzuwachs auch für einen direkt gewählten Präsidenten, 37 Prozent befürworten dies.
18 Prozent erwarten, dass der voraussichtlich neue Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein besserer Bundespräsident als sein Vorgänger wird, 20 Prozent sehen es umgekehrt. 36 Prozent erwarten keinen Unterschied.