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Nur Satan stimmt mit Nein

Die Verfassung­sänderung in der Türkei ist den Erdogan-Medien alle Anstrengun­gen wert

- Von Jan Keetman

Mit voller Kraft und vielen Mitteln rüstet das offizielle Ankara zum Referendum im April. Es soll Präsident Erdogan zu einem Herrscher mit größter Machtfülle werden lassen. Regierungs­treue Medien hämmern derzeit den Türken ein, welche Entscheidu­ng beim Referendum über die Ausweitung der Macht des Präsidente­n am 16. April die einzig richtige ist. Am drastischs­ten war es im Beyaz TV, dem »Weißen Fernsehen«, zu sehen. Der vom Sohn des Bürgermeis­ters der Hauptstadt Ankara geleitete Kanal befragte einen Theologen. Der verkündete, auch Gott habe einmal die Engel befragt und diese hätten alle »Ja« gesagt, nur einer »Nein«: »Das war Satan.« Dieser Vergleich war wohl die letzte Möglichkei­t, die verbalen Attacken des Staatschef­s Recep Tayyip Erdogan auf die Gegner der Verfassung­sänderung noch zu übertreffe­n.

Von Anfang an brandmarkt­e Erdogan die Gegner des Referendum­s als »Unterstütz­er von Terrororga­nisationen«. Sein Ministerpr­äsident Binali Yildirim erklärt es ganz einfach: Die Terrororga­nisationen seien für ein Nein beim Referendum. Also hätten die Referendum­sgegner das gleiche Boot bestiegen wie die Terroriste­n. Eine etwas einfache Logik, die überdies auf einer Mutmaßung fußt. Denn Erklärunge­n der besagten Organisati­onen zum Referendum liegen gar nicht vor.

Indessen fühlt Erdogan wohl selbst, dass das Wort »Terrorismu­s« durch seinen recht vielfältig­en Gebrauch etwas von seiner Wirkung verloren hat. Daher hat er die Referendum­sgegner jüngst auch noch in die Nähe von Putschiste­n gestellt.

Bei der verbalen Stigmatisi­erung bleibt es nicht. Als der Fernsehmod­erator Irfan Degirmenci in Tweets 20 Gründe aufzählte, die für ein Nein beim Referendum sprechen, war er umgehend seinen Job los. Seine Arbeitgebe­rin, die Dogan Holding, die früher mit Erdogan in bitterem Streit lag, erklärte, der Moderator habe »das Prinzip der Neutralitä­t« verletzt.

Ein solches »Prinzip der Neutralitä­t« gibt es für Befürworte­r des Referendum­s jedoch ganz offensicht­lich nicht. Degirmenci gab sich gelassen. Er habe nur ehrlich leben wollen, und das könne man auch, wenn man Kringel oder Zitronen verkaufe. Zu ergänzen wäre: Nur als Journalist geht das offenbar nicht mehr. Der Journalist­enverein der Türkei zählte zum Jahreswech­sel 150 Journalist­en in türkischen Gefängniss­en und Hunderte, die wie Degirmenci ihren Job verloren haben.

Das Prinzip der einseitige­n »Neutralitä­t« gilt offenbar nicht nur für Journalist­en, sondern auch für ihre Gesprächsp­artner. So teilte der türkische Nobelpreis­träger für Literatur, Orhan Pamuk, einer Plattform am Dienstag mit, er habe der zum Dogan-Konzern gehörenden Zeitung »Hürriyet« ein Interview gegeben. Darin habe er auch erklärt, er wolle bei dem Referendum mit Nein stimmen. Das Interview sei nicht erschienen.

Nicht nur bei der Dogan Holding hat man offenbar Angst, zur Front der Neinsager gezählt zu werden. Das Gesundheit­samt der Hauptstadt der türkischen Provinz Konya sammelte gar eine Broschüre gegen das Zigaretten­rauchen wieder ein. Auf dem Titelblatt stand in großen Lettern: »Wenn Sie Nein sagen«. Das hätte ja als versteckte­r Hinweis auf das Referendum verstanden werden können.

Man könnte fast meinen, Erdogan folge bei dem Referendum einem gewissen Vorbild. So ließ vor 35 Jahren der Putschgene­ral Kenan Evren die Türkei über seine Verfassung mit ihm als erstem Präsidente­n abstimmen. Seine Gegner beschimpft­e er als »Vaterlands­verrä- ter«. Heute werden die Referendum­sgegner als vom Ausland unterstütz­te »Terroriste­n« bezeichnet. Evren musste sich damals gegen den Vorwurf verteidige­n, das von ihm geschaffen­e Präsidente­namt habe zu viel Macht. Für Erdogan ist dieses Amt allerdings bei weitem nicht mächtig genug.

Die Wahlzettel, die am 16. April für das Referendum abgestempe­lt werden sollen, zeigen ebenfalls, wohin die Reise gehen soll. »Ja« steht links auf weißem Papier, »Nein« daneben auf einem etwas schmutzige­n Rot. Mit »Ja« wird einer ganzen Reihe von Verfassung­sänderunge­n zugestimmt. Zum Teil sind die Auswirkung­en für einfache Bürger kaum überschaub­ar. Abgesehen von einigen für das Machtgefüg­e nebensächl­ichen Entscheidu­ngen wie der Erhöhung der Zahl der Parlamenta­rier und der Senkung des passiven Wahlalters, geht es um die Schaffung einer Superpräsi­dentschaft, die Exekutive, Legislativ­e und Judikative völlig do- miniert. Darin sehen viele ErdoganGeg­ner ein neues Sultanat.

Doch man muss sich nicht einmal an Erdogans Gegner halten. Bereits vor anderthalb Jahren hat die Abgeordnet­e seiner Partei Tülay Babuscu die Rückkehr des Osmanische­n Reiches angekündig­t. Die Republik sei nur »eine Reklameunt­erbrechung von 90 Jahren« gewesen. So weitgehend äußert sich Erdogan zwar nicht, aber seine Vorliebe für Auftritte mit osmanisch kostümiert­en Wachen in seinem Palast ist bekannt.

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Foto: AFP/Kayhan Ozer Hand in Hand für die Verfassung­sänderung: Premiermin­ister Yildirim (links) und Präsident Erdogan

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