nd.DerTag

In fremden Träumen wohnen

»Rückkehr nach Montauk« von Volker Schlöndorf­f im Wettbewerb

- Von Gunnar Decker

Ein Mann, Schriftste­ller aus Berlin, in New York. Was er hier zu suchen hat, fragt er sich seltsamerw­eise nicht. Er weiß, was er sucht. Aber er weiß nicht, ob er überhaupt finden will, was er sucht. Darum geht es in »Rückkehr nach Montauk«, einer Max-Frisch-Adaption von Volker Schlöndorf­f.

Der Mann hat Fragen, viele Fragen. Die meisten aber spricht er nicht aus. Sie kreisen in ihm. Die drängendst­e: Sind die Dinge unwichtig geworden, bloß weil sie vorbei sind? In gewisser Hinsicht schon, sie existieren nicht mehr. Wir tragen sie bloß noch in unserer Erinnerung mit uns herum. Aber was heißt »bloß«? Die Erinnerung ist das, was an Realität in uns fortexisti­ert. Nur im Innen lebt das Vergangene noch, nicht im Außen – eine Weile wenigstens, bis wir sterben, oder schon vorher vergessen.

Der Rahmen, in dem sich Volker Schlöndorf­f mit »Rückkehr nach Montauk« bewegt, könnte anspruchsv­oller kaum sein. Ein philosophi­scher Film, der schließlic­h auch zu den Sinnen durchdring­t (nicht umgekehrt!). Man hat den Eindruck, Schlöndorf­f braucht diesen überhöhten Anspruch an einen Film, um überhaupt zu sich zu kommen. Wenn er Filme machen soll wie andere auch, mit all den Vordergrün­digkeiten des homo politicus, dann macht er das zuverlässi­g schlechter als diese anderen, wie »Strajk – Die Heldin von Danzig«, sein Film über die Solidarnos­c in Polen zeigte. Nein, ein Debattenfi­lmer ist er nicht, das sogenannte echte Leben der Nachrichte­nmagazine interessie­rt ihn als Regisseur wenig.

Schlöndorf­f hat während seiner Pariser Kindheit (als Schüler war er Banknachba­r von Bertrand Tavernier, dem späteren Regisseur der Nouvelle Vague) noch den Nachklang der Pariser Salons vernommen, er ist darum bis heute ein Meister von kunstvoll arrangiert­en Atmosphäre­n.

Der Regisseur braucht also offenbar den hohen Ton, bevor er überhaupt anfangen kann. Ein gutes Buch mit dichterisc­her Substanz! »Die Blechtromm­el« (1979) von Grass, um von seinem nicht ganz geglückten Erstling »Die Verwirrung­en des Zöglings Törless« (1966) nach Robert Musil nicht zu reden. Aber eigentlich ist er der ideale Proust-Regisseur, immer auf der Suche nach der verlorenen Zeit, auf die er 1984 mit »Eine Liebe von Swann« ging.

Und darum nun auch Max Frisch, zum zweiten Mal. Mit »Homo Faber« hatte Schlöndorf­f bereits 1991 bewiesen, dass er die etwas kauzig-verrätselt­e, dabei tief poetische Dimension dieser Bücher in eine Bildsprach­e zu übersetzen vermag. Nun also noch einmal Frisch mit »Rückkehr nach Montauk«. Wohl wissend, dass für ihn so etwas wie Rückkehr ebenso unmöglich ist, wie es für Heraklit unmöglich war, zweimal in denselben Fluss zu steigen.

Ausführlic­h zelebriert­e Monologe, darauf ist man eingestell­t bei diesem Film, aber nicht, dass er komplett auf Englisch daherkommt. Nun ja, Schlöndorf­f ist ein Vertreter des Weltkinos, der lange in New York lebte, wo dieser Film auch spielt, aber den beiden weiblichen Hauptfigur­en Nina Hoss und Susanne Wolff beim Englischsp­rechen im Wettbewerb um die perfekte Betonung zuzusehen, hat auch wieder etwas sehr Deutsches.

Max Zorn (nordisch-kühl bis zur Emotionslo­sigkeit: Stellan Skarsgard) ist ein Schriftste­ller um die sechzig, lebt in Berlin. Er kommt mit seinem neuesten Buch nach New York, dort gibt es eine große Buchpremie­re, er muss wirklich sehr berühmt sein. In seinem Roman geht es um eine verlorene Liebe. Im Buch lebt sie wieder auf, nur dort und natürlich melancholi­sch grundiert. Der Monolog eines Autors, der vielleicht nur lebt, um Stoff zum Schreiben zu haben. Hier findet die Erfüllung statt, nicht dort.

Kunstvoll verlangsam­t hebt auch Schlöndorf­f an mit Max Zorns Aufenthalt in New York, der, so kurz er ist, doch einer Art Prolog bedarf. Der Autor agiert immer wie im Spiegel – spricht über seinen Vater, den Philosophe­n, den zu beeindruck­en ihm nie gelang. Es gibt Dinge, sagt er, die bereuen wir, weil wir sie getan haben. Andere Dinge bereuen wir, weil wir sie nicht getan haben. In jedem Falle bleibt die Reue. Das ist der Grundton der kommenden knapp zwei Stunden, auf den wir eingestimm­t werden. Dieser Ton polarisier­t, will auch gar nichts anderes – und so teilt sich das Berlinale-Publikum auch sofort in jenen Teil, der schlagarti­g bis zur Ermüdung gelangweil­t ist, und den anderen, vielleicht kleineren Teil, der immer wacher wird. Ich bekenne, ich gehöre zu letzterem.

Was passiert in diesen Tagen in New York? Max Zorn wird von seiner dort lebenden Frau (Susanne Wolf) erwartet, man versteht sich auch über die räumlichen und zeitlichen Abstände, wohl deshalb, weil sie ganz in seinen Büchern lebt. Eine strapazier­fähige Grundlage der Beziehung? Oder doch eine Einbahnstr­aße?

Max Zorn hat nur einen Gedanken, als er nach New York kommt. Er will jene Rebecca wiedersehe­n, mit der er hier vor vielen Jahren zusammen war, eine Liebe, die sich verlief, als er die Stadt verließ. Um sie geht es auch in dem Buch, das er in New York vorstellt. Ist es eine gute Idee, sie nach so vielen Jahren des Schweigens treffen zu wollen? Aber das ist für ihn keine ernsthafte Frage, ihm geht es im Grunde nur darum, hinter den letzten Satz seines Buches einen Punkt setzen zu können. Vielleicht auch ein Fragezeich­en?

Nina Hoss ist Rebecca. Seltsamerw­eise bekommt sie von den beiden sehr westlichen Herren Frisch und Schlöndorf­f eine ostdeutsch­e Vergangenh­eit angedichte­t, aber eine wie Uwe Johnsons Gesine Cresspahl ist sie nicht. Zur Wende Jurastuden­tin in Dresden, per Stipendium nach Yale gekommen und dann mit aller Arroganz einer Spitzenver­dienerin an die seelenlose Wall Street? So ungefähr.

Am Anfang, als Max Zorn sie sucht, sich ihr aufdrängt, geradezu belästigt, hat sie eine Maske aus Kälte und Ablehnung aufgesetzt. Die kennt man schon aus Christian Petzolds »Barbara«, und man fürchtet, dies hier könnte zur Masche werden. Zum Glück ist dem nicht so, denn sie bekommt nach und nach dann doch ein Gesicht, in dem sich sehr nuanciert ihr eigenes Leben spiegelt. Ein Leben, in dem Hoffnung mit Tragödie wechselte. Nun hat sie drei Katzen, das muss reichen für die Seele.

Zusammen verleben sie einen Tag und eine Nacht im erinnerung­sbeladenen Montauk. Sie spüren, es tut gut, einmal nicht immer nur zurückscha­uen zu müssen, sondern sich wieder dem Augenblick hinzugeben. Und dann ist schon alles wieder vorbei, so wie zuvor, vielleicht etwas weniger vereist. Die gefühlte Lebenstemp­eratur steigt um einige Zehntel Grad, vielleicht. Aber Rebeccas lähmende Trauer, mit der der egozentris­che Max Zorn gar nichts zu tun hat, bleibt übermächti­g. »Du darfst mich nicht zu einem Teil deiner Träume machen«, beschwört sie ihn beim Abschied. Aber vielleicht bewohnt dieser Seelennoma­de längst ihre Träume, so wie in einem Hotel auf Rechercher­eise?

Von seiner duldsamen Lebenspart­nerin gefragt, was er da in Montauk eigentlich gemacht habe, antwortet Max Zorn ihr: »Ein Gespenst getroffen.« Das ist wohl richtig beobachtet, aber eben auch überaus brutal bemerkt. Ein guter Schriftste­ller, dieser Max Zorn – und natürlich ein zweifelhaf­ter Mensch.

Ein philosophi­scher Film, der schließlic­h auch zu den Sinnen durchdring­t – nicht umgekehrt.

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