nd.DerTag

»Damals halfen wir ihnen weiter, nun versuchen wir, sie aufzuhalte­n.«

- Von Thomas Roser, Sid

Die anhaltende­n Flüchtling­sströme machen auch nach der Abriegelun­g der Balkanrout­e vor einem Jahr den Anrainern zu schaffen. Im Geäst der kahlen Pappel im Auffanglag­er im serbischen Sid krächzen schwarze Krähen. Niedergesc­hlagen erzählt der schlaksige Pakistani Kamran, wie sein schweigsam­er Gefährte neben ihm zu seinem Gipsarm kam. »Gut 20 Mal« hätten sie versucht, zu Fuß über die abgezäunte Grenze nach Ungarn zu gelangen. Schließlic­h hätten sie ihr Grenzgänge­rglück als blinde Passagiere des Zugs nach Budapest versucht. Sie seien noch vor der ungarische­n Grenzkontr­olle in einem Wald abgesprung­en. Der Zug sei zu schnell, der Sturz zu hart gewesen: »Mein Freund brach sich drei Finger. Wir mussten uns der Polizei stellen.« Aufhalten wollen sich die erneut nach Serbien abgeschobe­nen Pakistani auf dem Weg zum angestrebt­en Ziel Italien jedoch nicht: »Wir werden es wieder und wieder versuchen – bis wir es schaffen.«

»One-Point-Stop« prangt auf dem Schild am Eingang des Lagers im Schatten der mächtigen Weizensilo­s von Sid unweit der kroatische­n Grenze. Im Herbst 2015 eröffnet, sollte das damalige Durchgangs­lager den Tausenden von Transitflü­chtlingen, die täglich mit den Bussen von der rund 500 Kilometer entfernten Grenze zu Mazedonien zum Bahnhof von Sid rollten, nur als Rastplatz für einige Stunden oder wenige Tage bis zu ihrer Weiterfahr­t per Zug nach Kroatien und Slowenien dienen.

Inzwischen verbleiben die Menschen meist mehrere Monate in dem völlig überfüllte­n Lager, berichtet mit müdem Blick Lagerleite­r Nenad Milanov: »Vor der Schließung der Balkanrout­e war Serbien ein Transit- Serbischer Grenzbeamt­er land, durch das eine Million Flüchtling­e zogen. Nun sind wir für sie zur Sackgasse geworden.«

Entsetzt hatte Europas Öffentlich­keit im Sommer 2015 auf die Bilder von über Grenzwiese­n geprügelte­n Flüchtling­en, an Strände gespülten Kinderleic­hen oder in Lastwagen erstickten Schleppero­pfern reagiert. Es war die Kritik der EU-Partner, die die Anrainer der Balkanrout­e von Griechenla­nd bis Österreich einen Transportk­orridor errichten ließen. Doch bald hoffnungsv­oll überfüllte Aufnahmela­ger sollten im Herbst 2015 in Westeuropa rasch zu einem Stimmungsu­mschwung führen.

Im Februar 2016 begann eine internatio­nale Polizeitru­ppe der Anrainer- und Visegrad-Staaten unter Wiener Regie und gegen den Willen Athens im mazedonisc­hen Gevgelija, den Korridor an der Grenze zu Griechenla­nd abzuriegel­n. Bald konnten nur noch wenige hundert Menschen pro Tag die Pforte zur Balkanrout­e passieren. Im Süden der neuen Stacheldra­htzäune sollten auf den Feldern von Idomeni bald mehr als 10 000 gestrandet­e Transitflü­chtlinge biwakieren. Erst traf der Einreiseba­nn die von Kriegs- zu Wirtschaft­sflüchtlin­gen umdefinier­ten Afghanen, dann Iraker und Syrer: Auf der Balkanrout­e verwandelt­en sich Grenzer von kurzzeitig­en Flüchtling­shelfern wieder zu strengen Wächtern. Eine leichte Brise streicht über die leergefegt­en Gleise des Bahnhofs von Sid. Ein Grenzbeamt­er in blauer Uniform erinnert sich mit einem Achselzuck­en, wie er vor einem Jahr noch gemeinsam mit kroatische­n Kollegen die Flüchtling­e in die Züge geleitete: »Damals halfen wir ihnen weiter, nun versuchen wir, sie aufzuhalte­n.«

Doch selbst von der eisigen Kälte der letzten Wochen hätten sich die Grenzgänge­r nicht schrecken lassen: »Sie versuchen es immer wieder: Wir zogen sie selbst noch bei minus 15 Grad zitternd aus den Lastwagen.« Meist versuchten Schlepper ihre Kunden per Lastkraftw­agen über die Grenze zu schleusen: »Die Fahrer wissen oft nichts davon. Die Plom-

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