Die Wut in den Banlieues
Weiter Proteste gegen Polizeigewalt in Frankreich
Eine alltägliche Polizeikontrolle im Pariser Vorort Aulnay-sous-Bois ist vor rund zehn Tagen eskaliert. So sehr, dass der 22-jährige Théo mit schweren Verletzungen im Gesicht und am Gesäß im Krankenhaus liegt und zwei Monate lang nicht mehr arbeiten kann. Protestaktionen gegen Polizeigewalt nehmen immer größere Ausmaße an. Dabei kommt es auch zu gewalttätigen Ausschreitungen, obwohl Théo von seinem Krankenbett aus zu Ruhe und Besonnenheit aufgerufen hat.
Gegen die vier Polizisten, die ihn brutal zusammengeschlagen haben, als er verbal für einen willkürlich verhafteten Freund Partei ergriff, läuft ein Ermittlungsverfahren wegen unangemessener Gewaltanwendung. Einem von ihnen wurde zeitweise sogar Vergewaltigung mit einem Schlagstock vorgeworfen. Doch inzwischen hat die Staatsanwaltschaft diese Handlung zu einem »unbeabsichtigten Versehen« abgemildert.
Es ist diese Nachsicht gegenüber der Polizei, die die Freunde des Opfers besonders empört. Am Wochenende haben einzelne Jugendliche in Bobigny im Anschluss an eine friedliche Demonstration Autos angezündet und die Scheiben von Läden und Wartehäuschen zerschlagen. Bei den folgenden Zusammenstößen mit der Polizei wurden mehr als 30 Personen verhaftet.
Für Dienstag wurde ein Besuch von Präsident François Hollande
Sogar der offizielle »Verteidiger der Rechte« wirft der Polizei latenten Rassismus vor.
in Aulnay und ein Gespräch mit Einwohnern angekündigt. Die Regierung befürchtet einen Flächenbrand wie im Herbst 2005, als sich Jugendliche sozialer Problemviertel im ganzen Land drei Wochen lang Straßenkämpfe mit der Polizei geliefert hatten. Am Montag empfing daher Premierminister Bernard Cazeneuve Vertreter der Liga für Menschenrechte, von Antirassismusorganisationen und von Bürgervereinigungen aus den betroffenen Vororten. Sie beschwerten sich bei ihm über die Polizei. Diese kontrolliere vor allem schwarze und arabisch aussehende Jugendliche.
Sogar der offizielle »Verteidiger der Rechte«, der ehemalige rechtsbürgerliche Minister Jacques Toubon, wirft der Polizei latenten Rassismus vor und belegt das mit Zahlen. Danach sind von schwarzen oder arabisch aussehenden Jugendlichen 80 Prozent in den letzten Monaten wiederholt kontrolliert worden, während das nur bei 16 Prozent der weißen Franzosen der Fall war. Toubon fordert von der Polizei »ein respektvolles Verhalten gegenüber allen«. Dazu gehöre auch, dass das systematische Duzen von Jugendlichen zu unterbleiben hat.
Ferner fordert er die Wiedereinführung der durch Nicolas Sarkozy abgeschafften »Nachbarschaftspolizei«. Diese allein wäre in der Lage, wieder ein normales vertrauensvollen Verhältnis zwischen der Polizei und der Bevölkerung der Problemviertel herzustellen. Er kritisiert auch, dass das Versprechen von Präsident François Hollande, dass durch einen schriftlichen Nachweis einer ersten Kontrolle weitere am selben Tag zu unterbleiben hätten, auf Druck der Polizeigewerkschaften nie umgesetzt wurde. Auf die geäußerten Besorgnisse eingehend hat Innenminister Bruno Le Roux angekündigt, dass ab März Streifenpolizisten im ganzen Land mit 2600 Videokameras ausgerüstet werden, die bei Personenkontrollen eingeschaltet werden müssen.