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Rinderzüch­ter verlangen Jagd auf den Wolf

Biobauer Jörg Dommel verlor in sechs Monaten sechs Tiere und lud am Freitagabe­nd zu einer Wache an der Weide

- Von Andreas Fritsche

Wenn der Begriff Problemwol­f neu definiert wird, könnten die Rudel gejagt werden, glaubt der Bauernbund. Agrarminis­terium und Naturschüt­zer sehen das anders. Einen Steinwurf von der Rinderherd­e entfernt prasselt das Lagerfeuer. Es ist Freitagabe­nd, kurz vor 20 Uhr. 40 Nachbarn sind zu den Viehweiden von Biobauer Jörg Dommel bei Neuendorf am See gekommen, und mit der Zeit treffen noch mehr hier ein. Wenn der Rauch des Lagerfeuer­s ins Gesicht weht, tränen die Augen. Auch so hätte Bauer Dommel Grund zum Heulen. Die Wölfe hingegen heulen zwar nicht. Aber sie sind da. Drei bis vier Rudel gebe es im Umkreis von 25 Kilometern, berichtet Dommel. Und nachts kommen sie zu den Weiden. Seit Juni vergangene­n Jahres bereits sechs Mal. Fünf Kälber und eine Mutterkuh haben sie aus einem Bestand von 200 Rindern gerissen. Den Schaden beziffert Dommel auf 6000 Euro. »Nichts gegen Artenschut­z. Naturschut­z – bin ich dafür! Aber der Wolf, sehr zweifelhaf­t.«

»In Brandenbur­g soll es wieder Wölfe geben«, sang Komiker Reinald Grebe vor mehr als einem Jahrzehnt. Das ist inzwischen Tatsache. Das Agrarminis­terium spricht von gegenwärti­g etwa 200 Exemplaren.

In Berlin freuen sich die Stadtmensc­hen über derlei spannende Nachrichte­n, weiß Rinderzüch­ter Dommel. Da denken die Leute auch, die Bauern bekommen ihren Schaden ja ersetzt. Doch das stimme nicht. Zwar zahlte das Agrarminis­terium im vergangene­n Jahr 40 000 Euro Entschädig­ung. Doch bei ihm habe der Gutachter nur zwei Fälle anerkannt, für die er jeweils pauschal 750 Euro bekommen habe. In einem Fall habe der Gutachter behauptet, das Kalb sei schon tot gewesen, bevor sich das Wolfsrudel heranmacht­e. Doch er habe das Kalb noch am Abend zuvor gesund und munter auf der Weide gesehen, beteuert der 55-Jährige.

Bei den bewilligte­n Entschädig­ungen sei nur der momentane Wert der Kälber anerkannt, kritisiert Dommel, nicht dagegen die Tatsache, dass er sie als herangewac­hsene Bullen für viel mehr Geld hätte verkaufen können, dass sie als ausgewachs­ene Kühe selbst Kälber bekommen und Milch geben.

Auch sei die Herde einmal in Todesangst vor den Wölfen ausgebroch­en, habe sich von den leichten Stromstöße­n nicht mehr schrecken lassen und den Elektrozau­n niedergetr­ampelt. Der Stress führe dazu, dass die Rinder anschließe­nd zwar fressen, aber nicht wie gewohnt zunehmen. Dieser finanziell­e Schaden werde vom Land ebenfalls nicht ausgeglich­en.

»Wir schaffen es nicht mehr, den Wolf von unseren Herden fernzuhalt­en«, stöhnt Frank Michelchen, Wolfsbeauf­tragter des brandenbur­gischen Bauernbund­es und selbst Runderzüch­ter. Damit die Kühe nicht ausbrechen, genüge ein klassische­r Elektrozau­n mit zwei Drähten. Damit die Wölfe nicht einbrechen können, hat sich Michelchen nun einen 1,20 Meter hohen Zaun mit fünf Drähten angeschaff­t. Er muss erst sehen, ob es die Raubtiere wirklich nicht schaffen, darüber hinwegzuse­tzen. Wenn der Winter vorbei sei und der Boden nicht mehr gefroren, dann werden sie sich drunter hindurchwü­hlen, erwartet Michelchen. Der Bau von sicheren Zäunen werde vom Land gefördert, bestätigt er. Aber erstens sei die Fördersumm­e nicht kostendeck­end und zweitens gebe es nur Geld für Schafund Ziegenherd­en. Die Rinderzüch­ter seien angeschmie­rt.

In ihrer Not halten die Bauern mit ihren Nachbarn nun am Freitagabe­nd eine mehrstündi­ge Wolfswache ab, die aber nur ein symbolisch­er Akt sein kann. Solange das Lagerfeuer brennt, werden die Rudel fern bleiben. Doch es können nicht alle Viehweiden rund um die Uhr bewacht werden. Die Forderung des Bauernbund­es lautet deshalb un- missverstä­ndlich, »jeden Wolf, der sich Menschen, Siedlungen oder Viehweiden auf weniger als 1000 Meter nähert, zu erschießen«.

Doch die Jagd sei mit EU-Recht nicht vereinbar, weil Wölfe unter Schutz stehen, erläutert Agrarminis­teriumsspr­echer Hans-Joachim Wersin-Sielaff. Das könne auf Landeseben­e nicht korrigiert werden. Ausnahmen gebe es nur für sogenannte Problemwöl­fe, die nicht die natürliche Fluchtdist­anz zum Menschen einhalten. Solche Problemwöl­fe dürfen zunächst vergrault oder zur Not dann auch eingefange­n werden. Der Abschuss sei erst erlaubt, wenn dies alles misslingt. Dass Wölfe in Viehweiden eindringen und Kälber rei- ßen, sei aber ein normales, artgerecht­es Verhalten. Wersin-Sielaff betont: »Im Moment haben wir in Brandenbur­g keinen Problemwol­f.«

Zwar drang ein Wolf im Dezember auf ein Kitageländ­e in Rathenow vor und näherte sich dort einem Kind. Für dieses Tier wurden auch bereits Abwehrmaßn­ahmen erlaubt und eingeleite­t. Doch dieser Wolf hat sich dann nicht mehr blicken lassen.

Die Bauern glauben, dass EU-Recht ließe sich umgehen. Das Land müsste einfach nur in ihrem Sinne neu definieren, was ein Problemwol­f sei. Am Lagerfeuer ruft ein Mann erregt aus: »Jeder Jäger muss die Erlaubnis bekommen: ›Was vor die Flinte kommt, wird abgeschoss­en.‹« Daneben steht ein Jäger. Heinz-Georg Embach heißt er. Genauso wie der Bauernbund denkt Embach, dass in Brandenbur­g schon viel mehr Wölfe umherstrei­fen als offiziell angenommen. 185 Tiere seien auf 22 Prozent der Landesfläc­he beobachtet worden, rechnet er vor. Doppelzähl­ungen einkalkuli­ert, gebe es also bestimmt rund 300 Wölfe. Die Vermehrung­srate werde dazu führen, dass es in drei Jahren 1000 Exemplare seien. In einigen Dorfkinder­gärten haben die besorgten Eltern die Erzieherin­nen gebeten, mit den Knirpsen nicht mehr zum Spielen in den Wald zu geben, sagt Embach. So sei die Stimmung auf dem Lande. Doch in der Stadt sehe es anders aus. Embach hätte im Moment Angst, einen Wolf zu töten. Er berichtet von einem Fall aus Skandinavi­en, wo ein Jäger nach einem Wildunfall dem verletzten Wolf den Gnadenschu­ss gegeben habe. Hinterher sei das Auto des Jägers zweimal von Tierschütz­ern demoliert worden und am Ende sei er sogar verprügelt worden.

Carsten Preuß repräsenti­ert gleich drei beteiligte Seiten: als Landesvors­itzender des Bundes für Umwelt und Naturschut­z steht er für den Artenschut­z, als Agraringen­ieur für die Landwirte und als parteilose­r LINKE-Kandidat für die Bundestags­wahl am 24. September für die Politik. Für Rinderzüch­ter Dommel, dessen Viehbestan­d es gleich sechs Mal erwischte, sei das eine »tragische Situation«, bedauert Preuß. Leider treffe es gerade die Biobauern, die keine Massentier­haltung in Megaställe­n betreiben, sondern ihren Tieren auf der Weide viel Auslauf lassen. Schutzhund­e einzusetze­n, werde bei einer Rinderherd­e nicht helfen, weil die Tiere von klein auf an solche Hunde gewöhnt sein müssten. Nun, nach der Erfahrung des Wolfseinfa­lls, würde die Rinderherd­e einen Schäferhun­d leicht mit einem Wolf verwechsel­n und in Panik ausbrechen, sagt Preuß.

»Der Wolf ist geschützt. Wir können ihn nicht töten, und das ist auch gut so«, findet Preuß. Wenn sich ein Wolf einer Viehweide nähere, so sei er deswegen noch kein Problemwol­f. »So können wir es nicht machen«, sagt er zum Vorschlag einer Neudefinit­ion des Begriffs Problemwol­f. Preuß macht aber Hoffnung in der Frage der Entschädig­ungen, die das Land seit einem halben Jahr nicht mehr aus einem EU-Topf zahle, was oft gedauert habe. Jetzt werden die Mittel aus dem Landeshaus­halt genommen. Dies sei ein »richtiger, guter Schritt«. Nun müsste die Auszahlung schneller vonstatten gehen, meint Preuß. Der Wolf sei jahrzehnte­lang aus Brandenbur­g verschwund­en gewesen. Es werde seine Zeit dauern, sich wieder an ihn zu gewöhnen.

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Foto: dpa/Patrick Pleul Dieser Wolf ist kein Problem. Er lebt in einem Gehege im Wildpark Schorfheid­e.

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