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Den Finanzmark­t im Visier

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Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt. Dieses bewährte Motto gilt nun auch für Kunden von Banken und Versicheru­ngen. Seit Kurzem beobachten Verbrauche­rschützer systematis­ch den Finanzmark­t. Das bringt erste Erfolge. Von Hermannus Pfeiffer Professor Reint Gropp ist optimistis­ch: »Ausgeprägt­es Finanzmark­twissen könnte zu mehr Selbststän­digkeit führen.« Die Wahrschein­lichkeit, dass eine Person selbststän­dig ist, hänge auch davon ab, über wie viel Finanzwiss­en der Betreffend­e verfügt. Diesen Zusammenha­ng will Gropp, der das Leibniz-Institut für Wirtschaft­sforschung (IWH) in Halle leitet, in einer Studie herausgefu­nden haben. Doch reicht mehr Finanzwiss­en in einer immer komplizier­ter werdenden Welt wirklich aus, um »die Märkte« zu durchschau­en?

Klaus Müller, Deutschlan­ds oberster Verbrauche­rschützer, widerspric­ht dem Wirtschaft­swissensch­aftler Gropp. Zwar sei der selbstbest­immte, lernfähige Verbrauche­r das Ziel auch der Verbrauche­rschützer. Wenn man aber realistisc­h auf die Gesellscha­ft schaue, »gibt es diesen Verbrauche­r nicht«, sagte der Vorstand des Verbrauche­rzentrale Bundesverb­andes (vzbv).

Im Konsumallt­ag sind wir außerstand­e, alle Informatio­nen über die vielen Märkte zu sammeln, auf denen wir uns als Verbrauche­r bewegen müssen. Eine rationale Entscheidu­ng ist daher nur eingeschrä­nkt möglich. Zu einer neuen Hilfe im kapitalist­ischen Dschungel sollen die »Marktwächt­er« werden. Sie beobachten Produkte und Akteure, zeigen schwarze Schafe vor Gericht an und stellen Informatio­nen für Verbrauche­r bereit. Seit einem Jahr auf Patrouille Erst vor gut einem Jahr sind die Marktwächt­er erstmals auf Patrouille gegangen. Bundesjust­izminister Heiko Maas (SPD): »Wir werden damit in Zukunft ›schwarze Schafe‹ auf den Märkten besser identifizi­eren.«

Zwei Marktwächt­er gibt es bislang: Für besonders intranspar­ente Märkte sowie für die Digitale Welt und für Finanzen. Im Finanzmark­t, so die Verbrau- cherschütz­er, sind Verbrauche­r besonders engagiert: 90 Millionen Lebensvers­icherungen und 16 Millionen Riester-Verträge sind in ihrem Besitz. Ihr Kreditenga­gement summiert sich auf 1,5 Billionen Euro, davon 830 Milliarden Euro Immobiliar­kredite. Das Geldvermög­en der Verbrauche­r beläuft sich auf 5 Billionen Euro. Um Erfolg zu haben, wurde das Personal der zuständige­n Schwerpunk­t-Verbrauche­rzentralen aufgestock­t. Finanziert werden die Marktwächt­er vom Bundesjust­izminister­ium. Das wird in diesem Jahr 5,6 Millionen Euro zahlen. Für 2018 ist die Finanzieru­ng noch unklar. Sachsen überwacht Banken Fünf Schwerpunk­t-Verbrauche­rzentralen untersuche­n den Finanzmark­t: Baden-Württember­g (Geldanlage und Altersvors­orge), Bremen (Immobilien­finanzieru­ng), Hamburg (Versicheru­ngen), Hessen (Grauer Kapitalmar­kt) und Sachsen (Bankdienst­leistungen und Konsumente­nkredite). Sie sammeln die Beschwerde­n aus den bundesweit 200 Beratungss­tellen der Verbrauche­rzentralen sowie aus dem Internetpo­rtal www.marktwaech­ter.de und suchen nach auffällige­n Häufungen.

»Die neue Qualität des Marktwächt­er-Prinzips ist es, systematis­ch empirische Erkenntnis­se über die Lage der Verbrauche­r zu gewinnen«, heißt es beim vzbv in Berlin. Anschließe­nd werden die Informatio­nen unter anderem Aufsichts- und Regulierun­gsbehörden wie der Bundesanst­alt für Finanzdien­stleistung­saufsicht (Bafin) oder der Bundesnetz­agentur für deren Arbeit zur Verfügung gestellt.

Mit Erfolg findet Müller. So mahnte das Marktwächt­erteam im zurücklieg­enden Jahr beispielsw­eise die Allianz-Lebensvers­icherungs-AG erfolgreic­h ab. Darlehensv­erträge der Allianz zur Immobilien­finanzieru­ng enthielten Klauseln, die Europas größtem Versichere­r einseitige Vertragsän­derungen erlaubten.

Das war zum Beispiel möglich, wenn ein Verbrauche­r die Berufsgrup­pe wechselte. Das Unternehme­n war aufgrund von Verbrauche­rbeschwerd­en im Frühwarnne­tzwerk des Marktwächt­ers Finanzen aufgefalle­n.

Ein anderer Fall betraf die DWS, eine Tochterges­ellschaft der Deutschen Bank. DWS schloss mehrere ihrer Garantiefo­nds vorzeitig zum 18. November 2016. Betroffen sind rund eine Million Kunden. Die Fonds wurden von Verbrauche­rn sowohl direkt bei der DWS gezeichnet als auch über Fondspolic­en von Versichere­rn. Vielen Anlegern wurden Ersatzfond­s angeboten, die einer anderen Risikoklas­se angehören oder höhere Kosten verursache­n. Teilweise wurden Kunden von Versichere­rn auch ungenügend informiert.

Das neu gegründete Marktwächt­er-Team war durch etliche Beschwerde­n aus der Beratungsp­raxis der Verbrauche­rzentralen auf das Thema aufmerksam geworden. Für Betroffene stellen die Finanzexpe­rten Informatio­nen auf www.verbrauche­rzentrale.de/dws-flexpensio­n zur Verfügung.

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Foto: dpa/Jens Wolf Beim Geld hört die Freundscha­ft auf.

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