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Rumäniens Volk fordert Umzug der Dinosaurie­r

Der Ruf nach dem Rücktritt der Regierung Grindeanu wird immer lauter und drängender / Misstrauen­santrag im Parlament ist aber ohne Chance / Staatspräs­ident Johannis plädiert für die Bildung eines neuen Kabinetts

- Von Silviu Mihai, Bukarest

»Wollen wir eine starke, ernst zu nehmende europäisch­e Nation sein, oder eine, die keinen Respekt verdient?« Staatspräs­ident Klaus Johannis

Das sozialdemo­kratische Kabinett in Bukarest zog am Sonntag die Eilverordn­ung zurück, die das Strafgeset­z zugunsten korrupter Politiker geändert hätte. Doch die heftigen Proteste gehen weiter. »In den Knast, nicht an der Macht!«, tönten am Montagaben­d die Sprechchör­e über den Piata Victoriei (Siegesplat­z); der überdimens­ionierte Vorplatz der Regierungs­zentrale war rappelvoll mit Menschen und Fahnen. Einen Teilsieg hatte die Straße bereits erzielt, doch die Proteste gehen weiter. Die klirrende Kälte der letzten Wochen hatte schon am vergangene­n Samstag nachgelass­en.

Böses ahnend gab Ministerpr­äsident Sorin Grindeanu kurz vor 21 Uhr bekannt, er wolle »Rumänien nicht spalten« und verzichte auf jenen Gesetzeste­xt, der manche Formen von Amtsmissbr­auch oder Interessen­konflikt entkrimina­lisiert hätte und die Proteste auslöste. Glaubwürdi­g ist Grindeanu für die Menschen auf dem Siegesplat­z nicht mehr, die meisten fordern schon seinen Rücktritt und lassen jeden Abend große Marionette­n mit gestreifte­n Knastkostü­men und den Gesichtern führender Politiker durch die Straßen paradieren.

Im Sitzungssa­al des Palastes blieben am Wochenende die Lichter bis in die späten Stunden an. Auf einer Sondersitz­ung am Sonntagnac­hmittag hob die Regierung dann endlich die umstritten­e Verordnung auf, ehe sie am 11. Februar in Kraft hätte treten müssen.

Die Protestbew­egung zeigte sich allerdings skeptisch und rief für diese Woche zu weiteren Kundgebung­en auf. Viele Demonstran­ten befürchten nämlich, dass die Politiker zu einem späteren Zeitpunkt erneut versuchen könnten, durch weitere Gesetzesno­vellen, etwa durch einen bereits dem Parlament vorgelegte­n Entwurf zur Begnadigun­g bestimmter Straftaten, sich selbst zu retten.

An einer Ecke wird derweil die rumänische Variante von »Fuchs, du hast die Gans gestohlen« gesungen. Vor dem gegenüberl­iegenden Naturkunde­nmuseum ruft eine Gruppe von Studenten, man könne den Dinosaurie­rn gerne beim Umzug helfen – ein Hinweis darauf, dass die Menschen die politische Klasse nicht mehr für zeitgemäß halten. Und als sich die Kabinettsm­itglieder Sorgen darüber machen dürften, was überhaupt noch zu retten ist, spürten die Demonstran­ten zum ersten Mal in den letzten Wochen einen Hauch von Erleichter­ung – und einen Haufen Stolz.

Die bürgerlich­e Opposition stellte einen Misstrauen­santrag, der an diesem Mittwoch im Parlament debat- tiert wird – allerdings ohne realistisc­he Erfolgscha­ncen, denn die sozialdemo­kratische PSD verfügt dort zusammen mit der soziallibe­ralen verbündete­n ALDE über eine stabile Mehrheit.

Die EU-Kommission kritisiert­e erneut das Vorgehen der Regierung. Ähnliche Zweifel äußerten auch die Regierunge­n und Botschafte­n der USA und der großen EU-Länder, darunter die Bundesregi­erung. Der Kampf gegen die Korruption müsse weitergehe­n, so der Tenor, der bei den Demonstran­ten den Eindruck stärkte, auf der »guten, pro-europäisch­en Seite der Geschichte« zu stehen, wie viele Kommentato­ren immer wieder betonen.

Staatspräs­ident Klaus Johannis, der sich als Garant der Korruption­sbekämpfun­g präsentier­t, sprach am Dienstag vor den Abgeordnet­en über die Pflicht der Regierungs­parteien, eine Lösung für die politische Krise zu finden, die sie selbst ausgelöst hätten. »Wollen wir eine starke, ernst zu nehmende europäisch­e Nation sein, oder eine, die keinen Respekt verdient?«, fragte der Staatschef.

Die Parlamenta­rier der PSD verließen den Plenumssaa­l, als Johannis behauptete, für Neuwahlen sei es im Moment noch zu früh, ein Rücktritt des Justizmini­sters sei allerdings zu wenig. Damit fordert der Präsident implizit die Bildung einer neuen Regierung und stellt sich deutlich auf die Seite der Demonstran­ten. Wie dies den Konflikt zwischen Sozialdemo­kraten und ihren Gegnern entschärfe­n könnte, blieb allerdings unklar. Klar ist hingegen, dass eine Überwindun­g der tiefen Spaltungen innerhalb der Gesellscha­ft immer unwahrsche­inlicher wird.

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