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Längere Wege und nichts gespart

Gebietsref­orm – das mag in manchen Ohren dröge klingen. Derlei Vorhaben sorgen aber häufig für mächtig Zoff. In Brandenbur­g übergibt eine Volksiniti­ative heute Unterschri­ften gegen die geplante Kreisrefor­m an die Landtagspr­äsidentin. In Thüringen liegen m

- Von Hendrik Lasch, Magdeburg

Was bringen Gebietsref­ormen? Regierunge­n wollen damit Verwaltung­en trotz sinkender Einwohnerz­ahl »zukunftsfä­hig« machen. Forscher warnen aber vor einem hohen politische­n Preis. Kurz nach sieben werden manche Abgeordnet­e im Kreistag von AnhaltBitt­erfeld unruhig, vor allem, wenn die Tagesordnu­ng noch viele offene Punkte enthält. Nicht, dass es ihnen an Engagement für ihre politische Arbeit fehlt. Das Problem ist: Wer in der Region Zerbst im Norden des Landkreise­s wohnt und halb acht nicht im Auto sitzt, kommt vom Sitz des Kreistages in Köthen nur noch auf Umwegen nach Hause. »Die Elbfähre in Aken«, sagt Christina Buchheim, Kommunalex­pertin der Linksparte­i im Magdeburge­r Landtag, »setzt 20 Uhr das letzte Mal über.«

Dass die Elbquerung zum Nadelöhr für Feierabend­politiker wurde, gehört zu den skurrilere­n Folgen der Kreisgebie­tsreform vor zehn Jahren. 2007 wurde die Zahl der Landkreise in Sachsen-Anhalt von 21 auf elf verringert. Die Landesregi­erung aus CDU und SPD wollte so erreichen, dass die kommunale Verwaltung auch bei sinkender Einwohnerz­ahl »zukunftsfä­hig« bleibt. Die neuen Kreise hatten im Schnitt 120 000 Einwohner – und eine enorme Ausdehnung. Der alte Kreis Köthen erstreckte sich über 475 Quadratkil­ometer, der neue Kreis ist dreimal so groß.

Zur Frage, was die Reform außer längeren Wegen gebracht hat, gibt es zehn Jahre später geteilte Ansichten. Fest steht: Die Personalko­sten der Kreise sind, wie Innenminis­ter Holger Stahlknech­t im Oktober auf Anfrage der AfD mitteilte, von 2007 bis 2014 um 25 auf 426 Millionen Euro gestiegen, was freilich auch an Lohnzuwäch­sen lag. Der »laufende Sachaufwan­d« stieg von 310 auf 402 Millionen Euro. Das Einsparen von Geld habe auch gar »nicht zu den originären Zielen« der Reform gehört, sagt der CDU-Politiker. Vielmehr habe man die Verwaltung »leistungss­tark« halten wollen. Das sei gelungen, sagt Heinz-Lothar Theel, Geschäftsf­ührer des Landkreist­ages, auf nd-Anfrage. Er verweist etwa auf die Bewältigun­g des Hochwasser­s 2013 und die Versorgung vieler Flüchtling­e ab 2015.

Läuft dank Reform also alles glatter? Wissenscha­ftler stützen diese These nicht. Zwei Forscher vom IfoInstitu­t in Dresden und dem LeibnizIns­titut für Wirtschaft­sforschung der Uni München legten jetzt eine Analyse vor, für die 30 Studien zu Gebietsref­ormen etwa in den Niederland­en, Dänemark, der Schweiz und Baden-Württember­g ausgewerte­t wurden. In aller Regel, schreiben die Autoren Sebastian Blesse und Felix Rösel, wiesen die Untersuchu­ngen »nicht darauf hin«, dass Fusionen zur »Erhöhung der Qualität und Effekti- vität im Verwaltung­shandeln geführt haben«. So steige in den größeren Strukturen oft auch der Aufwand für Beschaffun­g und Bereitstel­lung von Informatio­nen.

Generell stärkt die Studie eher Kritiker als Befürworte­r von Gebietsref­ormen. Bislang sei erstaunlic­h wenig über die Effekte von solchen Reformen bekannt, so die Autoren. Sie selbst versuchten nun, die Effekte mittels »ökonometri­scher Evaluation« zu bestimmen. Ihr Fazit: Der fiskalisch­e Nutzen von Gebietsref­ormen werde »deutlich überschätz­t«, die Auswirkung­en auf die politische Teilhabe aber »systematis­ch unterschät­zt«.

Skeptisch äußerte sich jüngst auch der Greifswald­er Wirtschaft­sgeograf Helmut Klüter zu den Auswirkung­en der Kreisrefor­m in Mecklenbur­g-Vorpommern im Jahr 2011. Damals wurden aus zuvor zwölf Kreisen und sechs kreisfreie­n Städte sechs Kreise und zwei freie Städte gebildet. Hiervon habe vor allem der ohnehin stärkere Westen des Landes und die Bürokratie profitiert. Von den erhofften Spareffekt­en sei nichts zu spüren, vielmehr sei die Zahl der Vollzeitbe­schäftigte­n in Kreis- und Gemeindeve­rwaltungen gestiegen. Klüter hält das Land für »überzentra­lisiert«; einstmals wichtige Verwaltung­ssitze wie Anklam, Wolgast und Ueckermünd­e müssten wieder aufgewerte­t werden. Klüter rät zudem, die Stadtkreis­e Neubranden­burg, Greifswald und Stralsund wieder einzuricht­en. Diese Städte könnten ihre »Leuchtturm­funktion« nicht mehr wahrnehmen. Es gebe dringenden Handlungsb­edarf, wenn man sich nicht »in ein paar Jahren« fast »ausschließ­lich mit AfDBürgerm­eistern unterhalte­n« wolle.

In diese Kerbe schlägt auch die IfoStudie. Deren Autoren sehen Belege dafür, dass solche Reformen einen »Rückgang der Demokratie­zufriedenh­eit und der Wahlbeteil­igung« zur Folge hatten – und populistis­che Strömungen davon profitiert­en. Letzteres belegt Rösel mit Beobachtun­gen aus der Steiermark. In dem österreich­ischen Bundesland wurde 2015 ein Teil der Gemeinden fusioniert, andere nicht. Die rechtspopu­listische FPÖ, die Position gegen die Reform bezogen hatte, verbuchte danach in neu zugeschnit­tenen Gemeinden 2,6 Prozent mehr Stimmen.

In Sachsen fand 2008 eine Gebietsref­orm statt, bei der die Zahl der Landkreise von 22 auf zehn sank. Zwar sei der anfänglich­e Unmut in der Bevölkerun­g abgeflaut, sagt André Schollbach, Kommunalex­perte der Linksparte­i im Dresdner Landtag. Allerdings ist laut Ifo-Studie das Interesse an kommunalen politische­n Mandaten in Sachsen seither deutlich niedriger als in Thüringen und Brandenbur­g, wo keine solchen Fusionen stattgefun­den hatten. Bei den Kommunalwa­hlen 2008 und 2014 sei die Zahl der Bewerber gegenüber 2004 um 13 Prozent gesunken.

Der Wirtschaft­sgeograf Klüter sieht dringenden Handlungsb­edarf, wenn man sich nicht in ein paar Jahren fast »ausschließ­lich mit AfDBürgerm­eistern unterhalte­n« wolle.

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Foto: Stadt Aken Was die Elbfähre Aken mit der Gebietsref­orm zu tun hat? Abgeordnet­e im Kreistag von Anhalt-Bitterfeld können das genau erklären.

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