»Menschenrechtlich gesehen ist Tunesien nicht sicher«
Linkspartei und Grüne kritisieren geplantes Abschiebeabkommen mit dem Maghreb-Staat
Kampf gegen den Terror, Abschiebung von Flüchtlingen: Die Bundesregierung dringt auf mehr Zusammenarbeit mit Tunesien. Doch laut einem Bericht sind dort Menschenrechtsverletzungen weit verbreitet. Berlin. Vor dem Besuch des tunesischen Premierministers Youssef Chahed am Dienstag in Berlin ist die Menschenrechtslage in dem nordafrikanischen Land verstärkt in den Blick geraten. Grüne und LINKE kritisierten die geplante Einstufung Tunesiens als sicheres Herkunftsland, um abgelehnte Asylbewerber leichter dorthin abschieben zu können. Amnesty International wirft dem Maghreb-Staat in einem Bericht unter anderem Folter, willkürliche Inhaftierungen, Razzien ohne Durchsuchungsbeschluss und Reisebeschränkungen vor.
»Menschenrechtlich gesehen ist Tunesien nicht sicher«, sagte die Sprecherin für Flüchtlingspolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, Luise Amtsberg, am Montag. Die Lage sei für alle Flüchtlinge vor Ort katastrophal – sowohl für Tunesier, die in ihr Heimatland zurückgebracht werden, als auch für Flüchtlinge aus anderen Staaten.
Laut Amnesty wurden die menschenrechtlichen Vergehen seitens der tunesischen Behörden vor allem mit dem Verdacht auf terroristische Straftaten begründet. Seit 2015 wende Tunesien Notstandsgesetze an, von denen viele mit Menschenrechtsstandards nicht vereinbar seien, heißt es in dem Bericht.
Die LINKE-Politikerin Ulla Jelpke bezeichnete den Amnesty-Bericht über Tunesien als »alarmierend«. »Der Arabische Frühling stellte in Sachen Folter in Tunesien keine Zäsur dar. Es häuften sich weiterhin die Berichte von schwerer Folter auch mit Todesfolge und sexualisierter Gewalt durch Sicherheitskräfte«, so Jelpke. Dass Tunesien immer wieder als Vorzeigestaat dargestellt werde, während Übergriffe und Folter andauern, zeige, dass es der Bundesregierung nicht um Menschenrechte gehe, sondern da- rum, Flüchtlinge um jeden Preis loszuwerden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will Premier Chahed am Dienstag im Kanzleramt empfangen. Dabei soll es unter anderem um ein geplantes Abkommen zur Rückführung abgelehnter Asylbewerber nach Tunesien gehen. Jelpke forderte die Kanzlerin auf, die menschenrechtlichen Probleme in Tunesien anzusprechen. »Die Pläne für die Errichtung von Abschiebelagern für Flüchtlinge in Tunesien müssen sofort eingestellt werden«, sagte Jelpke. Sie stellten einen massiven Angriff auf das Recht auf Asyl dar.
Merkel hatte in ihrer wöchentlichen Videobotschaft am Wochenende den politischen Umbruch in Tunesien seit dem Sturz der Diktatur 2011 gewürdigt. Sie bezeichnete den Maghreb-Staat als Hoffnungsprojekt des Arabischen Frühlings. Die Kanzlerin verteidigte zudem das derzeit im Bundesrat blockierte Vorhaben, Tunesien, Algerien und Marokko zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären.