nd.DerTag

Fettnäpfch­en auf dem Weg zur Integratio­n

Andere Länder, andere Sitten, auch wenn es um Mann und Frau geht

- Von Marina Mai

»Du gefällst mir. Du bist süß. Willst du mich zu Hause besuchen?« Für mich hört sich das nach einer ziemlich dreisten Anmache an, was Dawit (Name geändert) mir da erzählt. So hat er am Vortag ein Mädchen in der S-Bahn angesproch­en, sagt er mir. Sie hat natürlich abgelehnt.

Dawit ist 23, Asylbewerb­er aus Eritrea und auf der Suche nach allem, was zu seiner Integratio­n in Deutschlan­d beitragen kann: nach einer Lehrstelle als Elektriker, nach einer eigenen Wohnung und eben nach einer Freundin. Ich habe zwei Jahre lang im Asylbereic­h gearbeitet und davon knapp ein Jahr als Asylbetreu­erin auch von Dawit. Den Kontakt haben wir aufrecht erhalten, nachdem mein Arbeitsver­hältnis ausgelaufe­n war. Dawit sagt »Mama« zu mir oder »Frau Marina«, je nachdem wie er drauf ist. Angebagger­t werde ich von ihm selbstvers­tändlich nicht. Ich bin ja schließlic­h die Mama.

»Warum musstest du sie gleich zu dir nach Hause einladen?«, frage ich. »Sie denkt doch, du willst gleich Sex mit ihr haben. Es wäre besser gewesen, du hättest sie erst einmal ins Kino eingeladen oder in ein Restaurant.«

»Sex? Zu Hause?« Dawit ist erstaunt. »Das geht doch nicht.« Und es geht nicht nur darum nicht, weil er im Asylbewerb­erheim in einem Dreibettzi­mmer wohnt und es ihm vor seinen Mitbewohne­rn im Asylheim peinlich wäre, zu äußern, wegen Damenbesuc­h allein im Zimmer sein zu wollen. Er erzählt mir von seinem Vater, der ihn aus dem Haus geworfen hätte, wenn er im elterliche­n Haus Sex vor der Ehe gehabt hätte. Im Kino – da wiederum wäre das in Eritrea möglich gewesen. »Viele Jugendlich­e in Eritrea haben Sex im Kino.« Jetzt bin ich erstaunt. »Das kann doch jeder sehen und hören«, sage ich entsetzt. Dawits Erfahrunge­n sind andere. Im Kino sei es schließlic­h dunkel und die Geräusche des Filmes seien allemal lauter als die beim heimlichen Sex.

Dawit ist neugierig und darum fragt er gleich nach meiner Tochter. Ob ich denn nichts dagegen hätte, wenn sie nebenan in ihrem Zimmer Sex mit einem Mann hätte. Ich sage, dass ihr ehemaliger Freund sogar einige Zeit mit ihr gemeinsam dort gewohnt hätte. »Das war für mich in Ordnung. Ich habe vorher mit ihr über die Pille und Kondome gesprochen.« Dawit guckt erstaunt. Und laut sagt er: »Kondome. Ja. Das muss sein.«

Ob er das nächste Mal ein Mädchen, das ihm gefällt, nicht lieber in einem Restaurant kennenlern­en will, frage ich. Doch Dawit bekommt Asylbewerb­erleistung­en. Die liegen auf dem Niveau von Hartz IV. Davon muss er auch seinen Anwalt im Asylverfah­ren bezahlen. Eine Einladung in ein Restaurant sei da nicht drin. Aber es gibt noch ein anderes Hindernis: In Eritrea wäre gerade die Einladung an einen neutralen Ort wie es ein Restaurant ist, ein Indiz, dass man gleich Sex miteinande­r haben will. Schließlic­h kann man sich im Restaurant der elterliche­n Kontrolle entziehen. Wer anständig ist, lädt hingegen ein Mädchen zum ersten Kennenlern­en zu sich nach Hause ein und akzeptiert damit die Kontrolle durch sein soziales Umfeld, seien es die Eltern oder wie im Wohnheim die Mitbewohne­r.

»Willst du mich zu Hause besuchen?« Für Dawit war das eine höfliche Frage zum dezenten Kontaktanb­ahnen. Das Mädchen hat das sehr wahrschein­lich als dreiste Anmache empfunden.

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