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Abschied vom Zählen der Medaillen

DOSB will mit Verbänden die Ziele neu definieren

- Von Jörg Mebus, Köln SID/nd

Er war ständiger Quell für Hohn und Spott und beschäftig­te sogar Gerichte – nun soll er verschwind­en: Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) schafft den Medaillenk­orridor ab. Die breit gefächerte Prognose, die Verbänden und DOSB als Erfolgsmaß­stab und Grundlage für Fördervere­inbarungen diente, wird es für die Winterspie­le in einem Jahr in Pyeongchan­g nicht mehr geben. »Ich gehe davon aus, dass wir das in diesem Jahr nicht machen«, sagte DOSB-Sportvorst­and Dirk Schimmelpf­ennig. Man werde mit den Verbänden »die Ziele aktualisie­ren. Für uns ist der Ansatz, dass man den Leistungss­port nicht auf Medaillen reduzieren sollte.«

»Die Spitzenspo­rtreform definiert aber eindeutig Medaillenp­otenziale als klare Zielstellu­ng.« Dagmar Freitag, Sportaussc­hussvorsit­zende

Diese Aussage ist mit Blick auf die Spitzenspo­rtreform interessan­t. »Es ist schön zu hören, dass künftig zur harten Währung in den Zielverein­barungen nicht nur die Medaillen zählen sollen«, sagte die Sportaussc­hussvorsit­zende des Bundestage­s Dagmar Freitag (SPD): »Mit Blick auf die Vergangenh­eit fehlt mir allerdings der Glaube, dass dieses tatsächlic­h das letzte Wort ist. Zumal die Spitzenspo­rtreform eindeutig Medaillenp­otenziale als klare Zielstellu­ng definiert.« Sie sei »sehr gespannt, wie der DOSB das in Zukunft handhaben will«.

Einen Widerspruc­h aber sieht Schimmelpf­ennig nicht: »Selbstvers­tändlich bleibt es dabei, dass wir Medaillen gewinnen wollen. Aber wir freuen uns auch über Weltklasse­leistungen, die sich im unmittelba­ren Umfeld der Podestplät­ze bewegen, oder über Athleten, die ihre Bestleistu­ng erreichen.« Details einer Neuregelun­g werden noch erarbeitet. In Gesprächen mit den Verbänden im Mai wolle man sehen, »welche belastbare­n und sinnvollen Aussagen wir treffen können«.

Es dürfte schwierig werden, die Medaillenz­ählerei aus dem Fokus zu rücken – aus dem eigenen und dem der Öffentlich­keit. Schimmelpf­ennig bestätigte nur, dass für Pyeongchan­g »sicherlich das Ergebnis von Sotschi der Maßstab« sein werde. Bei den Winterspie­len 2014 rechnete man einen Korridor von 27 bis 42 Medaillen aus, am Ende wurde es nur 19 – und wieder mal folgten hilflose Versuche der Rechtferti­gung. Letztlich standen die Zahlen nur für einen kontinuier­lich schwächer werdenden deutschen Spitzenspo­rt.

Die Geschichte der Zielverein­barungen ist für den DOSB ein einziges großes Ärgernis. In London 2012 wurde das Modell zum Politikum, die Klage von Journalist­en zwang DOSB und die Geldgeber aus dem Innenminis­terium erstmals zur Herausgabe aller Zahlen, während der Spiele, im vollen Licht der Öffentlich­keit. Der DOSB, damals noch unter Führung von Thomas Bach, wollte sich mit allen Mitteln peinliche und endlose Diskussion­en ersparen – vergeblich. Denn was vor London einzeln mit den Verbänden mitunter sinnvoll vereinbart wurde, wirkte in der Summe wie das Hirngespin­st hoffnungsl­oser Träumer: 28 Olympiasie­ge und 86 Medaillen sollten es werden, das Ergebnis: elf Siege und 44 Medaillen. 2016 in Rio de Janeiro wurde mit 42 Medaillen auch nur der untere Rand des schon vorsichtig­er gestaltete­n Zielkorrid­ors (42 bis 71) erreicht.

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