Zwei Prozent plus und die deutsche Verlässlichkeit
Ex-Verteidigungsminister Rühe beklagt Orientierungslosigkeit auch in seiner CDU-Fraktion
Die Koalition will die Parlamentsrechte bei Bundeswehreinsätzen reformieren. Doch nun distanzierte sich die Union von dem Gesetzentwurf. Man will nicht zu viel Aufrüstung – vor der Bundestagswahl. Die Tagungen der NATO- Außen- und Verteidigungsminister kamen um die Einschätzung nicht herum und auch die am Freitag in München eröffnete Sicherheitskonferenz wird es bestätigen: Seit einigen Jahren ist sicher- heitspolitisch weltweit einiges ins Rutschen gekommen. Doch bislang sei es »immer ein Markenzeichen der CDU gewesen, in der Sicherheitspolitik die richtigen Weichen zu stellen«, sagte Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) und betonte, er sehen im Augenblick »viel Orientierungslosigkeit und Unberechenbarkeit«. Er ist sauer, so sauer, dass er wider seine Regel am Freitag dem »Deutschlandfunk« ein Interview gab.
Seit Mitte 2014 hatte Rühe eine Kommission geleitet, die Auslandseinsätze der Bundeswehr erleichtern sollte. Man wollte die Bundeswehr weiter als Parlamentsarmee verkaufen und dennoch die Entscheidungsrechte der Abgeordneten beschneiden. Doch während der einstige Verteidigungsstaatssekretär und Kommissionsvize Walter Kolbow seine SPD-Fraktion auf Linie bringen konnte, hat das Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe auf der Unionsseite nicht vermocht. Es werde bis zur Bundestagswahl kein gemeinsames Gesetz mehr geben, verkündete Unionsfraktionschef Volker Kauder. Die SPD schäumt und blockiert die Ausschreibung eines millionenschweren Beratervertrages, mit dem das Verteidigungsressort Ordnung in die Beschaffungen zu bringen hofft.
Rühe versuchte darüber hinaus einiges zu vermitteln, was aus Regierungssicht bislang klar war, doch nun obsolet scheint. So hält er die NATO-Forderung nach der Erhöhung der nationalen Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für »seriös gar nicht machbar«.
Den Mann aus der zweiten Reihe deutscher Politik kratzt wenig, dass US-Präsident Donald Trump und seine zuständigen Minister dieses für 2024 anvisierte Ziel gebetsmühlenartig einfordern. Denn dass Deutschland zu den 36 bereits genehmigten Milliarden weitere 25 Milliarden ausgeben soll, wäre »eine radikale Aufrüstung, die die politischen Prozesse, die wir weiter verfolgen müssen, völlig erschlagen würde«. So wie Rühe weiß jeder halbwegs Kundige, dass die Bundeswehr überdies so viel Geld nur unterbringen könnte, wenn sie alle Leopard-Panzer mit Blattgold überziehen lässt.
Ein anderes Anti-Zwei-Prozent-Argument fügte Sigmar Gabriel (SPD) beim Außenministertreffen der G20Staaten in Bonn hinzu. Er glaube, »dass eine isolierte Betrachtung von Verteidigungsetats nicht viel hilft«. Gabriel sagte, es sei falsch, die »schnelle Erhöhung« der Verteidigungsausgaben als »Maßstab für Sicherheit« zu nehmen. Demokratische Staaten sollten »nicht ausschließlich« auf Militäretats setzen. Deutschland gebe mehr für Entwicklungshilfe aus als andere NATO-Staaten und »30 bis 40 Milliarden Euro im Jahr für die Integration von Flüchtlingen«. Deren Schicksal Gabriel richtig, doch auch etwas aufmüpfig, »auf verfehlte militärische Interventionen in der Welt sind« zurückführte.
So viel politischen Spielraum nahm sich Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) am Freitag auf der Münchner Sicherheitskonferenz nicht heraus. Zwar sagte auch sie »Burden Sharing« sei »weit mehr als Euro und Dollar«. Zugleich jedoch wisse man, »dass wir einen größeren, einen faireren Teil der Lasten für die gemeinsame Atlantische Sicherheit tragen müssen«. Natürlich laute die Kernfrage: »Wie viel sind wir bereit, in Sicherheit zu investieren?« Wer eine Antwort hören wollte, hörte stattdessen: »Wir Deutsche haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass auf uns Verlass ist.«
Von der Leyens Strategie stützt sich auf neue bi- und multilaterale Beziehungen innerhalb von NATO- und EUArmeen. Nicht jede nationale Streitmacht brauche alle Fähigkeiten. Vor allem kleinere Partner könnten bei der Bundeswehr andocken. Bei der deutsch geführten Battle Group in Li- tauen »haben wir Niederländer, Norweger, Belgier, Luxemburger und bald auch Franzosen, Tschechen und Kroaten an unserer Seite«, betonte von der Leyen in München.
Verlass ist auch ein Begriff, den Rühe gern benutzt. Man muss sicherstellen, dass das Parlament nicht mehr dazwischen funkt. Deshalb wird der jetzt auf Eis gelegte Gesetzentwurf sicher wieder aufgetaut, denn: »Nur diejenigen, die sich auf uns verlassen können, werden mit uns auch gemeinsame militärische Vorhaben starten«, sagte Rühe. »Dass wir aus AWACS-Maschinen aussteigen, aus Hauptquartieren aussteigen, das darf sich nicht wiederholen.«
Verlass definiert Rühe noch drastischer: Man komme nicht umhin, das gleiche Risiko wie andere einzugehen. Die Arbeitsteilung, laut der Deutschland Aufklärung fliegt und andere Bomben werfen, werde nicht mehr lange akzeptiert werden. Damit benannte Rühe etwas, das von der Leyen vielleicht denkt, jedoch nicht aussprechen wird. So lange es geht.