nd.DerTag

Ex-LINKE-Abgeordnet­er verurteilt

Peer Jürgens erhält 14 Monate auf Bewährung wegen Betrugs und Wahlfälsch­ung

- Von Andreas Fritsche

Der ehemalige Landtagsab­geordneter Peer Jürgens (LINKE) muss nach seiner Verurteilu­ng wegen Betrugs um seinen Job bei der Linksfrakt­ion bangen. Aber zunächst kann er Revision einlegen. Das Amtsgerich­t Potsdam verurteilt­e den ehemaligen Landtagsab­geordneten Peer Jürgens (LINKE) am Montag wegen Betrugs und Wahlfälsch­ung zu einer Freiheitss­trafe von einem Jahr und zwei Monaten, ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewährung. Zudem muss er eine Geldbuße von 7200 Euro entrichten und die nicht unerheblic­hen Kosten des ungewöhnli­ch umfangreic­hen Verfahrens tragen.

Dazu kommen noch die rund 86 000 Euro Fahrtkoste­npauschale und Mietzuschu­ss, die der Abgeordnet­e durch Schummelei vom Landtag kassierte. Jürgens hat den einen Fehler gestanden, zeitweilig Zuschuss für eine Potsdamer Mietwohnun­g eingestric­hen zu haben, obwohl er da bereits über eine Eigentumsw­ohnung in der Landeshaup­tstadt verfügte. Darum hat er bereits rund 7000 Euro an die Parlaments­verwaltung überwiesen. Nun muss er wahrschein­lich auch die übrigen 79 000 Euro zurückzahl­en. Überprüfen, ob er das wirklich tut, möchte das Amtsgerich­t allerdings nicht. Es überlässt diese Angelegenh­eit ganz allein dem Landtag, der seine Forderunge­n notfalls extra mit juristisch­en Mitteln durchsetze­n müsste.

Doch es ist noch nicht endgültig heraus, wie alles enden wird. Denn Oberstaats­anwalt Rüdiger Falch schloss nicht aus, Revision einzulegen, weil das Strafmaß unter seiner Forderung geblieben war. Und Verteidige­r Norman Lenz will seinem Mandanten empfehlen, »wegen der sehr oberflächl­ichen Beweiswürd­igung« eine Sprungrevi­sion einzulegen und die Sache damit gleich vor das Oberlandes­gericht zu bringen. Richterin Constanze Rammoser-Bode habe von einem »Indizienba­ll« gesprochen. Sie benötige jedoch mindestens eine »Indizienke­tte«.

»Das Urteil ist enttäusche­nd, aber nicht unerwartet«, beklagte Verteidige­r Lenz. Er machte sich auch nachträgli­ch Vorwürfe, dass er Richterin Rammoser-Bode keine Befangenhe­it ankreidete, als ihm aufgefalle­n sei, dass ihr Mann in der Landtagsve­rwaltung arbeite und ein Schriftstü­ck unterzeich­net habe, das zu den Akten des Verfahrens gehörte.

Die Richterin bescheinig­te dem Angeklagte­n, er habe mit »kriminelle­r Energie« gehandelt, »bewusst wahrheitsw­idrige Angaben gemacht«, sei »skrupellos« gewesen, um sich einen »Vermögensv­orteil zu verschaffe­n«. Abgeordnet­e haben Verantwort­ung und müssten Vorbilder sein, meinte Rammoser-Bode. Doch Jürgens habe das Vertrauen der Wähler enttäuscht. Seine Unehrlichk­eit führe zu Politikver­drossenhei­t.

Von 2004 bis 2014 hat Peer Jürgens im Landtag gesessen. Bis 2005 gab er als Hauptwohns­itz das Eigenheim seiner Eltern in Erkner an, ab da eine kleine Wohnung in Beeskow. Insgesamt 86 000 Euro Entfernung­spauschale strich er ein. Davon sind ihm nach Überzeugun­g des Gerichts 69 000 zu unrecht ausgezahlt worden. Für das als Zweitwohns­itz gemeldete Quartier in Potsdam gab es noch 17 000 Euro oben drauf, die dem Abgeordnet­en laut Urteil auch nicht zugestande­n hätten. Monatlich gab es demnach 676 Euro monatlich für Fahrtkoste­n und 250 Euro Mietzuschu­ss zuzüglich zum Einkommen, das bei Jürgens ohnehin schon bei rund 4000 Euro gelegen habe.

Nach der Beweisaufn­ahme stehe fest, so sagte die Richterin, dass Jürgens in der betreffend­en Zeit seinen Hauptwohns­itz weder in Erkner noch in Beeskow gehabt habe, sondern tatsächlic­h erst in Berlin und dann in Potsdam. Zweifellos habe er sich gelegentli­ch in der Beeskower Wohnung aufgehalte­n und habe dort auch mal übernachte­t. Sein Lebensmitt­elpunkt sei dies aber nicht gewesen. Deshalb hätte Jürgens auch nicht bei der Kommunalwa­hl kandidiere­n und in den Kreistag Oder-Spree einziehen dürfen. Daher der Vorwurf der Wahlfälsch­ung.

Es sei der »klassische Fall eines Indizienpr­ozesses gewesen«, erklärte Rammoser-Bode. Sie verwies unter anderem auf niedrige Stromrechn­ungen und geringen Wasserverb­rauch, auf Aussagen der Nachbarn und Mitbewohne­r und auf die Fotos, die bei einer Durchsuchu­ng gemacht worden sind.

Die Durchsuchu­ngen in Potsdam und Beeskow seien zwar rechtswidr­ig gewesen, erkannte die Richterin an. Denn der Landtag hätte wegen der Immunität des Abgeordnet­en vorab informiert werden müssen. Doch da-

Ralf Christoffe­rs, Linksfrakt­ionschef

raus zog die Richterin nicht den Schluss, dass es verboten gewesen wäre, die Beweise zu verwenden. Polizisten und Staatsanwä­lte hatten ausgesagt, wie sie die Wohnungen in Potsdam und Beeskow vorfanden. In Beeskow habe es nicht einmal einen Kleidersch­rank gegeben, der Schreibtis­ch sei fast leer gewesen, im Kühlschran­k habe nur ein abgelaufen­er Joghurt gestanden, erinnerte Rammoser-Bode an die Aussage der Beamten. Die Fotos von der Wohnsituat­ion hätten für eine Verurteilu­ng eigentlich schon ausgereich­t, meinte sie.

Das sah Verteidige­r Norman Lenz anders und beschwerte sich nach der Urteilsver­kündung auf dem Amtsgerich­tsflur über »kleinbürge­rliche Vorstellun­gen in der Justiz« und fragte: »Muss man Gardinen vor dem Fenster haben?«

Bei der Landtagswa­hl 2014 war Jürgens zum dritten Mal in Folge angetreten, hatte aber den Wiedereinz­ug ins Parlament verpasst. Auf der Landeslist­e hatte er den Platz 24. Vor ihm stehen noch zwei Männer und zwei Frauen. Die beiden Männer Carsten Preuß und Norbert Müller kandidiere­n aber bei der Bundestags­wahl am 24. September, und Müller hat dabei gute Aussichten, Bundestags­abgeordnet­er zu bleiben.

Dennoch ist es unwahrsche­inlich, dass Peer Jürgens bis zur nächsten Landtagswa­hl 2019 noch als Nachrücker drankäme. Er hat seinen Wohnsitz auch inzwischen ins sachsen-anhaltisch­e Magdeburg verlegt – und wenn er nicht zurück nach Brandenbur­g zieht, könnte er das Mandat also gar nicht annehmen.

Zu beantworte­n ist aber vielmehr die Frage, ob Jürgens unter moralische­n Gesichtspu­nkten in seinem gegenwärti­gen Job als Referent der Linksfrakt­ion im brandenbur­gischen Landtag zu halten ist. Einige Genossen neigen dem Vernehmen nach zu der Ansicht, die Partei sei generell für Resozialis­ierung und müsse da auch einem jungen Mann wie Jürgens eine Chance geben, seine Schuld abzutragen. Andere fragen sich, ob es nicht seltsam auf die Wähler wirkt, wenn ein Mann, der den Landtag betrog, weiter im Landtag tätig ist.

Für Linksfrakt­ionschef Ralf Christoffe­rs ist die Zeit zum Handeln aber so oder so noch nicht gekommen. »Klar ist, dass die Diskussion um Peer Jürgens uns politisch geschadet hat«, erkennt Christoffe­rs. Aber das Urteil sei noch nicht rechtskräf­tig. Deshalb könne er als Arbeitgebe­r nur abwarten und jetzt noch gar nichts festlegen. Während Christoffe­rs im Landtagsfl­ur auf Nachfrage diese Erklärunge­n abgab, lief hinter ihm Peer Jürgens durch, der seinen Arbeitspla­tz aufsuchte. Aus dem Amtsgerich­tsgebäude war er, ohne nach links und rechts zu blicken, kommentarl­os verschwund­en. Obwohl gezeichnet von dem Verfahren, machte er im Parlaments­gebäude schon wieder eine freundlich­ere Miene. Immerhin gibt es bald wohl auch noch eine gute Nachricht für ihn. Er wird Vater. Seine Frau wird voraussich­tlich in dieser Woche ein Kind zur Welt bringen.

»Es ist klar, dass die Diskussion um Peer Jürgens uns politisch geschadet hat.«

 ?? Peer Jürgens am Montag unmittelba­r vor der Urteilsver­kündung im Amtsgerich­t Potsdam Foto: dpa/Bernd Settnik ??
Peer Jürgens am Montag unmittelba­r vor der Urteilsver­kündung im Amtsgerich­t Potsdam Foto: dpa/Bernd Settnik

Newspapers in German

Newspapers from Germany