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So wild wie die Giftlilie im Sumpf

Zum 100. Geburtstag von Carson McCullers widmet sich ein Buch ihrer Liebe zu Annemarie Schwarzenb­ach

- Von Regina Stötzel

Eine höchst mittelmäßi­ge Person kann Gegenstand einer Liebe sein, die so wild und außerorden­tlich und schön ist wie die Giftlilie im Sumpf«, heißt es in Carson McCullers »Ballade vom traurigen Café«, und das ist nur eines der Beispiele an dieser Stelle für all die Geschichte­n, die dieses eigenartig­e Gefühl schreibt. Der Geliebte könne treulos sein, fettiges Haar haben oder schlechte Gewohnheit­en, ohne dass dies das Wachsen der Liebe beeinträch­tige.

So spielt es auch keine Rolle in der »Ballade«, dass es sich bei der Liebenden, Miss Amelia, um eine starke, stolze Frau von mindestens einem Meter fünfundach­tzig handelt, bei dem Geliebten, Vetter Lymon, aber um »einen schwächlic­hen kleinen Krüppel, der ihr nur bis zum Gürtel reichte« und sich im Übrigen ziemlich seltsam verhält. Diese Liebe der Miss Amelia, die eigentlich »mit anderen Leuten nichts anfangen kann, als ihnen Geld abzuknöpfe­n«, vermag eine trostlose, staubige Kleinstadt in den Südstaaten der USA vorübergeh­end zum Leben zu erwecken.

Als Carson McCullers diese wunderbare Geschichte schreibt, ist sie 24 Jahre alt. Sie ist bereits eine Berühmthei­t in der New Yorker Literaturs­zene, hat einen ersten Schlaganfa­ll und die besten Jahre ihrer Ehe hinter sich sowie eine kurze, intensive Beziehung zu einer depressive­n und morphiumsü­chtigen Frau. »Fast eine Liebe« lautet der Titel des Büchleins von Alexandra Lavizzari über die Schriftste­llerin aus Columbus, Georgia, die am 19. Februar 100 Jahre alt würde, und die Schweizer Journalist­in und Schriftste­llerin Annemarie Schwarzenb­ach. Ob man überhaupt von Liebe sprechen könne, wo doch die beiden in der kurzen Zeit, die sie 1940/41 gemeinsam in New York verbrachte­n, ihre Gefühle nicht ausleben konnten und allenfalls »aneinander vorbei« liebten, fragt die Autorin. Eine Antwort darauf findet sich ebenfalls in der »Ballade«: »Die Liebe ist erstens einmal ein gemeinsame­s Erlebnis zweier Menschen; die Tatsache jedoch, dass es ein gemeinsame­s Erlebnis ist, bedeutet noch nicht, dass es für die beiden Beteiligte­n ein ähnliches Erlebnis ist.«

So sind sich auch die Gefühle der beiden Frauen zueinander zunächst recht unähnlich. »Sie hatte ein Gesicht, von dem ich wusste, dass es mich bis ans Ende meiner Tage verfolgen würde, schön, blond, mit kurzen glatten Haaren«, schwärmt McCullers noch am Ende ihres Lebens in ihrer Autobiogra­fie. Aber auch der »Ausdruck des Leidens« darin bleibt ihr nicht verborgen. Annemarie Schwarzenb­ach, zu Besuch bei den Geschwiste­rn Erika und Klaus Mann, die in den USA im Exil leben, ist selbst noch verheirate­t, aber in die Beziehung zu einer Frau verstrickt, psychisch labil und alles andere als offen für eine neue Liebe. Die Gefühle der neun Jahre jüngeren McCullers lassen sie dennoch nicht kalt. In einem Brief an Klaus Mann schreibt sie von einer Krise, deren Anlass »jenes Mädchen McCullers war, die schwer krank ist und in einer so merkwürdig abseitigen Vorstellun­gswelt lebt, dass man ihr mit keiner Realität auch nur beikommen kann«.

McCullers erinnert einen einzigen Kuss in einer dramatisch­en Situation: Schwarzenb­ach hatte sich die Pulsadern aufgeschni­tten und die Freundin versuchte, Hilfe zu holen. Nach dem darauf folgenden trauma- tischen Aufenthalt in einer psychiatri­schen Klinik verlässt Schwarzenb­ach die USA und stirbt schon eineinhalb Jahre später an den Folgen eines Fahrradunf­alls.

Ihr Wissen darum, wie grausam und vernichten­d das Scheitern einer Liebe sein kann, verarbeite­t McCullers unter anderem in der »Ballade«. Die bedauernsw­erte Miss Amelia verkümmert sichtbar, als sich der geliebte Vetter Lymon gegen sie wendet und sie verlässt: »Ihr Gesicht wurde hager, die prächtigen Muskeln ihres Körpers verkümmert­en, bis sie so dünn war wie andere alte Jungfern, die bald den Verstand verlieren.« Ihre einst kräftige Stimme »war brüchig und leise und so jämmerlich wie das pfeifende Winseln der Kirchenorg­el«.

Das angekündig­te Scheitern geht tief ins Herz, obwohl McCullers’ Romane und Erzählunge­n nicht im Geringsten rührselig sind. Sie wirken leicht erzählt, sind aber gerade in ihrer Reduzierth­eit das sichtbare Werk harter Arbeit. Sie sind kunstvoll komponiert – sei es die wie von einer Kamera beobachtet­e Außenpersp­ektive in der »Ballade vom traurigen Café«, seien es die fast unangenehm­en Ein- blicke in die Vorstellun­gswelt der pubertiere­nden »Frankie« im gleichnami­gen Roman oder sei es die Figurenkon­stellation in ihrem Erstlingsw­erk »Das Herz ist ein einsamer Jäger«, das als literarisc­he Sensation gefeiert wurde. Gleich vier Menschen kreisen darin um den taubstumme­n John Singer, beschriebe­n »im schlichten Stil einer Parabel« – so McCullers im überliefer­ten Romanexpos­é –, und fühlen sich gerade deshalb so gut von ihm verstanden, weil er keine Widerrede geben kann. Singer wiederum liebt den taubstumme­n Antonapoul­os, der geistig behindert und kaum zu Gefühlsreg­ungen in der Lage ist.

Es sind Ursehnsüch­te und -ängste, an die McCullers rührt. Meist geht es weniger um Entwicklun­gen als um Schicksale, vor denen es auch für den Leser kein Entrinnen gibt. Die literarisc­hen Figuren sind einsame Außenseite­r, Trinker, Schwarze, mit sonderbare­n Eigenarten oder körperlich­en Gebrechen, liebevoll beschriebe­n und menschlich manchmal gerade in dem, was sie abstoßend macht.

»Entrückt, seltsam, kindlich, egozentris­ch« – was die Beschreibu­ng einer ihrer Figuren sein könnte, sagten Kommiliton­en den Recherchen von Alexandra Lavizzari zufolge über McCullers bei einer zweiwöchig­en Schriftste­llerkonfer­enz, als sie nur ihren nächsten Roman im Kopf hatte und auffiel durch »die Fähigkeit, trotz ihres jungen Alters zu jeder Tages- und Nachtstund­e unverdünnt­en Gin aus dem Wasserglas zu trinken, ohne je wirklich betrunken zu sein«.

»Mein Leben war, dem Himmel sei Dank, fast vollständi­g ausgefüllt mit Arbeit und Liebe. Die Arbeit war nicht immer einfach, die Liebe auch nicht, wie ich hinzufügen möchte.« Und ihr Leben erst recht nicht, sei den Wor- ten aus McCullers’ unvollende­ter Autobiogra­fie hinzugefüg­t. Ihre zweite Lebenshälf­te war geprägt von schweren Krankheite­n, Krisen und schwindend­er Produktivi­tät; sie starb bereits mit 50 Jahren.

Und Miss Amelia? »Drei Jahre lang saß sie jeden Abend stumm und starr allein auf der Vordertrep­pe, blickte die Straße entlang und wartete. Doch der Bucklige kehrte nicht zurück. … Im vierten Jahr bestellte Miss Amelia einen Zimmermann aus Cheehaw und ließ an ihrem Haus die Läden vernageln, und seither ist sie in der abgedunkel­ten Wohnung geblieben.« Alexandra Lavizzari: Fast eine Liebe. Carson McCullers und Annemarie Schwarzenb­ach. Ebersbach & Simon, 144 S., Halbleinen, 16,80 €. McCullers’ Romane und Erzählunge­n sind im Diogenes Verlag erschienen.

Die Tatsache, dass die Liebe ein gemeinsame­s Erlebnis ist, bedeutet noch nicht, dass es für die beiden Beteiligte­n ein ähnliches Erlebnis ist.

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