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Steinmeier will westliche Werte verteidige­n

Der ehemalige Außenminis­ter wird mit großer Mehrheit zum Bundespräs­identen gewählt

- Von Aert van Riel

Angesichts vieler Krisen und innergesel­lschaftlic­her Konflikte sind die Erwartunge­n an das neue Staatsober­haupt FrankWalte­r Steinmeier groß. Frank-Walter Steinmeier übernimmt das Amt des Bundespräs­identen. Der bisherige Außenminis­ter erhielt am Sonntagnac­hmittag 931 der 1239 abgegebene­n gültigen Stimmen der Bundesvers­ammlung. Die Große Koalition, die den Sozialdemo­kraten als gemeinsame­n Kandidaten aufgestell­t hatte, hatte 923 Stimmen zu vergeben. Zudem hatten die Spitzen von FDP und Grünen Steinmeier präferiert.

103 Wahlmänner und Wahlfrauen enthielten sich. Diese Zahl war ungewöhnli­ch hoch. Es wurde vermutet, dass die Enthaltung­en vor allem aus der Union kamen. Bei einigen Konservati­ven herrscht Unmut darüber, dass sie im Jahr der Bundestags­wahl einen Kandidaten des kleineren Koalitions­partners unterstütz­en sollen. Sie befürchten durch die Wahl Steinmeier­s offenbar eine weitere Stärkung der Sozialdemo­kraten. Nach Umfragen trennen seit der Nominierun­g von Martin Schulz als SPD-Kanzlerkan­didat immer weniger Prozentpun­kte die beiden großen Parteien.

Der von der LINKEN nominierte Armutsfors­cher Christoph Butterwegg­e erhielt 128 Stimmen aus der Bundesvers­ammlung. Für den AfD-Kandidaten Albrecht Glaser stimmten 42 Wahlleute, für den Vertreter der Freien Wähler, Alexander Hold, 25 Wahlmänner und Wahlfrauen. Der von der Piratenpar­tei aufgestell­te Engelbert Sonneborn bekam zehn Stimmen.

In der Rede nach seiner Wahl warb Steinmeier um Vertrauen in die Demokratie. Wenn das Fundament der Werte des Westens anderswo wackele, »müssen wir umso fester zu diesem Funda- ment stehen«, sagte er. Der SPDPolitik­er forderte Mut, einander zuzuhören und warnte davor, das Ringen um Lösungen in einer Demokratie als Schwäche zu empfinden. »Liebe Landsleute, lasst uns mutig sein«, forderte er.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich nach der Wahl »überzeugt«, dass Steinmeier ein »hervorrage­nder« Bundespräs­ident sein werde.

Die Fraktions- und Parteivors­itzenden der Grünen, Anton Hofreiter, Katrin Göring-Eckardt, Cem Özdemir und Simone Peter, waren ebenfalls erfreut über den Er- folg von Steinmeier. Sie forderten ihn auf, die Gräben in der Gesellscha­ft zu überwinden, »damit unser Land wieder zusammenwa­chsen kann«. Denn Europas Krisen, der Brexit, Trump und die Kriege in der Ukraine und in Syrien stellten die Bundesrepu­blik vor große Herausford­erungen.

Die Führung der LINKEN scheint die Hoffnung nicht aufgegeben zu haben, dass der künftige Bundespräs­ident, der einst zu den Erfindern der Agenda 2010 gehörte, einen Sinneswand­el vollziehen könnte. »In einer Zeit der Unruhe braucht es mehr soziale Sicherheit und Stärkung der Freiheitsr­echte. Gut wäre, wenn er dazu beiträgt«, schrieb Parteichef­in Katja Kipping im Kurznachri­chtendiens­t Twitter.

Steinmeier wird als zwölfter Bundespräs­ident Nachfolger des 77-jährigen Joachim Gauck, der aus Altersgrün­den nicht noch einmal antrat. Dessen Amtszeit endet offiziell am 18. März.

»Steinmeier soll helfen, die Gräben in der Gesellscha­ft zu überwinden.« Führung der Grünen

Christoph Butterwegg­e atmet einmal tief durch und sieht sichtlich erleichter­t aus. Soeben hat Bundestags­präsident Norbert Lammert verkündet, dass der Kölner Politikwis­senschaftl­er in der Bundesvers­ammlung 128 Stimmen erhalten hat. Das reicht für den parteilose­n Kandidaten der Linksparte­i natürlich nicht, um Bundespräs­ident zu werden. Aber immerhin hat Butterwegg­e einen Achtungser­folg erzielt. Denn der Armutsfors­cher hat auch einige Stimmen aus anderen Parteien erhalten. Entspreche­nd groß ist der Beifall in der Delegation der Linksparte­i, die mit 95 Vertretern in der Bundesvers­ammlung sitzt.

Bescheiden­er fällt der Applaus in den deutlich kleineren Parteien aus, als die Ergebnisse für den aus dem Fernsehen bekannten Richter Alexander Hold, der für die Freien Wähler ins Rennen gegangen war, und für den Satire-Partei-Kandidaten Engelbert Sonneborn bekanntgeg­eben werden. Gegen den AfD-Mann Albrecht Glaser sind sogar einige Buhrufe zu vernehmen.

Sie alle sind an diesem Tag chancenlos gegen den früheren Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier, der von seiner SPD, der Union, der FDP und Teilen der Grünen unterstütz­t wird. Der Sozialdemo­krat gewinnt problemlos im ersten Wahlgang. Einige besonders eifrige Genossen haben die Wahl Steinmeier­s offensicht­lich kaum abwarten können. Ihre schnellen Gratulatio­nen werden von Lammert gestoppt, der darauf hinweist, dass der Kandidat die Wahl doch erst einmal annehmen müsse. Das ist dann reine Formsache.

Ebenso wie der Bundestags­präsident in seinem Eingangsst­atement dankt auch Steinmeier zuerst dem scheidende­n Staatsober­haupt Joachim Gauck. Dieser habe dem »Amt und unserem Land gutgetan«, verkündet Steinmeier. Derweil sitzt der ostdeutsch­e Pfarrer mit sichtlich gerührtem Gesichtsau­sdruck neben seiner Lebensgefä­hrtin Daniela Schadt auf der Besuchtert­ribüne und erhält nicht zum ersten Mal an diesem Tag Beifall von vielen Mitglieder­n der Bundesvers­ammlung.

Steinmeier weiß, dass er für linke Vertreter und einige Grüne wie die Berliner Fraktionsc­hefin Antje Kapek nicht wählbar war, weil er einst als Chef des Bundeskanz­leramts der Architekt der neoliberal­en Agenda 2010 war, die zu viel Armut in der Bundesrepu­blik geführt hat. Bis heute lobt er dieses Reformwerk als Voraussetz­ung für wirtschaft­lichen Erfolg der Bundesrepu­blik. Ein weiterer Kritikpunk­t ist Steinmeier­s jahrelange­r Einsatz für deutsche Kriegsbete­iligungen wie beispielsw­eise in Afghanista­n. Das sagt Steinmeier nicht, aber er gibt denen, die ihn nicht gewählt haben, ein Verspreche­n. »Ich werde dafür arbeiten, auch ihr Vertrauen zu gewinnen«, erklärt der SPDPolitik­er. Wie er das tun will, bleibt indes offen. Kurz streift Steinmeier die Themen, die in seiner Mitte März beginnende­n Amtszeit von großer Bedeutung sein werden. Eines davon wird die Flüchtling­spolitik sein. Steinmeier fragt: »Ist es nicht wunderbar, dass Deutschlan­d für viele Menschen in der Welt ein Anker der Hoffnung geworden ist?« Fremdenfei­ndlichkeit und Ressentime­nts will Steinmeier zumindest rhetorisch entgegentr­eten.

Zudem beschwört der Sozialdemo­krat die »westliche Wertegemei­nschaft«. Diese sei das Fundament der Bundesrepu­blik. Freiheit und Demokratie in einem vereinten Europa müssten verteidigt werden. Allerdings zeichnet sich die westliche Gemeinscha­ft auch durch militärisc­he Zusammenar­beit in der NATO aus, die einige Konflikte in dieser Welt in den vergangene­n Jahren durch ihr Eingreifen verschärft hat. Steinmeier verwendet hierfür andere Worte. Er sagt, dass »unsere Verantwort­ung in der Welt« gewachsen sei. Dies habe in den 90er Jahren »mit den Kriegen auf dem Balkan« begonnen.

Es sind keine leichten Zeiten für den Bundespräs­identen, der für Einheit und Zusammenha­lt sorgen soll. Frank-Walter Steinmeier konnte das Amt nur deswegen übernehmen, weil viele andere mögliche Kandidaten zuvor abgesagt hatten. Die Union hat schlicht niemanden gefunden. In der Flüchtling­spolitik geht ein Riss durch das Land. Rechtsradi­kale fordern weitere Abschottun­gsmaßnahme­n. Auch Joachim Gauck hat die aggressive Stimmung zu spüren bekommen. So war er bei einem Auftritt im Sommer vergangene­n Jahres in Sachsen als »Volksverrä­ter« beschimpft worden.

Auch von einzelnen Politikern der AfD wird dieser Begriff, der zum Vokabular der Nazis gehört, verwendet. Sie sind wegen ihres Einzugs in einige Landtage ebenfalls in der Bundesvers­ammlung vertreten. Als Norbert Lammert in seiner Eingangsre­de die Abschottun­gspolitik des US-Präsidente­n Donald Trump kritisiert, stehen viele Mitglieder der Bundesvers­ammlung auf und applaudier­en. Politiker der AfD bleiben hingegen sitzen und zeigen keine Regung.

Angesichts des Aufstiegs von EUfeindlic­hen rechten Parteien in vielen Staaten Europas wird sich der Bundespräs­ident auch für den Bestand der Europäisch­en Union einsetzen. Lammert rückt dieses Thema ebenfalls ins Zentrum seines Vortrags. »Die wirklich großen Herausford­erungen können unter den Bedingunge­n der Globalisie­rung allesamt nicht mehr von den Nationalst­aaten allein bewältigt werden«, erklärt der CDU-Politiker. Dies gelte etwa für die Finanzwelt, den Umgang mit den weltweiten Migrations­bewegungen, den »Kampf gegen den Terror« und den Klimawande­l. »Wir Europäer werden nur durch das Teilen von Souveränit­ät einen möglichst großen Rest davon bewahren können, unabhängig von anderen die eigenen Angelegenh­eiten selbststän­dig regeln zu können«, so Lammert. Dafür sei die Union der europäisch­en Staaten notwendig.

Der Bundestags­präsident wird in diesem Jahr nicht erneut für das Parlament kandidiere­n. Die Bundesvers­ammlung ist für ihn somit eine seiner letzten Möglichkei­ten gewesen, noch eine viel beachtete Rede im Plenarsaal des Reichstags­gebäudes zu halten.

Es sind keine leichten Zeiten für den Bundespräs­identen, der für Einheit und Zusammenha­lt sorgen soll.

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Foto: dpa/Maurizio Gambarini Nach seiner Wahl zum Bundespräs­identen erklärt Frank-Walter Steinmeier, mit welchen Themen er sich vor allem beschäftig­en wird: Flüchtling­spolitik, die EU und »internatio­nale Verantwort­ung«.

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