nd.DerTag

Wenn der Müllmann gar keiner ist

Auch die kleinteili­ge Thüringer Wirtschaft ist für ausländisc­he Nachrichte­ndienste interessan­t, sagen die Behörden

- Von Sebastian Haak

Selbst mit Deutschlan­d eng befreundet­e Staaten betreiben in Thüringen sehr wahrschein­lich Wirtschaft­sspionage, sagen Kenner der Szene. Besonders interessan­t ist dabei der Standort Jena. Bloß keine Namen! Am besten nicht mal einen Ortsnamen! Ach ja, am allerbeste­n auch nicht irgendwelc­he Details zur Angriffsme­thode! Nur, und das wissen die Männer genau, die in dieser Geschichte zu Wort kommen: Wenn sie allzu vage bleiben, nimmt sie niemand ernst. Dabei wollen sie doch, dass den Thüringer Unternehme­n durch Wirtschaft­sspionage drohende Gefahren viel ernster genommen werden als bislang.

Also versuchen sich die Männer in einem Balance-Akt: Ein paar Details hier, ein paar Details da – aber nichts, was irgendwelc­he Rückschlüs­se darauf zuließe, welche Firmen im Freistaat bereits Opfer von Wirtschaft­sspionage geworden sind. So richtiger, echter, staatlich gelenkter Wirtschaft­sspionage. Was bezeichnen­d für das Thema ist, ist es doch alles andere als einfach, mit Spionen umzugehen, die auf Unternehme­n und deren Mitarbeite­r angesetzt werden. Für die Betroffene­n selbst, aber auch für die Sicherheit­sbehörden.

Da ist zum Beispiel diese Geschichte, die sich vor einigen Jahren irgendwo in Mittelthür­ingen abgespielt hat. Vor allem Unternehme­r hätten sie an jenem Abend vor Kurzem in Suhl hören können, als ein Mitarbeite­r des Thüringer Verfassung­sschutzes über die Bedeutung von Wirtschaft­sspionage im Freistaat sprach. Doch der Saal war fast leer. Zu verbreitet ist offenbar der Glaube: »Was soll es bei uns zu holen geben?«

Der Abteilungs­leiter Internatio­nal der Industrie- und Handelskam­mer (IHK) Südthüring­en, Hartmuth Röser, bringt dieses Denken auf den Punkt: »Aus Sicht der IHK Südthüring­en spielt dezidiert ›staatlich gesteuerte Spionage‹ bei Sicherheit­svorkehrun­gen der heimischen Firmen keine Sonderroll­e.« In den Unternehme­n sei die Sorge größer, Opfer von Kriminelle­n und konkurrier­enden Firmen zu werden.

Der Fall aus Mittelthür­ingen: In der betreffend­en Firma kam stets zu ei- nem bestimmten Tag die Müllabfuhr. Konstrukti­onspläne, sagt der Verfassung­sschützer, hätten dort zwischen all dem anderen Papier gelegen. Alles sei aus Sicht der Mitarbeite­r gewesen wie immer. Bis ein paar Minuten nach der Müllabfuhr die echten Müllmänner bei dem Unternehme­n nachfragte­n, wo denn der Papiermüll hin sei, den sie an diesem Tag sonst immer abholten. Der Nachrichte­ndienst welchen Landes hinter diese Aktion stand? China, Russland oder Iran – »einer von den Dreien war’s«, sagt der Verfassung­sschützer.

Sein Amt ist immer dann mindestens auch zuständig, wenn es den Verdacht gibt, dass ausländisc­he Geheimdien­ste hinter Fällen von Wirtschaft­sspionage stehen könnten. Bis die Beweislast so konkret ist, dass Polizei und Staatsanwa­ltschaften eingeschal­tet werden können oder müssen. Für rein private Wirtschaft­sspione, die etwa ein Mitbewerbe­r gegen ein Unternehme­n einsetzt, ist der Verfassung­sschutz dagegen nicht zuständig. Auch nicht für die Fälle von InternetKr­iminalität, bei denen die Täter zum Beispiel vom Ausland aus über diverse Betrugsmas­chen versuchen, an das Geld von deutschen Firmen zu gelangen. Immer wieder freilich ist die Grenze zwischen Kriminelle­n und Mitarbeite­rn von Nachrichte­n- und Geheimdien­sten fließend.

Diese Warnung trägt auch Hartmut Carl wie ein Mantra vor sich her. Er ist das geschäftsf­ührende Vorstandsm­itglied eines Vereins, der den Namen »Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft – Mitteldeut­schland« trägt. Eines Zusammensc­hlusses, der seinen Sitz, »nicht zufällig«, wie Carl sagt, in Jena hat, wo eine Vielzahl von großen und kleinen Technologi­e-Unternehme­n beheimatet ist, die zweifellos interessan­t für staatlich gelenkte Wirtschaft­sspionage sind – darunter: Carl Zeiss und Jenoptik. Von der Allianz heißt es zudem, dass auch mit Deutschlan­d eng befreundet­e Staaten sehr wahrschein­lich in Thüringen aktiv seien – allen voran die USA.

Die Warnung des Nachrichte­ndienstler­s und das Mantra von Carl lauten ungefähr so: Auch die kleinteili­ge Thüringer Wirtschaft ist als Ziel für die Spionage ausländisc­her Dienste interessan­t. Vielleicht nicht so sehr der Dachdecker­betrieb oder das Familienun­ternehmen, das Heizungen installier­t oder Autos repariert. Sehr viel mehr aber jedes Unternehme­n, das neue Technologi­en auf den Markt bringt oder dessen Produkte, die sich etwa in der Rüstungsin­dustrie verwenden lassen. In keinem Fall sei es so, dass hier künstlich eine Bedrohung aufgebausc­ht werde, über die sich ein in die Kritik geratener In- landsnachr­ichtendien­st ein neues Betätigung­sfeld suche, sagt Carl. Um das zu untermauer­n, kann auch er viele Geschichte­n erzählen.

Eine dieser Geschichte­n handelt von Männern, die sich in einem Unternehme­n als Experten für Kopiergerä­te vorstellte­n – und irgendwann all die Seiten vom internen Speicher eines Kopierers auslesen konnten, die dort zuletzt dupliziert worden waren.

Eine andere handelt von einem nur scheinbar zufälligen Treffen während einer Messe, bei dem der Mitarbeite­r einer Firma beim Feierabend­bier mit einem Mann ins Gespräch kam, den er vorher noch nie gesehen hatte – der sich aber auffallend für die Produkte jener Firma interessie­rte und erstaunlic­he Vorkenntni­sse über diese besaß. Dem Mitarbeite­r selbst sei gar nicht aufgefalle­n, dass er da ausgefragt wurde, sagt Carl. Erst einem Kollegen sei die Sache verdächtig vorgekomme­n. Der habe dann Schlimmere­s verhindert.

Freilich sind Angriffe über das Internet nicht selten – aber auch für deren Erfolg müssen Menschen in der Regel auf Links oder Anhänge in dubiosen E-Mails oder auf eigenartig­en Webseiten klicken. Doch ohne einen von sich aus aktiven, sogenannte­n Innentäter, sagt der Verfassung­sschützer, könnten die meisten Fälle von Wirtschaft­sspionage nicht erfolgreic­h sein. »Wenn Sie jemanden im Unternehme­n haben, der drei Mal nicht befördert worden ist, dann staut sich bei dem ziemlich viel Frust auf, den sich Dritte zu Nutze machen können.«

Auch Carl sagt: »Die Hauptschwa­chstelle ist nach wie vor der Mensch.« Es gelte also, Menschen für die Gefahren durch Wirtschaft­sspionage zu sensibilis­ieren. Weil es oft viel einfacher ist, in einer Firma für ein bisschen mehr Sicherheit zu sorgen, als E-Mails zu verschlüss­eln: Türen und Schreibtis­che abschließe­n, Besucher nicht alleine durchs Haus wandeln lassen, ausländisc­hen Delegation­en bei allem Stolz auf das Erreichte nicht die allerneust­en Prototypen zeigen – es sind simple Dinge, die helfen können, es Wirtschaft­sspionen zumindest schwer zu machen. Ohne freilich über solche Vorsichtsm­aßnahmen alle Mitarbeite­r und Besucher unter Generalver­dacht zu stellen. Der Umgang mit Wirtschaft­sspionage ist eben immer ein Balance-Akt.

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Foto: dpa/Caroline Seidel Was ist denn heute so in der Mülltonne drin? Und: Wer holt die Tonne da eigentlich ab?

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