Genervt von der Demokratie
Vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen spielte Steinmeier oft den Ahnungslosen
Als Staatsoberhaupt will sich FrankWalter Steinmeier für den Rechtsstaat einsetzen. Die Rolle, die er bei Geheimdienstskandalen spielte, lassen Zweifel daran aufkommen, dass ihm das glaubwürdig gelingt. Dem Bundespräsidenten kommt im politischen System der Bundesrepublik eine besondere Stellung zu. Er ist repräsentativ tätig und »verkörpert« nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juni 2014 »die Einheit des Staates. Autorität und Würde seines Amtes kommen gerade auch darin zum Ausdruck, dass es auf vor allem geistig-moralische Wirkung angelegt ist«. Union, SPD, FDP und große Teile der Grünen sind der Meinung, dass der frühere Außenminister Frank-Walter Steinmeier hierfür besonders geeignet ist. Deswegen haben sie ihn nun in der Bundesversammlung zum neuen Staatsoberhaupt gewählt. Dabei haben die beiden letztgenannten Parteien einige Jahre in Untersuchungsausschüssen des Bundestags die Erfahrung machen müssen, dass Steinmeier nicht allzu viel von parlamentarischer Kontrolle hält, die zumindest in der Theorie einer der Grundbestandteile einer Demokratie ist.
Steinmeier war oft in den Fokus geraten, weil er in seiner Zeit als Chef des Bundeskanzleramts von 1999 bis 2005 auch für die Geheimdienste zuständig war. Als bekannt wurde, dass die rot-grüne Bundesregierung den Irak-Krieg der Bush-Administration zwar offiziell abgelehnt, aber in Wirklichkeit die USA geheimdienstlich unterstützt hatte und beim Ausspähen von Bombenzielen geholfen haben soll, wehrte sich Steinmeier im Jahr 2006 lange mit Händen und Füßen gegen die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses zu dem Thema. Den damals oppositionellen Parteien FDP, Linkspartei und Grünen warf Steinmeier als Außenminister der Großen Koalition vor, einen »politischen Skandal inszenieren« zu wollen, ohne über die »Folgeschäden« nachzudenken. Trotzdem wurde das Gremium eingesetzt.
Als Zeuge ließ Steinmeier dann den Ausschuss mehr als einmal durch herablassende Kommentare spüren, was er von der Veranstaltung hielt. Auch Wutausbrüche des Sozialdemokraten sind überliefert. Ansonsten machte Steinmeier das, was Politiker gemeinhin tun, wenn sie heikle Fragen beantworten müssen: Er spielte den Ahnungslosen. So nannte Steinmeier während Ausschusssitzungen im Jahr 2008 die Vorwürfe, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) für die USA hilfreich gewesen sei, »aberwitzig« und »abenteuerlich«. Es habe nämlich nach seiner Kenntnis eine klare Anweisung gegeben, dass durch die Weitergabe von Informationen an die US-Amerikaner keine »operativen Kampfhandlungen« unterstützt werden. Welche Informationen genau übermittelt wurden, will Steinmeier allerdings nicht gewusst haben. Das hätten nur Fachleute in der BNDZentrale entschieden.
Ähnlich bizarr waren Steinmeiers Auftritte zu den Fällen von Murat Kurnaz und Khaled al-Masri, die von USStreitkräften festgenommen beziehungsweise vom US-Geheimdienst CIA entführt worden waren und ohne Gerichtsurteil festgehalten wurden: der aus Bremen stammende Türke Kurnaz im wegen Foltermethoden berüchtigten Guantanamo, der DeutschLibanese Masri in Afghanistan. Zum Fall Masri behauptete Steinmeier, dass weder die Bundesregierung noch die Geheim- und Sicherheitsdienste Beihilfe zur Verschleppung geleistet oder die Entführung stillschweigend geduldet hätten. Sonderlich glaubwürdig klang das auch mit Blick auf einige Medienberichte, wonach Steinmeier Informationen zu dem Fall unterdrückt haben soll, nicht.
In jüngster Zeit musste sich Steinmeier im Zuge der NSA-BND-Spähaffäre vor einem Ausschuss rechtfertigen. In seine Amtszeit fiel nämlich das Memorandum of Agreement, in dem grundlegende Vereinbarungen für die Kooperation des deutschen und des US-amerikanischen Dienstes getroffen wurden. Dieses war Grundlage der umstrittenen Abhöroperationen. Die massenhaften Spähaktionen spielte der Sozialdemokrat einfach herunter. Die Kooperation mit den USA sei alternativlos, um Deutschland vor Terroristen zu schützen. Dabei habe die Politik alles Notwendige getan, damit »der Rechtsstaat nicht den Sicherheitsstaat usurpiert«, behauptete Steinmeier. Über Details, was bei dieser Kooperation tatsächlich abgehört und weitergeleitet wurde, hat Steinmeier angeblich nichts gewusst.
Als Zeuge ließ Steinmeier den Ausschuss spüren, wie wenig er von dieser Veranstaltung hielt.