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Bewährungs­strafe für »Rigaer 94«-Unterstütz­er

Sadiem Y. wurde wegen Landfriede­nsbruch und Körperverl­etzung von Polizisten verurteilt

- Von Johanna Treblin

»Ich habe selten ein Verfahren erlebt, bei dem sich Belastungs­zeugen so sehr abgesproch­en haben.« Verteidige­rin Regina Götz

Die Staatsanwa­ltschaft forderte mehr als zwei Jahre Haft für den linken Aktivisten, die Verteidigu­ng plädierte auf Freispruch. Sadiem Y., genannt Balu, muss nicht noch einmal ins Gefängnis. Die Richterin verurteilt­e ihn zu einem Jahr und sieben Monaten Haft auf Bewährung. Auf ihn könnte allerdings eine weitere Anklage zukommen. Sadiem Y. war am 9. Juli 2016 auf einer Demonstrat­ion gegen Gentrifizi­erung und für das linke Hausprojek­t in der Rigaer Straße 94 in Friedrichs­hain verhaftet worden. Nach Aussagen einer Polizeizeu­gin soll Y. einen Polizisten durch einen Steinwurf verletzt haben.

Die Staatsanwä­ltin hatte in ihrem Schlussplä­doyer am Dienstag wegen Körperverl­etzung, Landfriede­nsbruch, Widerstand gegen die Staatsmach­t und Beleidigun­g von Polizis- ten zwei Jahre und drei Monate Haft gefordert. Die Verteidigu­ng plädierte auf Freispruch. Sie sah es als nicht erwiesen an, dass es sich bei dem Angeklagte­n um die Person handele, die von der Polizeizeu­gin und ihrem Kollegen beobachtet worden war. Zudem könne der Polizist, der vor Gericht ausgesagt hatte, einen Stein abbekommen zu haben, nicht durch den von der Zeugin beobachtet­en Wurf getroffen worden sein, da die Wurfrichtu­ng sich nicht mit der Position des Polizisten decke.

Später soll Y. die ihn festnehmen­den Polizisten mit der Buchstaben­kombinatio­n »ACAB« beleidigt haben, die für »All cops are bastards« (Alle Polizisten sind Bastarde) steht. Die Verteidigu­ng erklärte, zum einen sei im Videobewei­s nicht erkennbar, dass Y. gesprochen habe. Zum anderen sei »ACAB« eine auf die Polizei insgesamt bezogene Meinungsäu­ßerung, die durch das Grundgeset­z gedeckt sei.

»Ich habe selten ein Verfahren erlebt, bei dem sich Belastungs­zeugen so sehr abgesproch­en haben«, sagte Verteidige­rin Regina Götz. Die Polizeizeu­gen hatten erklärt, sich ausführlic­h auf den Prozess vorbereite­t, nicht aber abgesproch­en zu haben.

Zum Abschluss gab auch Balu selbst eine Erklärung ab. Darin wies er auf diskrimini­erende Äußerungen mehrerer Polizeizeu­gen hin, die ihn als »phänotypis­ch nicht deutsch« bezeichnet und ihm eine »große Nase« zugeschrie­ben hatten. Wie bereits seine Anwälte kritisiert­e auch Balu, dass die Staatsanwä­ltin während des Prozesses mehrfach von »kriegsähnl­ichen Zuständen« während der Demonstrat­ion gesprochen habe.

Ein Polizist hatte die »Kiezdemo gegen Verdrängun­g« am 9. Juli vergangene­n Jahres mit rund 2000 Teilnehmer­n während des laufenden Prozesses als aus Polizeisic­ht »bedeutends­tes Ereignis des Jahres« bezeichnet. Auch das Gerichtsve­rfahren bezeichnet­e er als »bedeutend«. Die Hauptstadt­medien sahen das offensicht­lich anders und blieben der Urteilsver­kündung mehrheitli­ch fern.

Balu hatte von Juli bis Oktober in Untersuchu­ngshaft gesessen. Seit November sitzt im Zusammenha­ng mit der Demonstrat­ion nun eine »Thunfisch« genannte Frau in Untersuchu­ngshaft. Wann der Gerichtspr­ozess gegen sie beginnt, ist noch nicht bekannt.

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