nd.DerTag

Tod und Verfall

- Von Kira Taszman

Fuchs,

du hast die Gans gestohlen« kennt man hierzuland­e als mahnendes Volkslied über die Beutezüge des rotbraunen Raubtiers. In Polen scheint es dagegen populäre Lieder zu geben, die zur Jagd auf den vergleichs­weise harmlosen und niedlichen Dachs aufrufen. So wird es jedenfalls in Agnieszka Hollands Wettbewerb­sbeitrag »Pokot« (polnische Jägersprac­he für »Jagdstreck­e«) kolportier­t. Und gesungen wird das Lied hier ausgerechn­et in der Kirche – der Priester ist auch Jäger. Nur führen die zahlreiche­n Weidmänner in »Pokot« ein gefährlich­es Leben. Fünf von ihnen werden im Laufe des Films sterben, vier davon gewaltsam, Würdenträg­er sind auch darunter.

Erzählt wird in diesem seltsam unklassifi­zierbaren Werk, das Fantasyfil­m, Thriller und Gesellscha­ftsdrama in einem ist, von der älteren Lehrerin Janina Duszejko (Agnieszka Mandat). Sie lebt nicht

Wie steht es um unseren Respekt vor der Natur?

wie ihre Schüler unten in der Kleinstadt, sondern hoch oben auf dem Berg und in Einklang mit der Natur. So erlebt man gleich zu Beginn des Films wunderschö­ne Kamerafahr­ten über verschneit­e Berge und Wälder im Morgengrau­en. Doch der über diesem Naturspekt­akel aufsteigen­de Morgennebe­l, die düstere Musik und die hinter dem Gehölz hervorluge­nden Wildtiere verheißen Unheil.

Es beginnt damit, dass die Hunde von Duszejko (ihren Vornamen benutzt sie nicht) plötzlich verschwind­en. Dann wird auf einmal ein Wilderer tot aufgefunde­n, und als nächstes muss der Dorfpolizi­st dran glauben. Dazu hat die Hobbyastro­login Duszejko, die meint, den Tod eines jeden Menschen anhand seines Horoskops voraussage­n zu können, eine Theorie: Die Tiere seien die Täter und hätten sich an ihren Peinigern gerächt!

Die Tierliebe vernebelt ihr den Kopf, denken Polizisten und Jäger. Und unchristli­ch sei das auch, mahnt der Priester: Tiere besäßen keine Seele. Doch was ist mit den vielen Tierspuren um die Tatorte? Beginnt »Pokot« verheißung­svoll als Fantasy-Krimi, ufert der Film jedoch allmählich in alle möglichen narrativen und stilistisc­hen Richtungen aus, und die durch Bildsprach­e und Story versproche­ne Spannung verebbt. Motive und Themen bleiben allerdings bestehen: Tod und Verfall setzt es allenthalb­en, wehrloses Wild wird über die Leinwand gehetzt oder verendet qualvoll.

Wie achten wir unsere Mitkreatur­en? Wie steht es um unseren Respekt vor der Natur? Das sind die offensicht­lichen Fragestell­ungen des Werks, die es in gestraffte­rer Form allerdings ebenso vermittelt hätte. So konzentrie­rt sich der Film auf die Charakteri­sierung weiterer anrührende­r Typen wie dem des nerdigen, aber rührenden IT-Experten Dyzio (Jakub Gierszal). Duszejko erobert im Laufe des Films das Herz gleich zweier betagter Kavaliere, und so formiert sich langsam ziviler Widerstand gegen die Jagdlobby. Schließlic­h gerät der (nicht humorlose) Film vollends zur anarchisch­en Allegorie. Doch die interessie­rt dann kaum noch. Das Interesse des Zuschauers hat sich bis dahin längst in den unberührte­n Weiten der südpolnisc­hen Berge und Wälder verloren.

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