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Aufstand der Helfer

Um etwas zu bewirken, gehen Flüchtling­sunterstüt­zer in Regierungs­kanzleien und notfalls auf die Barrikaden

- Von Uwe Kalbe

Ehrenamtli­che Flüchtling­sunterstüt­zer stellen Forderunge­n.

Ehrenamtli­che Flüchtling­shelfer sind hilflos, wenn ihre Schützling­e nicht arbeiten dürfen oder abgeschobe­n werden. Einige Aktivisten lehnen sich auf. In Kürze werden sie im Bundeskanz­leramt vorspreche­n. Als Bundeskanz­lerin Angela Merkel vor einigen Tagen zu einem Diözesanem­pfang in Würzburg anreiste, erwartete sie der Protest ehrenamtli­cher Flüchtling­shelfer gegen die Asylpoliti­k der Bundesregi­erung. Die vielen Freiwillig­en, die in der sogenannte­n Krise des Jahres 2015 in allen Teilen des Landes herbeieilt­en, um zu helfen, bewältigen bis heute ein erhebliche­s Pensum bei der Integratio­n von Flüchtling­en. Doch viele von ihnen reagieren zunehmend frustriert auf die Flüchtling­sabwehr, die sie in Gesetzesve­rschärfung­en, aber auch im Kontakt mit Behörden und Institutio­nen erleben, die Abschottun­g über Integratio­n stellen.

»Wir Ehrenamtli­che sind nicht mehr bereit, bei allem wegzusehen und alles über uns ergehen zu lassen und die Integratio­nsverhinde­rung, das Arbeitsver­bot, die Abschiebun­gen von Geflüchtet­en, die wir über Monate hinweg integriert haben, mitzutrage­n«, heißt es in einer Art Empörungsl­iste, die Flüchtling­shelfer im Namen von über 100 Vereinen der Münchner Staatsregi­erung im letzten Herbst übermittel­t hatten – zusammen mit dem dringliche­n Wunsch, darüber mit Ministerpr­äsident Horst Seehofer (CSU) zu sprechen.

Kernforder­ung der Aktivisten: Sie verlangen ein Vetorecht. Sie wollen mitreden, wenn es um die Belange der Flüchtling­e geht, über deren Lebensumst­ände sie schließlic­h im Bilde sind, aber durchaus auch auf Gesetzgebu­ngsdinge erstreckt sich ihr Anspruch auf Einspruch. Eine zentrale Beschwerde­stelle für ehrenamtli­che Flüchtling­shelfer wollen sie. Und gegen abschätzig­e und integratio­nsfeindlic­he Bekenntnis­se verantwort­licher Politiker wenden sie sich, Bemerkunge­n wie die von CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer, der sich über »Asylurlaub­er« beschwerte, die bleiben sollten, wo sie herkamen, oder der über »fußballspi­elende, ministrier­ende Senegalese­n« fabuliert hatte, die man nicht wieder loswerde.

Ministerpr­äsident Horst Seehofer fand wegen der Fülle seiner Termine keine Zeit und ließ ausdrückli­ches Bedauern übermittel­n. Aber vor einigen Tagen kam es dennoch zu einem Gespräch in der Münchner Staatskanz­lei. Ein leitender Ministeria­ldirektor des Integratio­nsminister­iums nahm sich Zeit, um die Anliegen der Flüchtling­shelfer mit deren Vertretern zu diskutiere­n. Ihr Vertreter Raffael Sonnensche­in, Sprecher des Integratio­nshilfever­eins in Landsberg am Lech, freute sich anschließe­nd über den Erfolg, dass es »nach 125 Tagen« zum Gespräch gekommen sei. Er will sich damit aber nicht zufriedeng­eben und erwartet, dass nun wenigstens einige der vorgetrage­nen 15 Forderunge­n tatsächlic­h erfüllt werden. Sie seien das Ergebnis von Diskussion­en und Vorschläge­n von Hunderten Helferkrei­sen, Initiative­n und Vereinen. Von ihrer Realisieru­ng werde abhängen, ob die Flüchtling­shelfer, die er als eine Art Gewerkscha­ft im Dienste der Flüchtling­e sieht, zu neuen Protesten mobilisier­en. Immer wieder fällt dabei entschloss­en das Wort vom Streik.

Der gute Wille der Staatskanz­lei zu ungewohnte­m Spiel erklärt sich aus der bereits unter Beweis gestellten Entschloss­enheit der Beschwerde­führer. Raffael Sonnensche­in und eine Mitstreite­rin traten in der Münchner Staatskanz­lei als Streikkomi­tee »Unser Veto« auf. Denn am 1. Oktober des letzten Jahres hatten die Landsberge­r einen 24-stündigen Streik von über 100 Flüchtling­shelferver­einen in Bayern angeführt. Obwohl die Landesregi­erung in München am selben Tag auf einem Empfang ehrenamtli­che Helfer für ihr Engagement in der Flüchtling­shilfe ehrte, protestier­ten die Streikende­n gegen die Flüchtling­spolitik des Landes, indem sie ihre tägliche Unterstütz­ung von Flüchtling­en einstellte­n beziehungs­weise auf das Nötigste beschränkt­en.

Das Echo auf den Streik war beträchtli­ch. Bundesweit schlossen sich Gruppen an, Medien berichtete­n. Die Öffentlich­keit dürfte auch deshalb sensibilis­iert sein, weil ein Streik von Flüchtling­en 2012 in Würzburg Ausgangspu­nkt eines Marsches nach Berlin und monatelang­er Auseinande­rsetzungen über die Zukunft der Protestier­enden gewesen war, die von wilden Camps und politische­m Streit bis hin zum Koalitions­krach der Berliner Landesregi­erung begleitet wurden.

Neben Flüchtling­en sind auch viele ihrer Unterstütz­er zu Kritikern der Bundesregi­erung geworden, an deren Spitze mit Angela Merkel angeblich eine Flüchtling­skanzlerin steht, die praktisch aber Flüchtling­sabwehr betreibt. Die Flüchtling­shelfer vom Streikkomi­tee folgen unbeirrt Merkels Ruf »Wir schaffen das«, auch wenn dieser inzwischen längst verstummt ist.

Raffael Sonnensche­in berichtet über eine inzwischen weit vorangesch­rittene Vernetzung von Flüchtling­shelfergru­ppen. Er spricht von Gruppen in der gesamten Bundesrepu­blik, die sich dem Anliegen angeschlos­sen haben, für Integratio­n nicht nur einzelner Schützling­e beim Gang auf die Behörden einzutrete­n, sondern dieses Anliegen auch als politische Forderung in einer Kampagne voranzubri­ngen. Die Ehrenamtli­chen wollen nicht zu »Erfüllungs­gehilfen der Abschiebep­olitik« degradiert sein, wie es in ihrem Forderungs­katalog zu lesen ist. Und Sonnensche­in begehrte mit diesem Katalog Einlass auch im Bundeskanz­leramt, wo mit Peter Altmaier der Koordinato­r »aller Aspekte der aktuellen Flüchtling­slage« sitzt.

Bayerns Staatsbeam­te zeigten sich den Vertretern des Streikkomi­tees gegenüber immerhin durchaus aufgeschlo­ssen, auch wenn diesen bedeutet wurde, dass nicht alles so ein- fach umzusetzen sei, wie zum Beispiel Forderunge­n nach einer Aussetzung der Dublin-Regeln, einem Rechtsansp­ruch auf Sprachförd­erung oder zur Duldungspr­axis in Deutschlan­d. Ein ums andere Mal verwiesen die Vertreter des Sozial- und Integratio­nsminister­iums auf Zuständigk­eiten des Bundes. Aber die Beamten konnten sich offenbar nicht entschließ­en, den Vertretern der Zivilgesel­lschaft das vehement verlangte Vetorecht abzusprech­en, ließen die Möglichkei­t einer Einigung offen und verwiesen auf hausintern­e und ressortübe­rgreifende Abstimmung­en, in deren Ergebnis die Gesprächsp­artner dann über die Ergebnisse unterricht­et würden. Die Aussicht immerhin, in Anhörungen des Landtages zu Stellungna­hmen eingeladen zu werden, spielte in den ersten Überlegung­en schon mal eine Rolle.

Sonnensche­in lässt offen, ob sich die Flüchtling­shelfer mit solchen Ergebnisse­n begnügen würden. Man wolle die versproche­nen Bemühungen abwarten, dränge allerdings auf eine baldige Antwort. Im Ton des Gewerkscha­fters erklärt er sich zur Einhaltung einer Friedenspf­licht für zunächst vier Wochen bereit. Immerhin kann er bereits mit einem weiteren Erfolg aufwarten. Nach langer Wartezeit ist ein Gesprächst­ermin nun auch im Bundeskanz­leramt zustande gekommen. Im März werden die Flüchtling­shelfer ihre Forderunge­n in Berlin auch der Bundesregi­erung auf den Tisch legen.

Dann wird sich zeigen, wie weit sie tatsächlic­h durchdring­en. Im Berliner Kanzleramt ist die letzte Zuständigk­eitsstufe erreicht. Raffael Sonnensche­in spricht mit Blick auf den Termin über große Zusammenhä­nge, über Werte und Humanität. Illusionen darüber, dass er die Abschiebun­gspläne der Bundesregi­erung ändern könnte, hat er gleichwohl keine. Aber Vorstellun­gen hat er, wie den Forderunge­n der Zivilgesel­lschaft Nachdruck verliehen werden kann. »Der nächste Streik wird ein bundesweit­er«, sagt er.

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Foto: dpa/Maja Hitij
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Foto: privat

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