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Gefragt sind Ideen für ein solidarisc­hes Europa

Auf Regionalko­nferenzen mischt die Basis bei der Ausarbeitu­ng des Programms der Linksparte­i für die Bundestags­wahl mit

- Von Hendrik Lasch, Leipzig

Die Basis hat das Wort: Auf vier Regionalko­nferenzen stellt die Linksparte­i ihr Programm für die Bundestags­wahl zur Debatte. Der »Felsenkell­er« im Leipziger Westen ist ein Traditions­lokal der Arbeiter. Am 27. Mai 1913 hielt zum Beispiel Rosa Luxemburg dort eine legendäre Rede zur weltpoliti­schen Lage. Manche Sätze lassen noch heute die Ohren klingeln. Es sei, sagte sie etwa, eine »alte Binsenweis­heit, dass, wenn zwei oder drei kapitalist­ische Staaten die Köpfe zusammenst­ecken, es sich immer um die Haut eines vierten kapitalist­ischen Staates handelt«.

Gut 100 Jahre später hatte sich bei einer Konferenz der Linksparte­i nicht nur das Vokabular gemildert; auch die Rollen waren anders verteilt. Es war nicht eine Arbeiterfü­hrerin, die ihren Zuhörern die Welt erklärte; vielmehr redete die Basis, und die Parteifüh- rung hörte zu. Die Konferenz war die dritte von vier Veranstalt­ungen, bei denen Anregungen und Kritik zum Mitte Januar vorgelegte­n Entwurf des Programms für die Bundestags­wahl gesammelt wurde. Dieses sei generell »sehr partizipat­iv entwickelt« worden, sagte Parteichef­in Katja Kipping. So gab es auch Tausende Haustürges­präche in Stadtteile­n, in denen »die Menschen nicht auf der Sonnenseit­e leben«, berichtete Kipping: »Wir hören ihre Sprache und den Unmut und nehmen ihn auf.«

Bei den Regionalko­nferenzen ist die Meinung der Basis gefragt, die dabei unterschie­dliche Themen aufgriff. In Bergheim in Nordrhein-Westfalen drehte sich die Debatte zum guten Teil um Beschäftig­ungspoliti­k, in Hamburg um Friedenspo­litik. Bei der OstKonfere­nz in Leipzig wurde an diesem Kapitel nicht gekrittelt; der friedenspo­litische Teil sei »in Ordnung«, sagte Ellen Brombacher, Bundesspre­cherin der Kommunisti­schen Platt- form. Sie mahnte um so nachdrückl­icher, eigene Forderunge­n in möglichen Verhandlun­gen über ein Regierungs­bündnis nicht zu verwässern. Es sei »an der Zeit, in aller Offenheit zu sagen: Wer mit uns koalieren will, muss sich auf unsere Programmat­ik zubewegen.« Ähnliche Bedenken meldete Elke Reinke an, Sprecherin der Bundesarbe­itsgemeins­chaft Hartz IV. Sie lobte das Bekenntnis zur Abschaffun­g von Hartz IV im Programm – und gab zugleich zu bedenken, dies sei »eine schwierige Kiste« mit Blick auf etwaige Koalitione­n.

Als unzureiche­nd kritisiert wurde in Leipzig dagegen der Teil des Programms, der sich mit Europa befasst. Dort müsse, sagte Jayne Ann Igel vom Landesvors­tand Sachsen, klar werden, was »das Bewahrensw­erte an dem Projekt« sei, statt dieses nur »düster und schwarz« zu zeichnen. Michael Eichhorn aus Westsachse­n ergänzte, er teile die Haltung nicht, »die Europäisch­e Zentralban­k zum Hauptfeind zu machen«. Nötig seien Ideen für ein solidarisc­heres Europa: »Mir fehlt der Neustart.«

Als ungenügend werden zudem die Aussagen des Programms zum Thema Ostdeutsch­land empfunden. Dort gebe es 27 Jahre nach der Vereinigun­g noch immer große Benachteil­igungen zum Beispiel bei Renten und Löhnen; auf Grafiken zu Sozialdate­n »steht die Mauer noch immer«, sagte Susanna Karawanski­j, Ost-Koordinato­rin in der Bundestags­fraktion. Die Linksparte­i wolle dafür eintreten, dass sich das ändert. Das Wahlprogra­mm sei in der Frage aber noch zu dünn, sagt Rico Gebhardt, sächsische­r Landesvors­itzender der Partei. Er räumte ein, dass die Linksparte­i nach 2005 und nach der Fusion von PDS und WASG im Versuch, »gesamtdeut­sche Partei« zu werden, beim Bemühen um ostdeutsch­e Probleme nachgelass­en und damit »nicht alles richtig gemacht« habe. In diese Lücke stoßen gerade andere. Sach- sens Integratio­nsminister­in Petra Köpping (SPD) sucht seit einer Grundsatzr­ede zum Thema am 3. Oktober verstärkt das Gespräch mit »Wendeverli­erern« und erfährt dabei erhebliche­n Zuspruch. Nun beschloss der Landesvors­tand der sächsische­n SPD, sich für »mehr Anerkennun­g der Lebensleis­tung Ostdeutsch­er« einsetzen zu wollen. Die Forderung nach einem »Gerechtigk­eitsfonds« dürfte im Wahlkampf zur Bundestags­wahl eine wichtige Rolle spielen, und zwar über Sachsen hinaus. Gebhardt mahnt, die Linksparte­i dürfe sich das Thema »nicht wegnehmen« lassen.

Wie stark derlei Anregungen in die endgültige Fassung des Programms eingehen, wird spätestens Anfang Juni klar, wenn es auf einem Parteitag beschlosse­n wird. Zuvor gibt es am Samstag eine vierte Regionalko­nferenz in Frankfurt am Main – diesmal nicht in einem Traditions­lokal der Arbeiterbe­wegung, sondern im Tagungs- und Bürogebäud­e »Ökohaus«.

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