Ein Zungenschnalzen für die schönen Seiten des Lebens
Der Jazz- und Schmusepopsänger Al Jarreau ist gestorben. Noch vor wenigen Tagen beendete er offiziell seine Karriere
Seinen musikalischen Auftrag sah er in der Vermittlung von Lebensfreude. Und sein großes Talent war das Singen, genauer: der Scat-Gesang, besser: das Singen, Seufzen, Stöhnen, Schmachten, Tirilieren, Wispern, Flöten und Zungenschnalzen, bis hin zum täuschend echten Nachahmen des Klangs von Instrumenten. Der Jazzkritiker Joachim-Ernst Berendt attestierte dem vielfach preisgekrönten US-amerikanischen Stimmakrobaten und Sänger Al Jarreau, von dem hier die Rede ist, bereits vor dessen kommerziellem Durchbruch »ein Arsenal stimmlicher Möglichkeiten, das mit dem keines anderen männlichen Sängers vergleichbar ist«.
»Ich habe viel gesungen, lange bevor ich vier war«, sagte Al Jarreau selbst einmal in einem Gespräch mit dem Südwestfunk. Schon als Kind, das im Radio Ella Fitzgerald singen und Dizzy Gillespie spielen hörte, sang er Songs aus George Gershwins »Porgy And Bess« nach und trat in lokalen Talentshows auf, auch um dabei ein paar Dollar zu gewinnen und so das eher karge Einkommen der Familie aufzubessern.
Alwyn Lopez Jarreau, 1940 in Milwaukee als Sohn einer Organistin und eines Priesters geboren, war einer der populärsten lebenden Jazzsänger. Den Jazz fusionierte er in den 70er Jahren mit dem Soul und dem süßlichen US-amerikanischen Gute-Laune- und Mainstream-Pop zu einem klebrigen und kommerziell überaus erfolgreichen Etwas, einer Art weich- gespülter Wohlfühl- und Hoffnungspopmusik, mit der er, wie es seine Art war, »die schönen Seiten des Lebens hervorheben« (WDR) wollte, eine hochgradig zugängliche Musik, die ihm in den 80ern, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges – als Postpunk, Hardcore und HipHop HeileWelt-Vorstellungen zu dekonstruieren und den Pop zu entkitschen be- gannen – ein großes Publikum und enormen kommerziellen Erfolg einbrachte. In der österreichischen Zeitung »Der Standard« wird die formatradiokompatible Musik des Sängers treffend charakterisiert als »Jazz für Leute, die eigentlich keinen Jazz hörten, und Pop für Leute, die keinen Pop hörten«, sie sei im Grunde »eine Art Kompromissmainstream«.
Der Gesangsvirtuose, auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn, Anfang der 80er Jahre, in ein rosa Polohemd und einen strahlend weißen Anzug gewandet, gab den Menschen, was sie wollten: einen eklektischen, gemächlich dahinplätschernden Sorgenfreiund Kuschelpop mit Schmusesaxofon; feisten Wohlklang, von keinerlei Misston getrübt. Eine Textprobe aus seinem größten Hit: »And we’re in this love together/ We got the kind that lasts forever/ We’re in this love together/ And like berries on the vine/ It gets sweeter all the time«.
Seine Karriere, die ihn in den 80ern zum Weltstar machte, war eine lange: Nach einem Psychologiestudium und einer Tätigkeit als Sozialarbeiter lernte er Mitte der 60er Jahre den damals ebenfalls noch unbekannten Fusion-Jazzer George Duke kennen, mit dem er gemeinsam auf kaliforni- schen Clubbühnen auftrat. Ende der 60er Jahre begann er, eigene Lieder zu schreiben. 1975 gab ihm der Konzern Warner einen Plattenvertrag. Sein Debütalbum und eine Europatournee führten ihn unter anderem in den damals verrufenen Hamburger Szene-Club »Onkel Pö«, wo er »bis fünf Uhr früh alle 20 Minuten das Publikum durchtauschte, damit all die Wartenden draußen was vom künftigen Weltstar hätten« (»Die Zeit«), und wo ihn später seine Version von Dave Brubecks Klassiker »Take Five« insbesondere beim deutschen Publikum äußerst beliebt machte. In der Bundesrepublik Deutschland wurde ihm auch die erste Würdigung zuteil, der Preis der Deutschen Schallplattenkritik. 1977 erhielt er schließlich in den USA seinen ersten Grammy, 1978 den zweiten. Am Ende seines Lebens sollten es schließlich sieben der Trophäen sein.
Erst vor wenigen Tagen hatte Jarreau nicht ganz freiwillig seine Karriere beendet und alle noch ausstehenden Konzerte abgesagt. Als Grund hatte er »Erschöpfung« angegeben. Am Sonntagmorgen starb er im Alter von 76 Jahren in einem Krankenhaus in Los Angeles, wo an eben diesem Tag die Grammys vergeben wurden.