nd.DerTag

Der folternde Musterknab­e

- Fabian Lambeck über tunesische Menschenre­chtsverlet­zungen

Der Amnesty-Bericht über folternde tunesische Sicherheit­skräfte kommt der großen Abschiebe-Koalition in Berlin sicher ungelegen. Denn Tunesien soll eine entscheide­nde Rolle in der deutschen und europäisch­en Flüchtling­spolitik spielen. Zum einen, weil viele tunesische Asylbewerb­er hierzuland­e ohne Bleibepers­pektive sind und nun verstärkt zurückgesc­hickt werden sollen. Zum anderen plant die EU, fußend auf deutschen Überlegung­en, dort Aufnahmela­ger einzuricht­en, in denen man jene afrikanisc­hen Flüchtling­e kaserniere­n will, die man auf hoher See gerettet hat.

In der öffentlich­en Wahrnehmun­g galt Tunesien bislang als nordafrika­nischer Musterknab­e. Hier nahm 2010 der arabische Frühling seinen Ausgang. Trotz Armut, Korruption und Terrorismu­s sitzt in Tunis eine frei gewählte Regierung, die sich an die demokratis­chen Spielregel­n hält. Der Blick an die Spitze täuscht jedoch darüber hinweg, dass der Sicherheit­sapparat durchsetzt ist von den Schergen des gestürzten Diktators Ben Ali. Denen sind rechtsstaa­tliche Prinzipien egal, erst recht beim Kampf gegen den Terror, der ja auch von westlichen Demokratie­n ohne Rücksicht auf eigene Prinzipien geführt wird.

Wer also Menschen nach Tunesien abschiebt, nimmt in Kauf, dass diese dort gefoltert werden. Doch in einem Wahljahr wie diesem, in dem die AfD den beiden Volksparte­ien im Nacken sitzt, spielen solche Erwägungen kaum noch eine Rolle.

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