Längere Wege und nichts gespart
Gebietsreform – das mag in manchen Ohren dröge klingen. Derlei Vorhaben sorgen aber häufig für mächtig Zoff. In Brandenburg übergibt eine Volksinitiative heute Unterschriften gegen die geplante Kreisreform an die Landtagspräsidentin. In Thüringen liegen m
Was bringen Gebietsreformen? Regierungen wollen damit Verwaltungen trotz sinkender Einwohnerzahl »zukunftsfähig« machen. Forscher warnen aber vor einem hohen politischen Preis. Kurz nach sieben werden manche Abgeordnete im Kreistag von AnhaltBitterfeld unruhig, vor allem, wenn die Tagesordnung noch viele offene Punkte enthält. Nicht, dass es ihnen an Engagement für ihre politische Arbeit fehlt. Das Problem ist: Wer in der Region Zerbst im Norden des Landkreises wohnt und halb acht nicht im Auto sitzt, kommt vom Sitz des Kreistages in Köthen nur noch auf Umwegen nach Hause. »Die Elbfähre in Aken«, sagt Christina Buchheim, Kommunalexpertin der Linkspartei im Magdeburger Landtag, »setzt 20 Uhr das letzte Mal über.«
Dass die Elbquerung zum Nadelöhr für Feierabendpolitiker wurde, gehört zu den skurrileren Folgen der Kreisgebietsreform vor zehn Jahren. 2007 wurde die Zahl der Landkreise in Sachsen-Anhalt von 21 auf elf verringert. Die Landesregierung aus CDU und SPD wollte so erreichen, dass die kommunale Verwaltung auch bei sinkender Einwohnerzahl »zukunftsfähig« bleibt. Die neuen Kreise hatten im Schnitt 120 000 Einwohner – und eine enorme Ausdehnung. Der alte Kreis Köthen erstreckte sich über 475 Quadratkilometer, der neue Kreis ist dreimal so groß.
Zur Frage, was die Reform außer längeren Wegen gebracht hat, gibt es zehn Jahre später geteilte Ansichten. Fest steht: Die Personalkosten der Kreise sind, wie Innenminister Holger Stahlknecht im Oktober auf Anfrage der AfD mitteilte, von 2007 bis 2014 um 25 auf 426 Millionen Euro gestiegen, was freilich auch an Lohnzuwächsen lag. Der »laufende Sachaufwand« stieg von 310 auf 402 Millionen Euro. Das Einsparen von Geld habe auch gar »nicht zu den originären Zielen« der Reform gehört, sagt der CDU-Politiker. Vielmehr habe man die Verwaltung »leistungsstark« halten wollen. Das sei gelungen, sagt Heinz-Lothar Theel, Geschäftsführer des Landkreistages, auf nd-Anfrage. Er verweist etwa auf die Bewältigung des Hochwassers 2013 und die Versorgung vieler Flüchtlinge ab 2015.
Läuft dank Reform also alles glatter? Wissenschaftler stützen diese These nicht. Zwei Forscher vom IfoInstitut in Dresden und dem LeibnizInstitut für Wirtschaftsforschung der Uni München legten jetzt eine Analyse vor, für die 30 Studien zu Gebietsreformen etwa in den Niederlanden, Dänemark, der Schweiz und Baden-Württemberg ausgewertet wurden. In aller Regel, schreiben die Autoren Sebastian Blesse und Felix Rösel, wiesen die Untersuchungen »nicht darauf hin«, dass Fusionen zur »Erhöhung der Qualität und Effekti- vität im Verwaltungshandeln geführt haben«. So steige in den größeren Strukturen oft auch der Aufwand für Beschaffung und Bereitstellung von Informationen.
Generell stärkt die Studie eher Kritiker als Befürworter von Gebietsreformen. Bislang sei erstaunlich wenig über die Effekte von solchen Reformen bekannt, so die Autoren. Sie selbst versuchten nun, die Effekte mittels »ökonometrischer Evaluation« zu bestimmen. Ihr Fazit: Der fiskalische Nutzen von Gebietsreformen werde »deutlich überschätzt«, die Auswirkungen auf die politische Teilhabe aber »systematisch unterschätzt«.
Skeptisch äußerte sich jüngst auch der Greifswalder Wirtschaftsgeograf Helmut Klüter zu den Auswirkungen der Kreisreform in Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2011. Damals wurden aus zuvor zwölf Kreisen und sechs kreisfreien Städte sechs Kreise und zwei freie Städte gebildet. Hiervon habe vor allem der ohnehin stärkere Westen des Landes und die Bürokratie profitiert. Von den erhofften Spareffekten sei nichts zu spüren, vielmehr sei die Zahl der Vollzeitbeschäftigten in Kreis- und Gemeindeverwaltungen gestiegen. Klüter hält das Land für »überzentralisiert«; einstmals wichtige Verwaltungssitze wie Anklam, Wolgast und Ueckermünde müssten wieder aufgewertet werden. Klüter rät zudem, die Stadtkreise Neubrandenburg, Greifswald und Stralsund wieder einzurichten. Diese Städte könnten ihre »Leuchtturmfunktion« nicht mehr wahrnehmen. Es gebe dringenden Handlungsbedarf, wenn man sich nicht »in ein paar Jahren« fast »ausschließlich mit AfDBürgermeistern unterhalten« wolle.
In diese Kerbe schlägt auch die IfoStudie. Deren Autoren sehen Belege dafür, dass solche Reformen einen »Rückgang der Demokratiezufriedenheit und der Wahlbeteiligung« zur Folge hatten – und populistische Strömungen davon profitierten. Letzteres belegt Rösel mit Beobachtungen aus der Steiermark. In dem österreichischen Bundesland wurde 2015 ein Teil der Gemeinden fusioniert, andere nicht. Die rechtspopulistische FPÖ, die Position gegen die Reform bezogen hatte, verbuchte danach in neu zugeschnittenen Gemeinden 2,6 Prozent mehr Stimmen.
In Sachsen fand 2008 eine Gebietsreform statt, bei der die Zahl der Landkreise von 22 auf zehn sank. Zwar sei der anfängliche Unmut in der Bevölkerung abgeflaut, sagt André Schollbach, Kommunalexperte der Linkspartei im Dresdner Landtag. Allerdings ist laut Ifo-Studie das Interesse an kommunalen politischen Mandaten in Sachsen seither deutlich niedriger als in Thüringen und Brandenburg, wo keine solchen Fusionen stattgefunden hatten. Bei den Kommunalwahlen 2008 und 2014 sei die Zahl der Bewerber gegenüber 2004 um 13 Prozent gesunken.
Der Wirtschaftsgeograf Klüter sieht dringenden Handlungsbedarf, wenn man sich nicht in ein paar Jahren fast »ausschließlich mit AfDBürgermeistern unterhalten« wolle.