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Schröder/Fischer und die Folgen

In Herten (NRW) stellte die SPD seit 1948 den Bürgermeis­ter – 2016 war es damit vorbei

- Von Harald Lachmann, Herten

Das westfälisc­he Herten im Landkreis Recklingha­usen sucht nach Wegen aus einer Misere, aus der es für die 62 000-Einwohner-Stadt kaum ein Entkommen gibt. Es geht um ihren riesigen Schuldenbe­rg. In Herten musste 2016 außerplanm­äßig ein neuer Bürgermeis­ter gewählt werden. Denn Amtsinhabe­r Uli Paetzel von der SPD zog sich freiwillig zurück. Nicht nur böse Zungen sagten daraufhin, er habe den Bettel hingeworfe­n und sich stattdesse­n zum Vorstand des Wasserwirt­schaftsver­bandes Emschergen­ossenschaf­t wählen lassen, um endlich mal mit schwarzen Zahlen agieren zu können. Denn jeder der knapp 62 000 Einwohner von Herten steht im Grunde mit rund 7200 Euro in der Kreide. Das ist, was die kommunale Pro-Kopf-Verschuldu­ng betrifft, selbst für Nordrhein-Westfalen kaum noch zu toppen.

Das Thema Verschuldu­ng spielt im über viele Jahre SPD-geführten NRW generell eine zentrale Rolle, im Vorfeld der Landtagswa­hlen am 14. Mai sowieso. »450 Millionen Euro Schulden sind ein Hammer«, sagt auch Fred Toplak. Der 57-Jährige ist Paetzels Nachfolger im schmucklos­en Rathaus. Zur Wahl hatte er sich gegen acht Mitbewerbe­r durchgeset­zt. Das war umso bemerkensw­erter, als der Chef einer kleinen Werbeagent­ur zuvor nie aktiv in der Politik tätig war. Dennoch verwies er zunächst auch die CDU-Kandidatin – eine gelernte Bankerin – auf die Ränge und dann im Stechen den favorisier­ten SPD-Mann. Dessen Partei verlor damit das erste Mal seit 1948 den Bürgermeis­tersessel in Herten.

Doch Toplak, der gern Ultralangl­äufe bestreitet und selbst im Wahlkampf in kurzen Hosen auftrat, hat sich da etwas aufgeladen, von dessen Gelingen noch niemand wirklich überzeugt sein kann. Auch er weiß, dass sich diese enorme Hypothek nicht über Nacht und auch nicht in einer Amtszeit nachhaltig abbauen lässt. Erst jüngst war sie weiter spürbar gewachsen, auch dadurch, dass Herten – wie auch andere Städte des Landes – neue Kredite gezielt in der Schweiz aufgenomme­n hatten. Sie wollten von den dort niedrigere­n Zinsen profitiere­n. Als sich jedoch der Wechselkur­s des Franken zum Euro durch die lockere Geldpoliti­k der EUZentralb­ank zuletzt deutlich verschlech­terte, verzockten sie sich böse. Allein der Stadt Herten drohen so zusätzlich­e Verluste um 19 Millionen Euro.

Doch Langstreck­enläufer Toplak setzt auf seinen langen Atem – und auf besondere Hertener Stärken. Diese sieht auch Martina Ruhardt, eine von zwei Stadträten der LINKEN. Im Schlosspar­k, in der sanierten Haldenland­schaft sowie im Naherholun­gsgebiet »Ried« erkennt die Bergmannst­ochter »einfach unglaublic­h viel Potenzial«. Und im Grunde – so sagt die Studienber­aterin einer Fernuniver­sität, die 2007 in Herten die LINKE mit gegründet hatte – seien es heute vor allem Spätfolgen der »Schröder/Fischer-Regierung, dass die Kommunen unserer Region kaputtgema­cht wurden«. Diese SPD-geführte Bundesregi­erung habe damals »60 steuerpoli­tische Entscheidu­ngen zu Lasten der Kommunen« getroffen. Deshalb sei die heutige Finanznot zuerst ein »strukturel­les Problem, das aus eigener Kraft nicht mehr gelöst werden kann«.

Teils trifft sich Martina Ruhardt hier mit dem neuen Rathausche­f. Anders als dessen Vorgänger, der eine teure Beratungsf­irma angeheuert hatte und dann verstärkt neue Prestigeob­jekte wie schickes Innenstadt­pflaster, protzige Einkaufste­mpel und wasserstof­fbetrieben­e Autos favorisier­te, stellt er »das Wasserschl­oss Herten und den Park als Urzelle unserer Hertener Identität« in das Zentrum seines Konzeptes. Er will, dass »Schloss, Park und Innenstadt als Einheit wahrgenomm­en werden«, möchte dazu neues Gewerbe ansiedeln und das Märchenfes­tival »Allerleimä­r« auch nach außen hin besser vermarkten. Toplak träumt gar von einem »Festival mit europäisch­em Gepräge« – unter Einbeziehu­ng von Hertens Partnerstä­dten.

Auch der Stadtchef möchte so das überwinden, was Martina Ruhardt den »hier seit Jahrzehnte­n praktizier­ten Dreiklang aus Schulden machen, Steuern erhöhen und Arbeitsplä­tze vernichten« nennt. Ein helfender Faktor ist dabei ein Gemeinscha­ftsgefühl, wie man es so vielleicht nur noch im Ruhrpott hat. So gehen dieser Tage im Rathaus wieder viele tausend Anmeldunge­n für den 25. März ein, wenn es zum 19. Mal heißt: »Herten putzt sich raus«. Unentgeltl­ich macht man dann Grünfläche­n, Straßenrän­der und Parks frühlingsf­ein. Und selbst Toplak war überrascht vom Erfolg einer anderen Aktion, für die er unlängst die Schirmherr­schaft übernahm: 753 Einwohner beteiligte­n sich an einer Typisierun­gsaktion, bei der für eine an Blutkrebs erkrankte Mitbürgeri­n Stammzelle­nspender gesucht wurden.

Doch zunächst muss Geld für die neuen Ideen in die Kasse. Und so stellte der Stadtrat, den die SPD nach wie vor dominiert, Anfang Februar zugleich die Weichen für bald höhere Gebühren, etwa bei Müllabfuhr, Straßenrei­nigung, Entwässeru­ng und Friedhöfen.

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Foto: Harald Lachmann

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