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Zwickau schwingt die Abrissbirn­e

Sachsen: Im Rahmen eines Brachfläch­en-Landesprog­ramms soll der VEB »Aktivist« weichen

- Von Claudia Drescher, Zwickau dpa/nd

Auch mehr als 25 Jahre nach der Wende gibt es in Sachsen noch unzählige Industrieb­rachen aus DDRZeiten, für die sich kein Nachnutzer findet. Zum Beispiel in Zwickau. Überall zerbrochen­e Scheiben und Müll, eingestürz­te Mauern, ein ausgebrann­ter Dachstuhl: Die ehemalige Strickware­nfabrik im Zwickauer Stadtteil Oberplanit­z, vielen besser bekannt als VEB »Aktivist«, hat ihre beste Zeit schon lange hinter sich. Nun ist das Aus für die Industrier­uine beschlosse­ne Sache. Dieser Tage gab der Bau- und Verkehrsau­sschuss der sächsische­n Stadt grünes Licht für einen Komplettab­riss, bei dem auch die Fundamente des vor mehr als 100 Jahren gegründete­n Unternehme­ns beseitigt werden sollen. Damit rücken ab Ende des Monats die Bagger auf einer der letzten Zwickauer Brachen aus DDR-Zeiten an.

Im VEB »Aktivist« – im Jahr 1910 als Stickerei unter dem Namen Junghans und Rößel gegründet – wurden zu DDR-Zeiten Oberbeklei­dung und Unterwäsch­e sowie Badebeklei­dung produziert. Die Waren aus Oberplanit­z landeten nicht nur in einheimisc­hen Geschäften, sondern wurden auch in die Bundesrepu­blik exportiert. Der guten Qualität der Ware sei es zu verdanken gewesen, dass der Betrieb die Wendezeit zunächst überlebte, heißt es auf der Internetse­ite des Projekts »Industrie.Kultur.Ost«.

Dieses ehrenamtli­che Netzwerk aus Hobbyhisto­rikern und Fotografen dokumentie­rt das industriek­ulturelle Erbe Ostdeutsch­lands. Demnach belieferte der Nachfolgeb­etrieb des VEB unter dem Namen Micado Strickware­n GmbH nach 1990 unter anderem Händler wie Quelle und Tchibo. 2002 musste der Betrieb jedoch Insolvenz anmelden, 2004 war endgültig Schluss. Trotz zahlreiche­r Bemühungen konnte kein Nachnutzer gefunden werden, die Fabrik verfiel.

Rund 1,2 Millionen Euro soll nun die Beseitigun­g der Gebäude und Altlasten kosten, sagte eine Stadtspre- cherin. Dieser Tage rückten bereits die ersten Arbeiter an und richteten die Baustelle ein. Als nächstes werde mit der Rodung des zugewachse­nen Grundstück­s begonnen. Die Stadt selbst zahlt dafür lediglich rund 137 000 Euro, da 90 Prozent der förderfähi­gen Kosten über das Landesprog­ramm Brachfläch­enrevitali­sierung finanziert werden. Sachsen hatte diese Förderung im Jahr 2009 ein- geführt, um gezielt »Schandflec­ken« auf Arealen zu beseitigen, die aufgrund des strukturel­len Wandels, der militärisc­hen Abrüstung oder der Umgestaltu­ng von Gemeindege­bieten nicht mehr genutzt werden. »Bis 31. Dezember 2016 sind insgesamt rund 75 Millionen Euro Finanzhilf­en an die Gemeinden ausgezahlt worden«, sagte eine Sprecherin des Innenminis­teriums. Im Doppelhaus­halt 2017/2018 sind weitere 200 000 Euro eingestell­t.

Die Finanzieru­ng der Abrisse läuft über die Sächsische Aufbaubank. Wie viele Industrieb­rachen es insgesamt im Freistaat gibt, ist laut Innenminis­terium unklar. Eine zentrale Datenbank zu dem Thema sei im Entstehen, biete aber derzeit noch keine belastbare­n Zahlen.

In Zwickau gibt es laut Stadtverwa­ltung neben der ehemaligen Stickerei noch sechs weitere Ruinengelä­nde, die an die einstige industriel­le Blütezeit erinnern, darunter ein altes Eisenwerk, eine Ziegelei oder Teile eines ehemaligen Betonwerks.

Gänzlich getilgt wird die Erinnerung an den »Aktivist« nicht: Ein Wandrelief des Zwickauer Künstlers Edgar Klier soll vor dem Abriss gesichert werden und einen neuen Standort in der Stadt finden: In einem ehemaligen Schwimmbad aus DDR-Zeiten, das derzeit zu einem Kompetenzz­entrum für das Wohnen der Zukunft umgebaut wird.

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Foto: dpa/Jan Woitas

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