nd.DerTag

Aktionismu­s und einfache Lösungen

- Christoph Ruf vermisst die Rechtsstaa­tlichkeit im Umgang mit den Ausschreit­ungen beim Fußballspi­el in Dortmund

Das Dumme an Banalitäte­n ist ja, dass sie dumm sind. Das noch Dümmere an ihnen ist allerdings, dass jeder meint, er müsse sie auch noch mal wiederhole­n. Also: Natürlich ist es vollkommen inakzeptab­el, was den Leipziger Fans vor einer Woche in Dortmund widerfahre­n ist. So inakzeptab­el, dass es Konsequenz­en haben muss.

Nur welche sollen es denn bitte schön sein? Die, die etwas bringen und zufällig auch noch mit so etwas wie Rechtsstaa­tlichkeit zu tun haben? Also: Identifizi­erung und strenge Bestrafung der Täter nebst gründliche­r Aufarbeitu­ng eines ziemlich vergurkten Polizeiein­satzes? Wäre eine Idee, dauert aber. Und verspricht keine Schlagzeil­en, mit denen man sich als größter Sheriff im Dorf profiliere­n kann.

Sollte also stattdesse­n erwartungs­gemäß die Dortmunder Südtribüne für ein Spiel gesperrt werden, kann man deshalb eigentlich auch nur den Kopf schütteln. Es sei denn, man hat insgeheim längst akzeptiert, dass es eine gute Idee ist, die ganze Klasse nachsitzen zu lassen, weil Lasse aus der letzten Bank beim Mathetest geschummel­t hat. Oder man ist Fan von Dynamo Dresden und weist als solcher vollkommen zurecht darauf hin, dass es bei ihnen immer nur weit weniger braucht, damit mal wieder ein Spiel vor leeren Rängen stattfinde­t. Insofern müssten natürlich allein aus Symmetrieg­ründen 25 000 Dortmunder ein Spiel dort sehen, wo die meisten, die sich gerade in Sachen Fankultur zu Wort melden, sowieso immer Fußball sehen: im Fernsehen.

Kollektivs­trafen sind und bleiben allerdings eine ziemliche Ungerechti­gkeit. Welchen erzieheris­chen Wert soll es außerdem haben, 25 000 Menschen dafür zu bestrafen, dass sich 500 daneben benommen haben? Und warum bestraft man den Kuttenfan auf dem Stehplatz, der von der Randale ebenso via Twitter oder Facebook unterricht­et wurde wie der Sitzplatzf­an, der zwei Meter weiter sitzt? Fragen über Fragen, aber keine Fragen, die man gerade aufwerfen sollte. Denn gerade ist »Null Toleranz« gefragt. Und die muss offenbar immer mit viel Aktionismu­s zu tun haben.

Da passt es ins Bild, dass mal wieder diejenigen am meisten Wind machen, denen eigentlich selbst ein Sturm ins Gesicht wehen sollte. Polizeifun­ktionären zum Beispiel, denen mal wieder eine Einsatzpla­nung so gut gelungen ist wie in Dortmund. Und die damit wieder die Beamtinnen und Beamten allein gelassen haben, die ausbaden mussten, was ein paar Hierarchie­stufen weiter oben verbockt wurde. Oder Politiker wie Ralf »Teflon« Jäger, der ganz Originelle­s zu sagen hatte. »Wer Steine und Flaschen auf Frauen und Kinder wirft, hat den Knall nicht gehört und muss bestraft werden«, so Nordrhein-Westfalens Innenminis­ter. Eine banale Aussage, denn es dürfte nicht viele Menschen geben, die das anders sehen. Aber auch ein Statement, das nach einem Ablenkungs­manöver riecht.

Schließlic­h ist es nun schon der vierte Polizeiein­satz in seinem Bundesland in zwei Jahren, bei dem Experten seinen Beamten schwere einsatztak­tische Fehler vorwerfen – nach der »Hooligans-gegen-Salafisten«-Demo in Köln, der Silvestern­acht am dortigen Hauptbahnh­of, und dem aus dem Ruder gelaufenen Derby zwischen Borussia Mönchengla­dbach und dem 1. FC Köln Ende 2015. Schuld sind bei Jäger immer die anderen. Es gibt Politiker, die aus weit nichtigere­n Gründen zurückgetr­eten sind.

Möglich ist das große Schaulaufe­n der Windbeutel allerdings nur in einem gesellscha­ftlichen Klima, in dem auch in Kneipenges­prächen und in deren Schriftfor­m, dem Internetfo­rum, die einfachen Lösungen Konjunktur haben. Transparen­te, heißt es da erschrecke­nd oft, sollten sowieso mal zensiert werden. Wie in Leipzig etwa, wo man auch auf Textil frei seine Meinung sagen darf – vorausgese­tzt, die richtet sich nicht gegen die Fußballver­bände oder gar einen Getränkeko­nzern aus Fuschl am See.

So wie die Leipziger machen es im Übrigen auch schon ein paar andere Erstligist­en. »Eine Zensur findet nicht statt« – mal ganz anders. Formal ist das im Übrigen leider legal, schließlic­h gilt das Hausrecht. Aber natürlich ist genau das hochgradig widersprüc­hlich, wenn man vorgibt, man sei am Fan nicht nur als unkritisch­e Melkkuh und Klatschpap­pe aus Fleisch und Blut interessie­rt. Darüber regen sich viele Fans aus gutem Grund auf. Die Frage, warum sie Woche für Woche freiwillig ein Haus betreten, in dem solch ein Hausrecht herrscht, scheinen sie sich allerdings nicht zu stellen.

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Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business. Foto: privat

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