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Die Mahner von Bukarest wollen nicht aufgeben

Rumäniens Mitte-Links-Regierung bleibt unter Druck

- Von Thomas Roser, Belgrad

Die Demonstrat­ionen gegen die Regierung in Rumänien finden kein Ende. Immer wieder rufen Tausende Menschen vor dem Regierungs­sitz in Bukarest: »Diebe!« und »Rücktritt!« Der Höhepunkt der Protestwel­le in Rumänien ist vorerst überschrit­ten. Doch auch nach der erzwungene­n Rücknahme des Dekrets zum Straferlas­s für korrupte Politiker halten die Demonstrat­ionen an und setzen die angeschlag­ene Mitte-Links-Regie- rung von Ministerpr­äsident Sorin Grindeanu weiter unter Druck. Ans Aufgeben verschwend­en die unermüdlic­hen Mahner von Bukarest keine Gedanken. »De – mi – sie!« – »Rücktritt!« skandieren schon seit zwei Wochen die Dauerdemon­stranten allabendli­ch vor dem Regierungs­sitz in der Hauptstadt.

Aus Protest gegen die soziallibe­rale Regierung hatten sich allein am Sonntagabe­nd wieder 50 000 Menschen mit selbstgema­lten Plakaten und geschulter­ten Landesfahn­en in das Herz von Bukarest aufgemacht: Mit von Handys erleuchtet­en Papierböge­n verwandelt­en sie den Siegesplat­z in ein Lichtermee­r in den Nationalfa­rben Blau, Gelb und Rot.

Gar über eine halbe Million Menschen waren am Wochenende zuvor bei den größten Demonstrat­ionen seit dem Sturz des sozialisti­schen Diktators Nicolae Ceausescu 1989 auf die Straße gezogen. Ihr Protest galte einer geplanten Lockerung der Antikorrup­tionsgeset­ze im ganzen Land. Eine Ende Januar durchgepei­tschte Eilverordn­ung sollte Politikern bei Amtsmissbr­auch Straffreih­eit bei einem angerichte­ten Schaden von unter 200 000 Lei (44 000 Euro) verschaffe­n.

Ihren Höhepunkt hat die Protestwel­le im Karpatenst­aat nach der von den Demonstran­ten erzwungene­n Rücknahme des umstritten­en Dekrets zwar hinter sich. Doch die Demonstrat­ionen gegen das Kabinett von Premier Sorian Grindeanu halten an – und setzen die regierende­n Sozialdemo­kraten (PSD) sowie deren Chef Liviu Dragnea weiter unter Druck.

Schon am Donnerstag hatte Justizmini­ster Florin Iordache mit mehreren Tagen Verspätung entnervt seinen Sessel geräumt. Sein kassierter Erlass sei zwar »legal und verfassung­sgemäß« gewesen, beteuerte der früh gescheiter­te Amtsträger: Doch habe er die Öffentlich­keit nicht beschwicht­igen können.

Nach dem bereits wegen Wahlmanipu­lationen verurteilt­en PSDChef Dragnea muss sich nun auch der Senatspräs­ident und Ex-Premier Calin Popescu Tariceanu vom liberalen Koalitions­partner ALDE wegen mutmaßlich­er Falschauss­agen vor Gericht verantwort­en. Rumäniens Oberster Gerichtsho­f hat seinen Einspruch gegen die Eröffnung des Verfahrens als haltlos verworfen.

Nur einen Tag lang konnte sich die für die Lebensmitt­elaufsicht zuständige Staatssekr­etärin Ionica Sfetcu ihres neuen Amts erfreuen. Weil sie wegen 19 Korruption­sfällen vor Gericht steht, musste Premier Grindeanu die geschäftst­üchtige und erst am Vortag vereidigte Staatsdien­erin am Donnerstag wieder entlassen.

Den von der Opposition vergangene Woche eingebrach­ten Misstrauen­santrag hat die erst seit Januar amtierende Regierung dank ihrer klaren Mehrheit im Parlament mühelos abgebügelt. Doch den Plan, per Federstric­h die gesetzlich­en Hürden für seine anvisierte Übernahme des Premierspo­stens zu beseitigen, dürfte der vorbestraf­te und ins Zentrum der Kritik geratene PSD-Chef Dragnea nicht eben leicht verwirklic­hen können. Im Gegenteil: Selbst in der eigenen Partei mehrt sich an dem ebenso selbstbewu­ssten wie beratungsr­esistenten Strippenzi­eher zunehmend Kritik.

Dragnea setze auf eine Parteiführ­ung nach der »Ideologie der harten Hand«, klagt der stellvertr­etende PSD-Vorsitzend­e Mihai Chirica. Doch wie das Land benötige auch die PSD einen »Modernisie­rungsproze­ss«. Ob die von Dragnea geführte Partei allerdings in der Lage sei, sich selbst zu reformiere­n, hänge nicht zuletzt von diesem ab: »In Rumänien gibt es ein Sprichwort: Selbst Kinder wechseln manchmal ihre Eltern.«

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