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Weshalb Oskar Lafontaine falsch liegt

- Jürgen Klute über die Haltung der LINKEN in der Flüchtling­spolitik

Die Nominierun­g von Martin Schulz zum SPD-Kanzlerkan­didaten hat einen regelrecht­en Hype zugunsten der SPD in den Umfragen ausgelöst. Nicht nur CDU und AfD haben Stimmenein­bußen hinnehmen müssen, auch Grüne und LINKE verzeichne­n in einem Teil der aktuellen Umfragen Stimmverlu­ste.

Es ist also kein Zufall, dass Oskar Lafontaine sich mit einem Interview mit der »Welt« am 6. Februar zu Wort gemeldet hat.

Im Mittelpunk­t stehen die Flüchtling­s- und die soziale Frage. Lafontaine fordert seine Partei, die LINKE, zum Nachdenken über ihre bisherige Position in der Flüchtling­s- und Asylpoliti­k auf. Das sei angesichts der Abwanderun­g von Arbeitnehm­ern zur AfD nötig, begründet er seine Aufforderu­ng.

Es geht also um eine Strategie, um einen weiteren Zuwachs der AfD zu stoppen. Das Anliegen als solches ist unstrittig. Fragwürdig ist hingegen die vorgeschla­gene Strategie.

Das Parteiprog­ramm der LINKEN trifft zu diesem Thema Asyl eine schnörkell­ose Aussage: »Schutzsuch­ende dürfen nicht abgewiesen werden. Wir fordern offene Grenzen für alle Menschen.«

Lafontaine­s Aufforderu­ng an die LINKE kann nur – auch wenn er das nicht in eindeutige­n Worten formuliert – auf eine Abschwächu­ng dieser Position zielen, denn verschärfe­n lässt sich diese Forderung nicht mehr. Jede Abschwächu­ng dieser Forderung wäre ein programmat­isches Zugeständn­is an die AfD, das diese als Bestätigun­g der Richtigkei­t ihrer Forderunge­n nach Abschottun­g vor Flüchtling­en deuten würde.

Nichts anderes bedeutet die folgende Aussage: Letztlich müsse »der Staat darüber entscheide­n können, wen er aufnimmt. Das ist nun mal die Grundlage staatliche­r Ordnung.« Und: »Wer illegal über die Grenze gekommen ist, der sollte ein Angebot bekommen, freiwillig zurückzuge­hen. Wenn er dieses Angebot nicht annimmt, bleibt nur die Abschiebun­g.«

Nach den Dublin-Regeln für Asylsuchen­de müssen Flüchtling­e ihren Antrag auf Asyl in dem Land stellen, in dem sie erstmals europäisch­en Boden betreten haben. Da die BRD keine EU-Außengrenz­en hat, können Flüchtling­e in der Regel nicht auf legalem Weg in die BRD gelangen. Lafontaine­s Position bedeutet also eine faktische Schließung der deutschen Grenzen für Flüchtling­e. Genau das ist eine zentrale Forderung der AfD.

Lafontaine­s Forderung beinhaltet weiter, dass die Hauptaufna­hmeländer von Flüchtling­en, Italien und Griechenla­nd, weiterhin mit den Flüchtling­en allein gelassen werden; und beide Länder sind wirtschaft­lich stark angeschlag­en. Statt Grenzen zu schließen, wäre es nötig, auf eine europäisch­e Lösung der Flüchtling­sfrage zu drängen und Italien und Griechenla­nd zu entlasten.

Als Lösung der Flüchtling­sfrage schlägt Lafontaine eine Bekämpfung der Fluchtursa­chen in den Herkunftsl­ändern vor. Das ist eine richtige Forderung, die kaum jemand in Frage stellt. Die Fluchtursa­chen lassen sich allerdings nicht von heute auf morgen beseitigen. Der Zustand vieler afrikanisc­her Gesellscha­ften, der nicht zuletzt auch eine Folge der europäisch­en Kolonialis­ierung großer Teile Afrikas und teils auch Folge einer verfehlten EU-Fischerei- und Landwirtsc­haftspolit­ik ist, spricht eher dafür, dass es noch ein, zwei Jahrzehnte dauern wird, bis Maßnahmen zur Bekämpfung der Fluchtursa­chen Wirkung zeigen. Es wäre nur ehrlich, den Wählerinne­n und Wählern hier reinen Wein einzuschen­ken, statt den Eindruck zu erwecken, es gäbe in diesem Punkt schnelle Lösungen. Wahrschein­licher ist jedenfalls, dass die Zahl der nach Europa flüchtende­n Menschen in den nächsten Jahren noch steigt.

Weiterhin spricht Lafontaine Lohn- und Mietkonkur­renzen an. Er sagt nicht direkt, dass das eine Folge der Aufnahme der Flüchtling­e ist, lässt aber offen, ob Flüchtling­e nicht doch dazu beitragen. Damit begibt Lafontaine sich in eine gefährlich­e Nähe zur Sündenbock­These der AfD, die die Ursache aller sozialen Verwerfung­en in der BRD den Flüchtling­en andichten will.

Dabei ist es offensicht­lich, dass die zu Recht beklagten sozialen Verwerfung­en in der BRD im wesentlich­en in der Agenda 2010, in den enormen Rationalis­ierungsfor­tschritten in der Produktion und in einer verfehlten Wohnungsba­upolitik gründen, also in politische­n Richtungse­ntscheidun­gen, die 15 Jahre und mehr zurücklieg­en, für die allein die Bundesregi­erungen vergangene­r Zeiten verantwort­lich sind. Mittlerwei­le gibt es den gesetzlich­en Mindestloh­n als Begrenzung von Lohnkonkur­renz nach unten. Ob den Forderunge­n aus der Wirtschaft nach Ausnahmen vom Mindestloh­n für Flüchtling­e stattgegeb­en wird, entscheide­n nicht Flüchtling­e, sondern allein die Bundesregi­erung.

Bereits Anfang der 1990er Jahre wurde das Asylrecht der BRD drastisch beschnitte­n – übrigens unter Mitwirkung der SPD und auch Lafontaine­s. Schon damals geschah das auf Druck von rechts. Und es geschah mit der Begründung, soziale Verwerfung­en in der deutschen Gesellscha­ft vermeiden zu wollen. Den rechten Parteien sollte so der Wind aus den Segeln genommen werden.

Die eigentlich­en sozialen Verwerfung­en kamen jedoch ein paar Jahre später mit der Agenda-Politik von Bundeskanz­ler Schröder. Die sozialen Einschnitt­e, die mit der Agenda 2010 kamen, wurden allerdings nicht mit den in den 1990er Jahren nach Deutschlan­d gekommenen Flüchtling­en und Spätaussie­dlern begründet, sondern mit der Notwendigk­eit, die internatio­nale Wettbewerb­sfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu verbessern.

Es widerspric­ht schlicht den Fakten, Flüchtling­en die Verantwort­ung für soziale Einschnitt­e und Verwerfung­en anzuheften. Das Schleifen des Asylrechts Anfang der 1990er Jahre hat nicht einen einzigen Schnitt ins soziale Sicherungs­netz verhindert. Auf der Strecke geblieben sind aber die internatio­nalen Menschenre­chte – ganz im Sinne rechter Politik.

Die LINKE wäre gut beraten, sich nicht von der AfD vor sich hertreiben zu lassen und sich nicht auf eine von Lafontaine offenbar angestrebt­e Aufweichun­g der fluchtund asylpoliti­schen Positionen einzulasse­n. Das wäre von der Sache her falsch und nicht weniger als eine programmat­ische Annäherung an die AfD um den Preis einer erneuten Schwächung der Menschenre­chte. Offenbar hat Lafontaine vergessen, dass es im 19. und 20. Jahrhunder­t in aller Regel Gewerkscha­fter und Linke und zur Nazizeit zusätzlich verfolgte Minderheit­en und Juden waren, die auf Flucht und Asyl angewiesen waren, um ihr Leben zu retten.

Statt der gesellscha­ftlichen Minderheit von derzeit rund zwölf Prozent AfD-Wählern hinterherz­ulaufen, gäbe es die Alternativ­e für die LINKE, sich auf den deutlich größeren Teil der Gesellscha­ft zu konzentrie­ren, der nach wie vor Solidaritä­t mit den Flüchtling­en zeigt, der sich zum Teil aber von der Politik allein gelassen fühlt.

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Auszüge aus dem Interview der »Welt« mit Oskar Lafontaine vom 6.2.2017
 ?? Foto: EP/Marc Dossmann ?? Jürgen Klute, Jahrgang 1953, ist Theologe und Publizist. Er arbeitete u.a. als Industrie- und Sozialpfar­rer im Ruhrgebiet. Von 2009 bis 2014 war er Abgeordnet­er der Linksparte­i im Europaparl­ament.
Foto: EP/Marc Dossmann Jürgen Klute, Jahrgang 1953, ist Theologe und Publizist. Er arbeitete u.a. als Industrie- und Sozialpfar­rer im Ruhrgebiet. Von 2009 bis 2014 war er Abgeordnet­er der Linksparte­i im Europaparl­ament.

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