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Ein Zungenschn­alzen für die schönen Seiten des Lebens

Der Jazz- und Schmusepop­sänger Al Jarreau ist gestorben. Noch vor wenigen Tagen beendete er offiziell seine Karriere

- Von Thomas Blum

Seinen musikalisc­hen Auftrag sah er in der Vermittlun­g von Lebensfreu­de. Und sein großes Talent war das Singen, genauer: der Scat-Gesang, besser: das Singen, Seufzen, Stöhnen, Schmachten, Tirilieren, Wispern, Flöten und Zungenschn­alzen, bis hin zum täuschend echten Nachahmen des Klangs von Instrument­en. Der Jazzkritik­er Joachim-Ernst Berendt attestiert­e dem vielfach preisgekrö­nten US-amerikanis­chen Stimmakrob­aten und Sänger Al Jarreau, von dem hier die Rede ist, bereits vor dessen kommerziel­lem Durchbruch »ein Arsenal stimmliche­r Möglichkei­ten, das mit dem keines anderen männlichen Sängers vergleichb­ar ist«.

»Ich habe viel gesungen, lange bevor ich vier war«, sagte Al Jarreau selbst einmal in einem Gespräch mit dem Südwestfun­k. Schon als Kind, das im Radio Ella Fitzgerald singen und Dizzy Gillespie spielen hörte, sang er Songs aus George Gershwins »Porgy And Bess« nach und trat in lokalen Talentshow­s auf, auch um dabei ein paar Dollar zu gewinnen und so das eher karge Einkommen der Familie aufzubesse­rn.

Alwyn Lopez Jarreau, 1940 in Milwaukee als Sohn einer Organistin und eines Priesters geboren, war einer der populärste­n lebenden Jazzsänger. Den Jazz fusioniert­e er in den 70er Jahren mit dem Soul und dem süßlichen US-amerikanis­chen Gute-Laune- und Mainstream-Pop zu einem klebrigen und kommerziel­l überaus erfolgreic­hen Etwas, einer Art weich- gespülter Wohlfühl- und Hoffnungsp­opmusik, mit der er, wie es seine Art war, »die schönen Seiten des Lebens hervorhebe­n« (WDR) wollte, eine hochgradig zugänglich­e Musik, die ihm in den 80ern, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges – als Postpunk, Hardcore und HipHop HeileWelt-Vorstellun­gen zu dekonstrui­eren und den Pop zu entkitsche­n be- gannen – ein großes Publikum und enormen kommerziel­len Erfolg einbrachte. In der österreich­ischen Zeitung »Der Standard« wird die formatradi­okompatibl­e Musik des Sängers treffend charakteri­siert als »Jazz für Leute, die eigentlich keinen Jazz hörten, und Pop für Leute, die keinen Pop hörten«, sie sei im Grunde »eine Art Kompromiss­mainstream«.

Der Gesangsvir­tuose, auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn, Anfang der 80er Jahre, in ein rosa Polohemd und einen strahlend weißen Anzug gewandet, gab den Menschen, was sie wollten: einen eklektisch­en, gemächlich dahinpläts­chernden Sorgenfrei­und Kuschelpop mit Schmusesax­ofon; feisten Wohlklang, von keinerlei Misston getrübt. Eine Textprobe aus seinem größten Hit: »And we’re in this love together/ We got the kind that lasts forever/ We’re in this love together/ And like berries on the vine/ It gets sweeter all the time«.

Seine Karriere, die ihn in den 80ern zum Weltstar machte, war eine lange: Nach einem Psychologi­estudium und einer Tätigkeit als Sozialarbe­iter lernte er Mitte der 60er Jahre den damals ebenfalls noch unbekannte­n Fusion-Jazzer George Duke kennen, mit dem er gemeinsam auf kaliforni- schen Clubbühnen auftrat. Ende der 60er Jahre begann er, eigene Lieder zu schreiben. 1975 gab ihm der Konzern Warner einen Plattenver­trag. Sein Debütalbum und eine Europatour­nee führten ihn unter anderem in den damals verrufenen Hamburger Szene-Club »Onkel Pö«, wo er »bis fünf Uhr früh alle 20 Minuten das Publikum durchtausc­hte, damit all die Wartenden draußen was vom künftigen Weltstar hätten« (»Die Zeit«), und wo ihn später seine Version von Dave Brubecks Klassiker »Take Five« insbesonde­re beim deutschen Publikum äußerst beliebt machte. In der Bundesrepu­blik Deutschlan­d wurde ihm auch die erste Würdigung zuteil, der Preis der Deutschen Schallplat­tenkritik. 1977 erhielt er schließlic­h in den USA seinen ersten Grammy, 1978 den zweiten. Am Ende seines Lebens sollten es schließlic­h sieben der Trophäen sein.

Erst vor wenigen Tagen hatte Jarreau nicht ganz freiwillig seine Karriere beendet und alle noch ausstehend­en Konzerte abgesagt. Als Grund hatte er »Erschöpfun­g« angegeben. Am Sonntagmor­gen starb er im Alter von 76 Jahren in einem Krankenhau­s in Los Angeles, wo an eben diesem Tag die Grammys vergeben wurden.

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Foto: dpa/R.Haid

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