Ein Schaukelpferd aus der JVA
14 bayerische Gefängnisse bieten über 70 Produkte aus ihren Werkstätten per Internet an
Aus dem Gefängnis in den Vorgarten: Bayerns Haftanstalten vertreiben neuerdings Produkte, die Insassen hergestellt haben. Zum Beispiel Gartenmöbel. Das Projekt soll die Resozialisierung fördern. Es ist so ungewöhnlich wie kurios. Per Online-Versand bieten Bayerns Justizvollzugsanstalten (JVA) seit Februar diverse Produkte zum Verkauf an, die ein breites Sortiment abdecken. Unter der Domain www.haftsache.de können Interessenten seitdem bequem stöbern und direkt bestellen, genau wie bei jedem anderen Online-Shop. Nur mit dem Unterschied, dass sämtliche Produkte in den JVA-eigenen Werkstätten gefertigt werden.
Gefangene produzieren dort im Rahmen ihrer Arbeit allerlei Waren für den alltäglichen Bedarf, darunter elegante Gartenmöbel und nützliche Küchenutensilien. Auch Spielzeug – vom Brettspiel bis zum Schaukelpferd – ist im Angebot. Die über 70 Produkte aus sechs verschiedenen Rubriken sind jeweils ansehnlich designt, professionell hergestellt und qualitativ hochwertig verarbeitet.
Doch was zunächst seltsam anmutet, hat einen ernsten Hintergrund. Das bayerische Justizministerium initiierte das Projekt, um Strafgefangene besser bei der Resozialisierung zu unterstützen. Damit reagiert die CSU-Staatsregierung auf das bestehende Problem, dass rund 21 Prozent der Gefangenen keinen Schulabschluss besitzen, etwa 54 Prozent keine Berufsausbildung absolviert haben und circa 61 Prozent vor der Inhaftierung keiner geregelten Tätigkeit nachgegangen sind, erklärt Thomas Pfeiffer, der stellvertretende Pressesprecher des Ministeriums, auf Anfrage des »nd«. Diese Faktoren begünstigen wiederum den Weg in die Kriminalität. Deshalb muss hier angesetzt werden, um einen erneutes Abrutschen nach der Entlassung zu verhindern.
Arbeit ist dabei ein wichtiges präventives Instrument. Durch sie lernen Häftlinge den Wert einer vernünftigen Tagesstruktur, von geregelten Abläufen und einem stabilen Alltag kennen. So bieten die meisten der 36 Haft- und sieben Jugendstraf- anstalten aktuell Arbeitsplätze in den internen Werkstätten an. Dort wurde bislang »als Partner der Industrie und des Handwerks produziert«, praktisch »als verlängerte Werkbank für die heimische Wirtschaft«. Häftlinge ohne Berufserfahrung haben zudem die Möglichkeit, während ihrer Haftzeit eine anerkannte Berufsausbildung zu absolvieren. Insgesamt stehen dafür 1000 Ausbildungsplätze zur Verfügung – für 400 Ausbildungsberufe und 600 Qualifizierungsmaßnahmen.
Für die Gefangenen bietet das viele Chancen. Wer sich in das Programm einfügt, sich qualifiziert oder sogar eine Berufsbildung abschließt, hat echte Perspektiven. Er kann danach einen Beruf in der normalen Welt ergreifen und an den Struktu- ren festhalten, die er erlernt hat. Nutzt der Betreffende dies, so der Ansatz, kann dadurch ein Leben ohne neue Straftaten gelingen. Zudem soll regelmäßige Berufsausübung das Selbstwertgefühl der Insassen erhöhen und das Gefühl vermitteln, dass sie trotz ihrer gerichtlichen Verurteilung einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft leisten können.
haftsache.de knüpft an dieses Ziel an. »Die Gefangenen erfahren auf diese Weise eine Wertschätzung für die geleistete Arbeit und die von ihnen selbst hergestellten Produkte«, sagt Pfeiffer dem »nd«. »Sie bekommen die Bestätigung, dass sie Teil unserer Gesellschaft sind und ihr kreatives Knowhow gefragt ist. Diese Wertschätzung ist den Gefangenen wichtig.« Dazu kooperieren die 14 beteiligten Haftanstalten mit ihren 31 Betrieben mit dem Lehrstuhl für Industrial Design der Technischen Hochschule München. Die Einnahmen, die über den Online-Shop künftig erzielt werden, fließen letztlich direkt in den Staatshaushalt – auch wenn wegen der vielfach höheren Kosten für den Strafvollzug sicher keine Gewinne erwartet werden können.
Aber Umsatz zu erwirtschaften ist ohnehin nicht das Ziel. Das Projekt haftsache.de soll vielmehr als zweites Standbein neben der Fertigung für die Industrie etabliert werden und die Beschäftigungsgrad in den Justizvollzugsanstalten erhöhen — mit dem Ziel der erfolgreichen Resozialisierung von verurteilten Straftätern.