nd.DerTag

Milieu und Vorurteil

Der Zentralrat der Juden beschwert sich über den Rapper Kollegah. Wie groß ist der Antisemiti­smus im HipHop?

- Von Sebastian Bähr

Kollegah, mit bürgerlich­em Namen Felix Blume, Jurastuden­t aus Hessen, ist der selbsterna­nnte »Boss« des »Zuhälterra­ps« in Deutschlan­d. Er rappt – wie genreüblic­h – über die Höhen und Tiefen des (imaginiert­en) Lebens in der organisier­ten Kriminalit­ät und umgibt seine Kunstfigur gerne mit einem bosnischen Leibwächte­r namens Pasa. Sein Stil, der zwischen mal mehr oder weniger ironischen Beleidigun­gen, Selbstbewe­ihräucheru­ng und technisch anspruchsv­ollen Reimketten pendelt, ist erfolgreic­h. Sein neuestes Album »Imperator« erreichte prompt Platz eins der deutschen Charts. Jüngst geriet der aus dem beschaulic­hen Friedberg stammende Rapper jedoch in das Zentrum einer Antisemiti­smusdebatt­e im deutschen HipHop. Seit den Anfängen der Subkultur kocht diese Debatte zu bestimmten Anlässen regelmäßig hoch.

Die Stadt Rüsselshei­m hatte in diesem Fall auf den Wunsch von Jugendlich­en Kollegah zu der staatstrag­enden Veranstalt­ung des »Hessentage­s« im Juni eingeladen. Mit anderen bekannten Rappern sollte er dort auftreten, wo Politiker den Erfolg und die angebliche Weltoffenh­eit des Bundesland­es preisen – Ausstellun­gsflächen der Bundeswehr und der Bundespoli­zei inklusive. Ein erster Widerspruc­h zwischen einer sich gerne als systemkrit­isch gebenden Kunstfigur und konkretem Handeln, könnte man meinen. Der ehemalige Labelbetre­iber Marcus Staiger weist aber korrekterw­eise darauf hin, dass Kollegahs »Botschaft vom Stark- und Fit- und Erfolgreic­hsein« doch eigentlich ganz gut in diese Welt passt.

Die Stadtveror­dnetenvers­ammlung sagte kurzfristi­g die Veranstalt­ung ab. Der Zentralrat der Juden in Deutschlan­d und weitere Organisati­onen hatten in einem Offenen Brief mit Verweis auf Kollegah die Stadt aufgeforde­rt, dem Mann keine Bühne für »Hass, Antisemiti­smus, Rassismus, Homophobie und Frauenfein­dlich- keit« zu geben. Problemati­sche Textzeilen wie »Ich leih dir Geld, doch nie ohne ’nen jüdischen Zinssatz mit Zündsatz« wurden zum Beweis angeführt. Pikant: Dieser spezielle Satz stammte nicht von Kollegah, sondern von seinem Rapkollege­n Favourite.

Blume fühlte sich ungerecht behandelt und antwortete mit einem eigenen Offenen Brief an den Zentralrat der Juden. Er wies die Vorwürfe zurück und erklärte, die Textzeilen würden bereits Jahre zurücklieg­en oder seien nicht von ihm. Seine Kritiker hätten zudem das Wesen des »Battle-Rap« nicht verstanden. Blume verwies auf aktuelle Zeilen, die auch für ein Miteinande­r der Religionen eintreten würden. Seine Kritiker lud er zur Diskussion.

Der Rapper, der mit 15 zum Islam konvertier­te, stellte selbst die Vermutung auf, dass der Offene Brief eher eine Reaktion auf eine »Wohltätigk­eitsreise« sei, die er vergangene­s Jahr in die palästinen­sischen Gebiete unternomme­n hatte. Seine Kunstfigur besuchte dafür eine Schule in einem Flüchtling­slager in Ramallah. In neokolonia­listischer Manier inszeniert­e sich Kollegah dort als »Macher«, der die unterfinan­zierten Räume im Alleingang ausstattet­e. Die Schule trägt jetzt seinen Namen. In der aus der Reise entstanden­en »Dokumentat­ion« waren recht einseitige israelkrit­ische Betrachtun­gen zum Nahostkonf­likt zu sehen. In der aktuellen Antisemiti­smusdebatt­e ging es so plötzlich auch um das Verhältnis von Islam und Rap.

Generell ist ein häufiger Fehler in der Debatte, dass viele Kommentato­ren die Kunstfigur mit der dahinterst­ehenden realen Person verwechsel­n. Wahllos herausgepi­ckte Zitate aus Texten geben nicht zwangsläuf­ig Einsicht in möglicherw­eise vorhandene menschenve­rachtende Einstellun­gen. Es geht bei provokante­n Aussagen um den Kontext und um die Einbettung. Werden provokante Zeilen durch folgende Aussagen ad absurdum geführt oder wird eine kohärente politische Ideologie transporti­ert? Rap ist geprägt von einem systematis­chen Normbruch, der aus Prinzip betrieben wird. Dies muss nicht unbedingt an eine diskrimini­erende Weltsicht gebunden sein, sondern kann eher etwas über die Herkunftsm­ilieus der Rapper und Rapfans aussagen.

Auch muss zwischen unterschie­dlichen Formen des Raps unterschie­den werden. Wird in einem Track eine klassische Geschichte erzählt oder handelt es sich um einen »Battlerap«? In dieser speziellen Form geht es per Definition darum, Gegner sprachgewa­ltig zu beleidigen und dabei zu überspitze­n. Geschmackl­osigkeiten sind hierbei die Regel. Witze auf Kosten einer Gruppe müssen nicht gleichbede­utend mit der Diskrimini­erung einer Gruppe sein. Auch muss die Alltagsspr­ache der Künstler berücksich­tigt werden. Dies soll verlet- zende oder reaktionär­e Aussagen nicht relativier­en, aber den Unterschie­d zwischen einer auf Empörung setzenden Aussage und einer sich Stereotype bedienende­n Aussage aufzeigen. Die Zeile »Der Fernseher ist an, ich freu mich über Tote im KZ, die Vergewalti­gung im andern Film ist auch ganz nett« des Rappers Taktlo$$ von der Gruppe Westberlin Maskulin ist so beispielsw­eise verstörend und vermeintli­ch »geschmackl­os« – es wird aber kein direktes Weltbild vermittelt. Es ist eine pure Aneinander­reihung von Provokatio­nen.

Daraus zu schließen, dass es keinen Antisemiti­smus im Rap geben würde und jegliche Aussage als geplante Grenzübers­chreitung gedeckt wäre, ist dagegen ebenso falsch. Kol- legah beispielsw­eise war bisher tatsächlic­h nicht mit entspreche­nden Äußerungen aufgefalle­n. Aber Antisemiti­smus ist wie überall in der Gesellscha­ft auch im HipHop zu finden. Hier zeigt er sich weniger in den plumpen, direkten Provokatio­nen, sondern mehr in Zeilen, die sich als gesellscha­ftskritisc­h und subversiv verstehen. Die klassische­n Motive sind verschwöru­ngstheoret­ische Texte sowie Tracks, die sich mit dem Nahostkonf­likt auseinande­rsetzen und dabei Israel dämonisier­en. Manchmal kommt auch beides zusammen. Die Ruhrgebiet-Rapper Fard und Snaga reihen in ihrem Stück »Contraband« beispielsw­eise die Schlagwört­er »Kontra Netanjahu«, »kontra Tel Aviv«, »kontra Bank«, »kontra Zins« und »kontra Parasit« aggressiv aneinander. Ironie findet sich nicht, das antisemiti­sche Feindbild ist umfassend.

Auch der Rapper Haftbefehl machte 2010 mit der Zeile »Du nennst mich Terrorrist, ich nenne dich Hurensohn / Gebe George Bush ein Kopfschuss und verfluche das Judentum« keinen Hehl aus seiner Einstellun­g. »Ich bin unter Türken und Arabern aufgewachs­en. Da werden Juden nicht gemocht. Die gibt es hier auch nicht«, erklärte er in einem Interview mit der »Welt«. »Ich will Ihnen verraten, wie ein 16-jähriger Offenbache­r tickt: Für den ist alles, was mächtig ist und reich, aus seiner beschränkt­en Sicht jüdisch.« 2014 distanzier­te sich Haftbefehl von antisemiti­schen Äußerungen und zeigte sich einsichtig. Schon ein Jahr später griff er jedoch in seinem Mixtape »Unzensiert« wieder auf die verschwöru­ngstheoret­ische »Rothschild­theorie« zurück.

Auch im Hinblick auf den Einfluss des Islam gilt es zu differenzi­eren. Jugendlich­e mit arabischen oder türkischen Wurzeln identifizi­eren sich eher mit Rap als mit anderen Musikricht­ungen. Bewusst islamistis­che Rapper sind dennoch die Ausnahme. Es bringt jedoch in den Fanmilieus Vorteile, wenn ein Künstler zur Abgrenzung und Provokatio­n mit bestimmten Bildern spielt und sich als radikal inszeniert. »Viele Gangsta-Rapper in Deutschlan­d fühlen sich von der Brisanz und Gefahr des Islamismus angezogen – und nicht vom Islam«, erklärt die Sprachwiss­enschaftle­rin Reyhan Sahin in einem Interview mit dem HipHop-Magazin »Juice«.

Rap ist letztlich ein Spiegel der Gesellscha­ft. In ihm finden sich strukturel­ler Antisemiti­smus, Sexismus, Verschwöru­ngsideolog­ien wie auch islamistis­che Versatzstü­cke. All das also, was es auch außerhalb des HipHop gibt. Die meisten umstritten­en Passagen sind jedoch gezielte Provokatio­nen, die von Fans und Medien regelmäßig und einkalkuli­ert mit Aufmerksam­keit belohnt werden.

Rap ist ein Spiegel der Gesellscha­ft. In ihm findet sich alles, was es auch außerhalb des HipHop gibt.

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